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Und ihm köstlich schmeckte. »Solch Mahl könnte man ein königliches nennen, aber ein Unedler genoß es«, bedauert Elisabeth, die englische Königswitwe, und leckt sich die Lippen. Nicht Shakespeares Richard, sondern Hans Henny Jahnns »Die Krönung Ri-chards III.« wird aufgeführt im Hamburger Schauspielhaus. Regie: Sebastian Nübling, Bühne und Kostüme: Muriel Gerstner. Jahnn begann das Stück als Dreiundzwanzigjähriger im Ersten Weltkrieg. Das Blut der Knaben, das damals vergossen wurde – war das der Anlaß? Der ausufernde Text, über 200 Seiten lang und schwer auf die Bühne zu bringen, ist auf dreieinhalb Stunden gekürzt – und zu einem Stück auch für Lautsprecher geworden, die Mitspieler sind und allgegenwärtig. Sie machen Verborgenes hörbar, geben Seelenregungen und Angst wider – Mikrophone werden zu Waffen, zum Wurfgeschoß oder Folterwerkzeug oder Knebel im Mund. Und zu Zeugen. Es wird kastriert und gemordet, vor und hinter der Bühne, doch Blut ist nie zu sehen. Richard ist irritiert von Blut, wischt ständig den Boden mit seinem Taschentuch rein, sinnt nach über einen unauffälligen, sauberen Mord. Sagt: »Ich kann nicht töten« und tut es doch so nebenbei oder läßt morden. Welche Todesart ist die richtige für seine Neffen, die beiden Prinzen? Die Körper müssen unversehrt bleiben, denn ihre Seelen sollen ihn nicht bedrängen. Richard, König geworden, muß nun handeln und hat doch die Sehnsucht, rein zu bleiben, die Unschuld der kindlichen Knaben soll ihn retten. Die Verantwortung schiebt er einem anderen zu: »Der mich schaffte, ist auch böswillig – Gott«, denn »wär er nicht in die Welt gegeben als ein Ding, so könnten wir nicht töten«. Immer träumt er sich zurück in den Mutterleib, in ihm tönt das Rauschen von Blut und Lebenswassern, er will verantwortungs-los sein, die Knaben sollen singen, ihn trösten, denn er weiß: »Ich kann in mir nicht glücklich werden.« Aber wem kann er trauen? »Die Knaben habe ich im Bad belauscht.« Hören, abhören, sein Mißtrauen kennt keine Grenzen. Den Schlaf aller Schloßbewohner belauscht er, und hört er seinen Namen, läßt er die Träumer greifen, morden. Die Lautsprecher sind unerbittlich, jedes Flüstern, ja den Angstatem geben sie zurück. Es ist unerträglich für Richard, etwas nicht zu wissen. Er spricht mit den Lautsprechern – kann er ihnen trauen? Diese Mikrophon-Lautsprecherwelt ist ein großes Gefängnis. Seine Vasallen hängen und hangeln sich daran entlang. »Seid stille, Lords. Die Majestät hört alles an«, flüstert der Kardinal Bourchier Hastings zu, der sich eingesperrt fühlt. Der Ausweg: sich gemein machen mit der Macht. »Heil, König Richard«, sagen alle und tanzen laut gegen die Angst mit ihren Step-Tanz-Schuhen an, jeder seine individuelle Kür, artistisch. Der König wundert sich: »Sind alle treue Untertanen worden?« Vielleicht hat er gehört, was Gurney, sein Mordbube, einem der Neffen anvertraute: »Wisse, Knabe, wir haben keinen Willen. Was unsere Hände tun, kommt vom König, in unserm Leib handeln die Gedanken der Majestät. Wir sind gute Untertanen.« Nur ausführendes Organ, ein kleines Rädchen im Getriebe. Und Gurney zu Richard, seinem Auftraggeber: »Ich habe in Eurem Sinn gehandelt, Mylord. Kein Vorwurf kann mich treffen. Ich griff die Lügen auf, die man zu jedem Krieg benutzt. Sie sind geheiligt.« Richard, der Psychopath, gibt Befehle und widerruft sie augenblicklich, könnte nicht selbst ausführen, »was ich aussprach«, und die Sünde »nicht einmal in Gedanken tun«, redet er sich ein und rettet sich zu den Jünglingen. Immer wieder stirbt er – sagt er – und steht wieder auf, »ein tausendfaches Wesen… zusammengewebt oder auch nur wie ein Staub zusammengeblasen«. Er scheint ersticken zu müssen an Worten, am Namen seines Freundes Buckingham, der ihn betrog wie alle andern. Er kann den Namen nicht mehr aussprechen, kotzt seine Seele aus – oder ist es ein Apfel? Oder doch Blut, was da an Mund und Körper herunterfließt und schwarz gerinnt? Dem nackten König gibt es das Aussehen eines Wilden, mit Stammeszeichen bedeckt. Zu ihm gesellt sich der Arzt Pulter, behend wie ein Affe, ihm ins Ohr flüsternd. Pulter, der alles von oben sah, aus der Perspektive der Lautsprecherberge, auf denen er herumkroch, ein Insekt. Die schwangere Königin muß sterben so wie die Prinzen, die Mordgehilfen, der Doktor – nur Richard hadert mit Gott. Immer wieder Gott, anklagend, fragend, suchend, sich bestätigend, erschöpft. Dann geht Gott über in ein Pferd: »Man wird ein Pferd mir bringen, mich zu retten. Ich aber will kein Pferd, ich will das Schlachten und mein Leben enden.« Er liegt auf dem Sargdeckel, der die Prinzen erstickt, und lauscht nur noch dem weißen Rauschen, das aus den Lautsprechern fließt. * Viel Beifall im Schauspielhaus für die Regie und die außergewöhnliche Leistung der Schauspieler, vor allem für Samuel Weiss, der den Richard spielte, abstoßend und anziehend zugleich. Im Thalia-Theater Beifallsstürme für Büchners »Danton«, ein einmaliges Gastspiel der Städtischen Bühnen Istanbul. Das Publikum vorwiegend türkisch. Die Deutschen, die kein Wort verstanden, erfreuten sich an der Musikalität und dem Einfallsreichtum des genialen Regisseurs Roberto Ciulli – eine schwere Hypothek für Michael Thalheimer, der es im März unternehmen will, seinen deutschen Danton ins Thalia zu bringen. Enttäuschung auf Kampnagel. Blasphemie en gros war angesagt mit »Messiah Game« von der Companie Felix Ruckert. Doch die dreistündige Düsseldorfer Uraufführung – 3sat bot Appetithäppchen – war hier auf die unwesentliche Hälfte zusammengekürzt: zuviel game und nix Messiah und schon gar keine Gotteslästerung.
Erschienen in Ossietzky 24/2005 |
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