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Ihre Behauptungen haben den Zweck, die Wahrheit zu vernebeln, damit wir uns nicht beunruhigen, sondern still und brav bleiben. Eine Regierung, die an den bestehenden Machtverhältnissen nichts ändern will, kann kein Interesse daran haben, das Volk aufzuklären. Sie macht Propaganda, und Propaganda ist das Gegenteil von Aufklärung. Jetzt haben wir eine neue Regierung, die aber teilweise die alte ist. Sie verheißt eine Politik, die ganz und gar nicht neu ist. Immerhin bot uns Kanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung eine neue Parole: »Mehr Freiheit wagen«, anknüpfend an Willy Brandt, der 1969 mit der Parole »Mehr Demokratie wagen« seine Kanzlerschaft angetreten hatte (und uns bald darauf die Berufsverbote bescherte). »Mehr Freiheit wagen« – beglückt uns die neue Parole? Was bedeutet sie? Mehr Freiheit für wen? Mehr Freiheit wovon? Mehr Freiheit wozu? Wenn ich Angela Merkel richtig verstanden habe, verheißt sie mehr Freiheit den Konzernen und den Reichen, die ihr Geld möglichst profitabel anlegen wollen: möglichst viel Freiheit, Beschäftigte freizusetzen (weniger Kündigungsschutz), möglichst viel Freiheit von Verantwortung für die soziale Sicherheit der Beschäftigten (weniger Lohnnebenkosten), mehr Freiheit von Verantwortung für die Umwelt, mehr Freiheit von Verantwortung für die Jugend, mehr Freiheit von Verantwortung für die Alten, Kranken, Schwachen, mehr Freiheit von Steuerpflichten, mehr Freiheit zur Bereicherung, Wildwestfreiheit zur Aneignung dessen, was irgendwelchen Eingeborenen gehört. »Ich bin so frei«, sagt Nobelmann, und nimmt, was er nur kriegen kann. Der Staat soll sich aus der Wirtschaft heraushalten – was freilich nicht heißt, daß sich die Wirtschaft aus dem Staat heraushält, im Gegenteil. Aber wir, das Volk, sollen glauben, die regierenden Politiker hätten die Absicht, uns von staatlichem Druck zu befreien. Das suggeriert die Kanzlerin mit ihrer Parole »Mehr Freiheit wagen«: Mehr Freiheit, weniger Staat. – Ist das wünschenswert? Mag ja sein, daß einst im Urwald jeder Einzelne seines Glückes Schmied war. Aber empfahl es sich nicht schon damals, Schweres und Schwieriges zu zweien oder zu mehreren anzupacken? Der Einzelne hätte es nicht geschafft, ein fruchtbares Ufergebiet einzudeichen. So war es vernünftig, den Deichbau und die Instandhaltung der Deiche als Gemeinschaftsaufgabe – mit gleichen Rechten und Pflichten – zu vereinbaren. Was herauskommt, wenn solche Gemeinschaftsaufgaben vernachlässigt werden, haben dieses Jahr die armen Menschen in New Orleans erlebt (und viele haben es nicht überlebt). Es ist gefährlich, Gemeinschaftsaufgaben privaten Unternehmern zu überlassen – vor allem, wenn sie darum konkurrieren sollen, ihre Leistungen zu möglichst niedrigen Preisen anzubieten und möglichst hohe Profite zu erwirtschaften. Um so strenger müßten sie vom Staat kontrolliert werden. Aber das mißfällt ihnen. Sie wünschen weniger Aufsicht, weniger Auflagen, mehr Freiheit. Und sparen sich gern die Kosten für die Instandhaltung des Stromnetzes, das dann beim ersten Schnee zusammenbricht wie jetzt im Münsterland. Die neue Regierung will Bundesvermögen (Gemeinschaftseinrichtungen) im Wert von rund 50 Millionen Euro – von uns und unseren Vorfahren geschaffen – privatisieren, also gemeinschaftlicher, demokratischer Verfügung entziehen. Mehr Freiheit – weniger Demokratie. Der Merkel-Satz, der an Brandts Verheißung anzuknüpfen scheint, widerspricht ihr. Die Vorsitzenden der beiden Koaliationsfraktionen, Kauder und Struck, haben inzwischen auch schon den ersten kräftigen Schritt und Tritt in Richtund weniger Demokratie gewagt: Sie kündigten an, daß wir, das Volk, künftig nur noch alle fünf Jahre wählen dürfen. Werden wir es still und brav hinnehmen? Wenn ich bei Amtsantritt der