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Bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai – also vor nur sieben Monaten – kandidierte die Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) erstmals, damals ohne Oskar Lafontaine, und erreichte mit wenig Geld und wenig Publizität (von Monopolmedien boykottiert) 2,4 Prozent der Stimmen. Die PDS hatte auf einer eigenen Kandidatur bestanden und kam auf 0,9 Prozent. Als Kanzler Gerhard Schröder noch in der Wahlnacht auf die Neuwahl des Bundestags zusteuerte, einigten sich PDS und WASG schnell auf ein gemeinsames Vorgehen. Es kam nicht zur Bildung einer gemeinsamen Wahlpartei, sondern zur Umbenennung der PDS in Linkspartei, die auf ihren »offenen Listen« auch WASG-Kandidaten plazierte. Bei der Bundestagswahl am 18. September kam sie auf mehr als doppelt so viele Stimmen wie die PDS drei Jahre zuvor: 8,7 statt 4,1 Prozent. Die neue Bundestagsfraktion der Linken zählt 54 Abgeordnete, darunter sind zwölf WASG-Mitglieder. Nach dieser Wahl wurde die Dynamik nochmals gesteigert. Im jüngsten »Kooperationsabkommen III«, einem »Rahmenabkommen zum Parteibildungsprozeß zwischen Linkspartei/PDS und WASG«, wird festgehalten, daß die Vereinigung »bis spätestens 30. Juni 2007« vollzogen sein soll. Man nimmt positiv Bezug auf ein »Potsdamer Dreieck«, was keinen Autobahnabschnitt, sondern ein »strategisches« Konstrukt bezeichnen soll, wonach soziale Proteste, Antikapitalismus und Regierungsbeteiligungen eine Einheit bilden. Schließlich erklären beide Seiten ihre Absicht, bei Wahlen auf keiner Ebene konkurrierend anzutreten, dies würden »die Parteivorstände mit allem Nachdruck vertreten«. Soweit, so dynamisch. Wäre da nicht der »große Stolperstein Berlin« (Bisky). Die Berliner Linkspartei.PDS hat es im Vorfeld der Bundestagswahl erfolgreich abgelehnt, daß auf ihrer Landesliste ein Mitglied der Berliner WASG kandidiert. Der Berliner Landesverband der WASG faßte in den letzten Wochen Beschlüsse, die von der Linkspartei einen Bruch mit der neoliberalen Regierungspraxis und gegebenenfalls einen Austritt der Linkspartei aus der Landesregierung fordert. Ist die Linkspartei in der Hauptstadt nicht zu einer solchen politischen Umorientierung bereit, so will die WASG bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Oktober 2006 als eigenständige Partei antreten. Seitdem die WASG Berlin auf ihrem Landesparteitag vom 26./27. November diese Beschlüsse mit Zwei-Drittel-Mehrheiten faßte, fahren die Vorstände der Linkspartei im Bund und im Land Berlin und der WASG-Bundesvorstand drei schwere Geschütze auf: Als erstes droht die Führung der Berliner Linkspartei offen mit feindlicher Übernahme. Parteichef Stefan Liebich: »Unser Bundesparteitag beschließt für den Übergangszeitraum bis zur Vollendung der Fusion Doppelmitgliedschaften. Wir werden unseren Berliner Mitgliedern nicht verbieten können, diese zu nutzen.« Lucy Redler vom WASG-Landesvorstand stellte fest: »Damit verläßt die PDS die programmatische Ebene und verlangt Unterwerfung der WASG unter die PDS.« Sodann behauptet die Fraktionsführung der Linken im Bundestag, eine Kandidatur der WASG in Berlin gefährde die »Fraktionsgemeinschaft im Bundestag«. Artikel 10 der Geschäftsordnung des Bundestags schreibt vor, daß einer Fraktionsgemeinschaft nur Mitglieder angehören dürfen, die »in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen«. Tatsächlich – so die Süddeutsche Zeitung – erklärt die Bundestagsverwaltung auf Anfrage, daß »Paragraf 10 in diesem Fall nicht greift«, da sich diese Bestimmung auf Fraktionsgemeinschaften zwischen zwei Parteien , wie diejenige zwischen CDU und CSU, beziehe. Die Linke im Bundestag ist jedoch keine Fraktionsgemeinschaft, sondern die umbenannte PDS, die auf ihren offenen Listen WASG-Mitglieder kandidieren ließ. Schließlich gibt es das Argument des Wählerwillens. Oskar Lafontaine erklärte am 3. Dezember auf dem Landesparteitag der Berliner Linkspartei.PDS: »Wir sind nicht mehr frei, ob wir zusammengehen wollen. Vier Millionen Wähler haben gesagt: Ihr sollt zusammengehen.« Richtig ist: Vier Millionen Wählerinnen und Wähler wählten die Linkspartei, weil sie in ihrem Wahlprogramm (und auf Plakaten, in Broschüren, mit Fernseh-Spots) forderte: »Weg mit Hartz IV«, weil sie »Ein-Euro-Jobs« ablehnte und weil sie verlangte, daß »Leistungen der Daseinsvorsorge und öffentliche Dienste von allgemeinem Interesse nicht der privaten Konkurrenz unterworfen werden dürfen«. Weil sie dabei versprach, besonders »den Ausverkauf öffentlichen Eigentums an Wohnungen und kommunalen Versorgungsunternehmen verhindern« zu wollen. Weil sie »Umverteilung von unten nach oben« propagierte. Weil sie »mehr direkte Demokratie« forderte und sich mit dem Argument empfahl: »Wir ermutigen die Bürgerinnen und Bürger zu selbstorganisierter Beteiligung bei der