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Bush Präsident wurde, brachte er einen Haufen Neo-Konser-vativer (die sog. Neo-Cons) mit, die in ihrer unvorstellbaren Arroganz glaubten, es sei möglich, Staaten zu zertrümmern, ihre Regierungen je nach Laune auszuwechseln und sich ihre Ressourcen anzueignen. Zunächst beabsichtigten sie den Irak, dann den Iran und Syrien in ihr Taschentuch zu packen. Den Irak und den Iran wegen ihres Öls, Syrien wegen seiner strategischen Lage. Rein zufällig wurden diese drei Länder auch als strategische Bedrohung Israels betrachtet, und die Neo-Cons – die meisten von ihnen selbst Juden – waren froh, für den »jüdischen Staat« etwas Gutes zu tun. Die Frage war nun, wer von den dreien zuerst erobert werden sollte. Die Wahl fiel natürlich auf den Irak, da die Neo-Cons sicher waren, ihre Armee würde mit Blumen empfangen werden (wie sonst?), und der Krieg wäre im Nu vorüber. Die nächste Frage war: Wer sollte dann drankommen, der östliche oder der südwestliche Nachbar? Im Rückblick kann man sich heute nur fragen, was größer war: die Ignoranz der Neo-Cons oder ihre Arroganz. Sie hatten keine Ahnung vom Irak, und es scheint, daß sie das nicht im geringsten gestört hat. Immerhin glaubten sie zu wissen, daß ein Schlag genügen werde, um den Job schnell zu Ende zu bringen und dann das nächste Ziel in Angriff zu nehmen. Wenn sie doch nur ihre britischen Verbündeten gefragt hätten, dann hätten sie etwas über das Land erfahren, das sie angriffen, zum Beispiel daß der Irak nie ein richtiger Staat war. Er wurde vom britischen Empire aus drei verschiedenen Regionen zusammengesetzt, um seinen Interessen zu dienen. Es war immer eine Diktatur nötig, um diese Regionen zusammenzuhalten: erst die britischen Kolonialherren selbst, später aussortierte lokale Diktatoren. Saddam Hussein war nur der letzte in dieser Reihe. Als die US-Armee die Macht des Diktators zerstörte, der die Regionen zusammenhielt, fiel das Ganze auseinander. Heute reißen zwei parallele Kriege das arme Land in Stücke: die sunnitische Rebellion gegen die amerikanische Besatzung und ein dreiseitiger Bürgerkrieg. In Washington plappern Politiker über die neue irakische Armee, die jeden Augenblick die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen will und die dem größten Teil der amerikanischen Kräfte den Rückzug erlauben wird. In Wirklichkeit gibt es gar keine richtige Armee – nur von einander getrennte Milizen von Kurden, Schiiten und Sunniten, und jede dient dem eigenen Führer. Die Amerikaner würden gern den größten Teil ihrer Kräfte aus dem Irak abziehen und nur eine kleine Garnison zurücklassen, um die Hand weiter fest auf den Ölreserven zu halten. Dieser Wunsch ist dabei, sich schnell in einen Traum aufzulösen. Das Ende wird wahrscheinlich wie in Vietnam sein. Die amerikanische Öffentlichkeit ist dabei, den hoffnungslosen Krieg zu hassen, und die Armee wird sich mit eingezogenem Schwanz zurückziehen und einen allgemeinen Zustand von Anarchie zurücklassen. Und was die Nachbarn betrifft: Die Washingtoner Neo-Cons haben sich schon in alle Richtungen zerstreut, und eine Militäraktion gegen den Iran und gegen Syrien steht nicht mehr zur Debatte. Der Irak frißt die amerikanische Armee, die aus Söldnern besteht, und schon wird der Mangel an Soldaten akut. Also was tun? Nun, man kann die beiden Staaten auch auf andere Weise kaputt machen, indem man Clausewitz' berühmten Spruch auf den Kopf stellt: »Politik ist nichts anderes als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.« Im Augenblick läuft weltweit eine amerikanische Kampagne, die dahin zielt, das syrische Regime durch nicht-militärische Mittel zu stürzen. Der Generalsekretär der UN, der zur Stimme seines (amerikanischen) Meisters geworden ist, spielt seine Rolle zusammen mit vielen Regierungen, die von den Wohltaten der USA abhängig sind. Der Mord an Rafik al-Hariri, dem früheren Ministerpräsidenten des Libanon, wird für diesen Zweck ausgenützt. Ich kann mich nicht erinnern, Washington bei einem politischen Mord in einem anderen Land jemals so aufgeregt gesehen zu haben, ob das ein fortschrittlicher Bischof in Zentralamerika oder ein muslimischer Scheich in Gaza war. Dieses plötzliche Drängen, die Mörder vor Gericht zu bringen, ist wirklich ziemlich neuartig und aufregend. Unsere israelische Regierung ist einer der aktivsten Partner bei dieser Kam-pagne zur Zerstörung Syriens. Auf hunderterlei Weisen trägt sie dazu