Regierung Merkel, die zur ausdrücklichen Genugtuung Gerhard Schröders seine Politik fortsetzt, die Ergebnisse der Regierung Schröder zu resümieren versuche, muß ich nicht lange forschen und grübeln, um festzustellen: Es ist durchweg das Gegenteil dessen herausgekommen, was uns verheißen war, also kein Aufschwung, sondern Stagnation (jedenfalls auf dem Binnenmarkt), kein Schuldenabbau, sondern weitere Verschuldung (sogar in solchem Maße, daß die Bundesrepublik nun Jahr für Jahr gegen die EU-Verpflichtungen verstößt), keine Halbierung der Arbeitslosenzahl, sondern Vergrößerung und Verstetigung der Massenarbeitslosigkeit und drastische Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Arbeitslosen. Erinnern Sie sich noch, daß Gesundheitsministerin Schmidt (nach wie vor im Amt) uns versprach, ihre Gesundheitsreform werde dazu führen, daß unsere Krankenkassenbeiträge sinken? Jetzt kündigen die Kassen Beitragserhöhungen an – trotz aller Einschränkungen der Kassenleistungen. Ein Beispiel von vielen. Wenn sich eine Politik als grundfalsch erwiesen hat, sollten vernünftige Menschen sich für eine andere entscheiden. Ganz und gar töricht ist es, die verkehrte, schädliche Politik, statt sie zu beenden, noch zu forcieren – was jetzt geschieht. Selbstverständlich behaupten die regierenden Politiker, zu ihrer Politik gebe es keine Alternative. Das kennen wir. Beispielsweise Franz Müntefering (der mich immer, wenn ich ihn sehe, an Hans im Glück erinnert): Er scheint als glänzender Schmierenkomödiant sogar selber überzeugt zu sein, daß jede Verschlechterung eine Verbesserung ist; wir dürfen nicht daran zweifeln. Alternativen dürfen nicht gedacht werden. Das wäre subversiv. Immerhin gelang es dem Hamburger Reeder Peter Krämer, bei Christiansen seine Bereitschaft – und die etlicher anderer nachdenklicher Multimillionäre, die mit Sorge sehen, wie das Bildungswesen und vieles andere herunterkommt – zu höheren Steuerzahlungen vorzutragen. Bis hin zur Höhe des Steuersatzes in vergleichbaren Ländern. Alle drängenden sozialen Probleme wären dadurch zu lösen. Aber nein, die regierenden Politiker hören einfach weg, und die Konzernmedien schweigen, während Krämer geradezu bettelt, mehr zahlen zu dürfen. Ja, es gibt Alternativen. Auch das Hauptproblem ist lösbar: Massenarbeitslosigkeit muß nicht sein. Manche Medienmenschen (neulich zum Beispiel Anja Reschke in Panorama ) versuchen uns mit Aufklärergestus einzureden, dieses Problem sei unlösbar, jedes Streben nach Vollbeschäftigung sei illusorisch. Auch hier empfehle ich, das Gegenteil zu denken: Die technischen Veränderungen in der Produktion und Distribution und Verwaltung erzwingen organisatorische, politische Veränderungen. Wenn Güter mit weniger Arbeitsaufwand geschaffen werden können, dann soll dieser Fortschritt uns allen zugute kommen, nicht einseitig den Besitzern der Produktionsmittel (die dazu neigen, möglichst wenige Menschen zu beschäftigen und aus diesen möglichst viel herauszuholen). Wir alle könnten und sollten weniger Arbeit leisten müssen. Dem heutigen Stand der Technik angemessen wäre die Vier-Tage-Arbeitswoche mit dem Sieben-Stunden-Arbeitstag; wir haben es in Ossietzky schon gelegentlich dargelegt und werden es gelegentlich wiederholen. Wenn fünf oder sechs oder sieben Millionen derzeit Arbeitslose Lohnarbeit leisten und Lohnsteuer abführen und ihre Beiträge an die Sozialkassen entrichten und wenn wie früher die Unternehmer gleichermaßen einzahlen, werden die Löcher in diesen Kassen bald gestopft sein, und der Staat wird seine Ausgaben für Kultur und Bildung und anderes Nützliche nicht weiter kürzen müssen. Eine solche Politik setzt allerdings ein Gleichheitsdenken voraus, daß mit Merkels Freiheitsparole unvereinbar ist.
Erschienen in Ossietzky 25/2005 |
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