Aufstellung der öffentlichen Haushalte ... (Beteiligungshaushalt)«. Und weil sie »die Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages in Frankreich und in den Niederlanden« positiv wertete. Das Problem liegt offensichtlich nicht darin, daß etwa die Berliner WASG den Wählerwillen mißachten würde, sondern darin, daß die Berliner Linkspartei seit Bildung des SPD-PDS-Senats 2002 in allen diesen Punkten, die sich im Wahlprogramm der Linkspartei und ähnlich in der politischen Programmatik der Berliner PDS aus dem Jahr 2002 finden, souverän eine Politik betrieben hat und weiterhin betreibt, die all den zitierten Aussagen des am 27. August 2005 vom Parteitag verabschiedeten Wahlprogramms widerspricht. Hartz IV wird in Berlin umgesetzt; im öffentlichen Sektor wurden ohne Zwang in großer Zahl Ein-Euro-Jobs eingeführt, die nach Feststellung des Hauptpersonalrats reguläre öffentliche Stellen ersetzen. Seit 2002 wurden 15 000 Stellen im Landesdienst abgebaut; weitere 18 000 sollen bis 2012 abgebaut werden. Die Daseinsvorsorge wird reduziert und privatisiert – so mit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe; den privaten Investoren RWE und Veolia wurden hohe Renditen garantiert, die nun durch steigende Wassergebühren finanziert werden. Der SPD-PDS-Senat verkaufte 65 000 Wohnungen an die US-Heuschreckengesellschaft Cerberus. Auch auf Kosten der Schwächsten der Schwachen wird gespart, zum Beispiel durch massive Kürzungen an den Hilfen zur Erziehung (Hilfen für Kinder von Alkoholikern, psychisch Kranken, Migranten, Gewalttätigen und Armen). Die Politik von SPD und PDS im Bankenskandal – Abschirmung der Risiken privater Geldanlagen durch eine Landesbürgschaft, die Berlins Bevölkerung zwischen sechs und acht Milliarden Euro kosten wird – stellt eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben dar. Zwei Tage vor dem »Nein« der französischen Bevölkerung zur EU-Verfassung hatte der Bundesrat den Verfassungsentwurf angenommen – mit den Stimmen Berlins. Der Koalitionsvertrag sieht im Fall von Differenzen zwischen SPD und PDS Enthaltung im Bundesrat vor. Hans-Georg Lorenz, einer der Sprecher des linken »Donnerstag-Kreises« in der Berliner SPD, bescheinigt dem SPD-PDS-Senat, er nehme vielfach in negativer Weise »eine Vorreiterrolle für die ganze Bundesrepublik ein«. So trat Berlin als erstes Bundesland aus dem kommunalen Arbeitgeberverband aus und konnte den Gewerkschaften einen Anwendungstarifvertrag mit deutlichen Einkommensminderungen abpressen; den Beamten wurde das Weihnachts- und Urlaubsgeld gekürzt. Seither macht das Berliner Vorbild bundesweit Schule. Berlin wirkte bahnbrechend bei der Abschaffung der Lernmittelfreiheit. Nach der Risikoübernahme für die Bankgesellschaft wurde beschlossen, das Institut einschließlich der Berliner Sparkasse zu verkaufen – als erstes Bundesland wird Berlin sparkassenfreie Zone. Selbst dort, wo eine Basis mobilisiert war, auf die man sich im Interesse einer fortschrittlichen Politik (Stichwort: »Beteiligungshaushalt«) hätte stützen können, wurde eine entgegengesetzte Politik verfolgt: Ein breites Bürgerbündnis hatte mehr als 37 000 Unterschriften (25 000 waren laut Abstimmungsgesetz erforderlich) gesammelt und die Rückabwicklung der Bürgschaft für die Bankgesellschaft verlangt. Der SPD-PDS-Senat untersagte die zweite Stufe des Volksbegehrens, da es »in unzulässiger Weise in die Haushaltshoheit des Parlamentes« eingreifen würde. In Berlin droht eine Entwicklung mit negativen Folgen für die gesamte bundesdeutsche Linke. Eine junge Partei mit rund 10 000 Mitgliedern, die WASG, die ein wichtiges soziales Protestpotential und eine Linksdifferenzierung in den Gewerkschaften und am Rande der Sozialdemokratie zum Ausdruck bringt, wird zur Anpassungspartei zugerichtet. Am exponierten Ort, in Berlin, soll der Linken ein weiteres Mal TINA demonstriert werden: There is no alternative – es gibt keine Alternative zu Sozialabbau und Privatisierung. Die Hoffnung von Hunderttausenden Menschen auf eine neue linke Einheit im Interesse von Lohnabhängigen, Arbeitslosen und sozialen Bewegungen wird schwer beschädigt: Unter stillem Zwang entsteht eine hierarchische Partei, die im herrschenden System die klassische Funktion übernimmt, Proteste zu integrieren und zu kanalisieren. Der Berliner Tagesspiegel kommentierte: »Die Linkspartei.PDS spielt ein doppeltes Spiel. Und das ist richtig so, denn die Partei hat eine wichtige Funktion im Parteiensystem. Wo sie nicht regiert, wie im Bund, bündelt sie Oppositionskräfte und vertritt jene, die sich durch andere nicht vertreten fühlen. Wo sie mitregiert, wie in Berlin, dient sie als soziales Korrektiv und vermittelt die Politik auch gegenüber Bevölkerungsgruppen, die mit den Folgen unzufrieden sind.«
Erschienen in Ossietzky 25/2005 |
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