bei. Syrien wird die Schuld an den Aktionen der Hisbollah angelastet. Syrien, so heißt es, helfe den palästinensischen »Terroristen«. Und anderes mehr. Der Chef unseres militärischen Geheimdienstes, der über unsere Medien häufig infantile Meinungen von sich gibt, verbreitet alle Arten von Verschwörungstheorien. Oberflächlich betrachtet, ist das logisch. Als Gegenleistung hat Washington die Besetzung der Golanhöhen von der internationalen Agenda gelöscht. Condoleezza Rice ist aktiv im Gazastreifen und in der Westbank, äußerte aber nie ein Wort über die israelische Besetzung des Golan, ein souveränes syrisches Gebiet. Der Landerwerb durch Krieg ist natürlich eine ernste Verletzung des Völkerrechts und der UN-Charta – aber George und Condi scheren sich nicht drum. Trotzdem würde ich vorschlagen, unsere Regierung möge doch zweimal darüber nachdenken, ob wir wirklich daran interessiert sind, den syrischen Staat zu zerstören. Wenn es dazu käme, wie würde es sich auf unsere nördliche Grenze auswirken? Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Rabin, 1976, als die Syrer in den Libanon einfielen. Heute hat man allgemein vergessen, daß es die Christen waren, die sie einluden und darum baten, ihnen gegen die PLO und die muslimischen Kräfte zu helfen. Als die Syrer sich der israelisch-libanesischen Grenze näherten, war in Israel die Hölle los. Verteidigungsminister Shimon Peres und seine Anhänger verlangten, im Libanon eine »rote Linie« zu ziehen, um den syrischen Vormarsch weit entfernt von der Grenze aufzuhalten. Ministerpräsident Rabin sah dies ganz anders. »Das ist idiotisch,« sagte er zu mir. »An unserer Grenze mit Syrien auf den Golanhöhen gibt es keine Probleme. Wenn die Syrer die nordisraelische Grenze halten, wird dort auch Ruhe herrschen.« Rabin hatte natürlich vollkommen recht. Leider gab er Peres und der allgemeinen Hysterie nach. Die syrische Armee wurde durch unsere Drohungen in einiger Entfernung von der Grenze gehalten. Das Vakuum, das dazwischen geschaffen wurde, wurde zunächst von der PLO gefüllt und später von der Hisbollah. Ziemlich dasselbe könnte jetzt an der syrischen Grenze noch einmal passieren, wenn das syrische Regime zusammenbricht und Anarchie ausbricht. Syrien ist ein sehr zerbrechlicher Staat. Dort leben zwar keine drei verschiedenen Völker wie im Irak. Aber es gibt tiefe, alte Rivalitäten zwischen Damaskus und Aleppo, zwischen Arabern und Kurden und vielen verschiedenen religiösen Denominationen. Die Syrer haben sich mit der Diktatur der Assadfamilie abgefunden, weil sie sich vor einer Anarchie fürchten. Seit 33 Jahren hat es an unserer Grenze mit Syrien keine Probleme gegeben, trotz des ungelösten Konflikts um die Golanhöhen. Wer weiß, was geschehen wird, wenn Syrien auf einmal zur Beute der Anarchie wird? Für Amerika ist das kein Problem. Aber für uns. Mit dem Iran ist es eine völlig andere Sache. Die iranische Nation ist eine vereinigte und starke Nation. Es ist möglich, daß die Iraner eine Atombombe fabrizieren. Viele sind davon überzeugt, daß dies für uns Israelis ein Alptraum ist: ein fanatisch islamischer Staat, der Israel haßt, im Besitz neuester Massenvernichtungswaffen ist und auch über die Mittel verfügt, sie anzuwenden. Ich mache mir darüber weniger Sorgen. Wir hören aus dem Iran extrem anti-israelische Slogans, und zugleich schließt er mit Israel still und geheim Geschäfte ab. In der Praxis benehmen sich die schrecklichen Ayatollahs sehr nüchtern und sachlich. Aber wenn wir verhindern wollen, daß ein Gleichgewicht des nuklearen Terrors entsteht, dann gibt es nur einen Weg: Wir sollten die verbliebene Zeit nützen, in der wir noch ein Monopol auf diesem Gebiet haben, und Frieden machen; zunächst mit dem palästinensischen Volk und dann mit allen Nationen in der Region. Im Zusammenhang mit dem Friedensprozeß könnte eine atomfreie Zone mit gegenseitiger Überwachung aufgebaut werden. Der Haken ist, daß es bei uns unmöglich ist, über das Atomwaffenproblem zu diskutieren, solange es unter »streng geheim« läuft. Deshalb schlage ich vor, es zur Diskussion zu stellen, damit wir es endlich in den Griff bekommen. Die Zeit dazu wäre wirklich reif. Und was das Riesenfräulein betrifft, so ist es auch an der Zeit, ihm zu sagen: »Laß die Nationen dieser Region in Ruhe! Sie sind keine Spielzeuge!« (Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Erschienen in Ossietzky 25/2005 |
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