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Die Bühne (Katja Haß) des Thalia-Theaters in Hamburg suggeriert Kälte – das Privatleben der »Buddenbrooks« wird vom Firmendach überspannt. Das war immer so und bleibt so bis zum Schluß, bis das Haus verkauft werden muß an den gehaßten Konkurrenten, Aufsteiger, Vorboten des Raubtierkapitalismus, Hagenström. Thomas Mann als Dramatiker? John von Düffel wagte den Versuch, den 800-Seiten-Roman, für den der Autor den Nobelpreis bekam, so zu komprimieren, daß ein Drei-Stunden-Bühnenstück daraus wurde. Dieser Gewaltakt gelang durch die Sprache Thomas Manns, die vorzügliche Regie Stephan Kimmigs und die bewundernswerten Schauspieler – konzentriert auf die drei Geschwister Thomas, Christian und Tony. Thomas, der Älteste (Norman Hacker), der das Familienunternehmen nach dem Tode des Vaters übernimmt, erlaubt sich nichts anderes zu denken als die Vermehrung des Firmenkapitals. Auch die Schwester Tony (Katrin Wichmann), unkompliziert, naiv und anfangs aufmüpfig, wird bald dazu gebracht, das zu tun, was für sie vorgezeichnet ist: einzuwilligen in eine Heirat, die dem Geschäft dient, »zum Vorteil der Familie«, wie man sagt. Sie soll sich als »Glied einer Kette« fühlen, wie die anderen. Daß der so viel versprechende, herumschleimende Hamburger Kaufmann Bendix Grünlich (Felix Knopp) ein Heiratsschwindler, Betrüger und Bankrotteur ist, stellt sich zu spät heraus. Bankier Kesselmeyer (Christoph Bantzer) hilft genüßlich und süffisant bei der Entlarvung. Der jüngere Bruder Christian (Peter Jordan) will sich nicht in die Kette einfügen, flieht nach London, nach Valparaiso und schließlich in die Hypochondrie. Er kann nicht mehr schlucken, herunterschlucken, behauptet er. Ihm fehlt Machtinstinkt, alles nimmt er spielerisch. Doch seine künstlerischen Neigungen läßt er verkümmern. Er kann sich nicht auflehnen, nicht nein sagen. Und landet im Büro, wo sein Bruder Thomas ihm vorsteht – und ihm das Erbe des Vaters verweigert. Die Personen sprechen miteinander, aber stehen weit entfernt, sehen sich nicht an. Dennoch werden die unterdrückten Emotionen sichtbar, hörbar. Etwa wenn Thomas sich einprägen will: »Ich muß am Platz sein, ich muß entschlossen sein, ich muß, ich muß...« Die alte Kinderfrau Lina (Katharina Matz) hat etwas Schreckliches über den alten Konsul mitzuteilen: Er sitze da und lalle nur noch und sehe ganz gelb aus im Gesicht. Keiner hört richtig zu, bis sie schreit: »Gelb, gelb, gelb!« Nur bei Zahlen, Summen, beim Geld gehen die Ohren auf. Es wird bilanziert und balanciert auf den Metallstegen oder auf geplatzten Luftballons, getanzt ein Todestanz der kalten Emotionen. Thomas über seinen Bruder, vorwurfsvoll: Er kehre sein Innerstes nach außen. Aber: »Wir sind Kaufleute, wir sind gewöhnlich.« Thomas beabsichtigt, Gerda zu heiraten (Leila Abdullah), die hohe Mitgift. Er liebe sie, sagt er, und im gleichen Atemzug spricht er von dem bedeutenden Kapitalzufluß, den er – die Firma – damit erobert. Nach der Pause: Die Metallschienen am Boden sind verschwunden, nicht mehr nötig. Dafür hängt der Boden nun an vier Stahlseilen wie eine Zugbrücke. Doch sie läßt sich nicht hochziehen, der Feind hat Zutritt am Ende. Er war dabei, als Christian im Club diese Äußerung tat: Eigentlich und bei Lichte besehen sei doch jeder Geschäftsmann ein Gauner. Hagenström erwiderte: »Ich meinerseits halte meinen Beruf sehr hoch.« Thomas zum Bruder: »Du machst uns lächerlich. Du bist eine ungesunde Stelle am Körper der Familie – arbeitest gar nicht.« Und Tony, deren Marktwert gesunken ist, die Mitgift verringert, versucht eine Wiedergutmachung durch eine zweite Ehe mit dem ungeliebten Bierbrauer Alois Permaneder aus München. Auch dieser Schritt muß scheitern. Sie kehrt zurück unter das Firmendach und findet immer noch Kraft, ihren Bruder aufzumuntern: »Du solltest fröhlich sein, Du bist Senator« und erinnert ihn an das 100-jährige Firmenjubiläum. Doch Thomas ist müde, leer – wie die Kasse. Kann sein Sohn Hanno (Max McMahon), die letzte Hoffnung, das Geschäft übernehmen? Einer, der nur so leise zu sprechen wagt? Als Hanno, ganz verschüchtert, ein Gedicht von Uhland aufsagen muß, wird er ständig unterbrochen: »Lauter!« Es ist aber Thomas' Stimme, die nicht mehr gehört wird – an der Börse. Er setzt, ein Schauspieler seiner selbst, den lyrischen Vortrag verzweifelt fort, gewaltsam die Verse aus sich herauspressend, dann sich an den Worten hochziehend »Aber ich werde leben, es wird leben.« Es – das Haus? Es muß verkauft werden an Hagenström. Tony kann toben, soviel sie will, ihre Hände ausbreiten, um etwas festzuhalten – was? Am Schluß steht Thomas mit Hanno vor dem Firmendach: »Wenn Du gut leben willst, mußt Du arbeiten, härter noch als ich. Ich werde sterben.« Sein Sohn, gehorsam: »Ja, Papa.« Unverzichtbar das Programmheft mit John von Düffels Essay: »Bürgerdämmerung – eine Anatomie des Verfalls«. * »Idyllen« auf Kampnagel, ein Stück nach der Gedichtsammlung von Ernst Jandl. Diese skurrilen, absurden, witzigen Kurztexte werden in Beziehung gesetzt zu wirklichen Idyllen, die es nur im Märchen gibt oder bei Novalis. Die da spielen, tanzen, sprechen, pantomimisch agieren und sich »Meine Damen und Herren« nennen, setzen erklärend hinzu »Ex-Station 17 Theater« – das war eine Band von behinderten Akteuren. Der Regisseurin Adelheid Müther gelingt es, etwas sehr Zerbrechliches, Kostbares auf die Bühne zu bringen, die wie ein Zirkusrund mit Erde bedeckt ist. Die »nicht normalen« Mimen sitzen außen. Sie treten in die Mitte, spielen sich, aber oft abgehoben, ironisch und sichtbar begeistert. Aber auch wie gegen unsichtbare Gegner kämpfend. »Mit der Bitte um geistige Umnachtung« – welcher Hohn. Daneben die Idylle: die Märchentante im altmodischen schwarzen Kleid (Isabella Vertes-Schütter, die ehemalige Leiterin des Ernst-Deutsch-Theaters). Die Musik, zart, wie Tropfen, so wie die nackten Füße der Tänzerin im weißen Rüschenkleid, die kaum den Boden berühren. Und die zaghafte, unendlich behutsame Annäherung eines Paares, das sich zu streicheln beginnt – man vergißt es nicht. (Noch bis zum 23. Dezember.)
Erschienen in Ossietzky 25/2005 |
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