Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Der Allensbacher JüngerOtto Köhler In der nun hundertjährigen Geschichte dieses Blattes gibt es auch – unbedeutende und unwesentliche – Anlässe zur Scham. William S. Schlamm, der spätere Stern - und Welt- Kolumnist für besonders schmuddeligen Kalten Krieg, war so einer; er hatte vorübergehend die Exil-Redaktion in Wien in seiner Hand und wollte sie nicht wieder hergeben. Ein anderer heißt Erich Peter Neumann. Kaum zwanzig Jahre alt kam er nach Berlin, um der »wilden Reaktion« in Schlesien zu entrinnen, den – wie er in seinem ersten Artikel für die Weltbühne im Mai 1932 schrieb – »zu plötzlicher Macht und Würde gelangten Konjunkturisten der Hitlerpartei«. Er berichtete von den geheimen Waffenlagern der damals eigentlich verbotenen SA und fragte: »Kann man verstehen, daß die linksradikalen Intellektuellen die Flucht ergreifen wollten?« Den Sozialdemokraten gab er »einen Hauptteil der Schuld am Vorwärtsschreiten des Fascismus«. Im Herbst folgten noch drei Neumann-Artikel über das Wüten der SA – auch in Berlin. Dann wurde Hitler die Macht überreicht, die Weltbühne verboten, und Neumann, dem die SA seine Wohnungseinrichtung zerschlug, floh zurück nach Breslau, wo es nach seinen Worten schon 1932 unmöglich war, »als Jude ohne Boykott- und Attentatsdrohungen zu leben«. Er war kein Jude. Der im Juli 1933 erwachsen gewordene Erich Peter Neumann wurde ebenfalls Konjunkturist und machte unter dem Pseudonym Hubert Neun journalistische Karriere. Zunächst aus Breslau und bald als Korrespondent in Dresden berichtete er für das Berliner Tageblatt über das segensreiche Wirken des brutalen sächsischen Gauleiters Martin Mutschmann – »König Mu«, nicht zu verwechseln mit dem demokratisch gesalbten »König Kurt«. 1940 holten ihn die Nazis zu der neugegründeten Goebbels-Wochenzeitung Das Reich. Zunächst Leiter des Innenressorts, schrieb er bald als Auslandskorrespondent und Kriegsberichterstatter aus den okkupierten europäischen Hauptstädten: »Frühling über dem Wenzelsplatz«, »Maitage in Paris« und – im März 1941 – »Wiedersehen mit Warschau«: »Die Juden, die noch im vorigen Winter einen erheblichen Teil der Straßenbevölkerung ausmachten, sind verschwunden.« Nicht ganz, sie wurden ins »alte Warschauer Getto« verbracht, wo sie Neumann besichtigte: »E s mag wohl kaum einen Ort des Kontinents geben, der einen so plastischen Querschnitt durch die Disziplinlosigkeit und Verkommenheit der semitischen Masse vermittelt. Mit einem Blick kann man hier die ungeheure abstoßende Vielfalt aller jüdischen Typen des Ostens überschauen; eine Ansammlung des Asozialen, so flutet es aus schmutzigen Häusern und schmierigen Läden, straßauf und straßab, und hinter den Fenstern setzt sich die Reihe der bärtigen, bebrillten Rabbinergesichter fort – ein grausiges Panorama.« In der Redaktion des Blattes, in dem Goebbels wöchentlich seinen Leitartikel schrieb, hatte Neumann viel mit Elisabeth Noelle zu tun, die das Judentum aus anderer Perspektive beurteilt hatte: »Seit 1933 konzentrieren die Juden, die einen großen Teil von Amerikas geistigem Leben monopolisiert haben, ihre demagogischen Fähigkeiten auf Deutschlandhetze.« Das hatte sie schon ein Jahr zuvor geschrieben in ihrer mit Unterstützung des Goebbels-Ministeriums angefertigten Dissertation über die neuentstandenen Massenumfragen in den USA. Die wollte sie auch in Deutschland einführen, allerdings »nach der deutschen Auffassung vom Wesen der öffentlichen Meinung«, die laut Dr. Goebbels »das Ergebnis einer willensmäßigen Beeinflussung ist«. Das war die Geschäftsidee nach der Katastrophe von 1945. Frau Noelle heiratete Herrn Neumann und gründete mit ihm das Allensbacher Institut für Demoskopie. Elisabeth Noelle, die – zu Recht – an die Astrologie ebenso fest glaubt wie an ihre Demoskopie, ist inzwischen 88 Jahre geworden, aber noch immer fleißig im Geschäft. Daß ihr erster Gemahl in Vergessenheit geriet, mag sie gegrämt haben. Im November 2003 aber – und das war sicher kein Zufall, wenn auch für viele überraschend – setzten das Deutsche Literaturarchiv Marbach und die Evangelische Akademie Tutzing auf das Programm einer Tagung über »Literarische und politische Deutschlandkonzepte 1938-1949« einen langen Vortrag über »Deutschlandkonzepte des Journalisten und demoskopischen Politikberaters Erich Peter Neumann 1938-1949«. Der Vortragende, Dr. Norbert Grube, war bereits wissenschaftlich hervorgetreten mit einer mutmaßlich sorgfältigen Untersuchung über »Westdeutsche Haarmoden und Haarpflege in den 50er und 60er Jahren im Spiegel demoskopischer Daten«. Nach der Haar- die Neumann-Pflege. »Seine Frau Elisabeth Noelle hat seinen Nachlaß privat verwahrt und dem zum Dank verpflichteten Verfasser« – Grube ist Leiter des Allensbacher Archivs – »den Zugang und die Archivierung gestattet«. Über die Tätigkeit des »aufstrebenden Jungjournalisten« in der »linkspublizistischen Szene« Berlins geht Grube in wenigen Sätzen hinweg. Und auch über den, gewiß, »antisemitische Wendungen enthaltenden Artikel ›Wiedersehen mit Warschau‹«. Ein »entsprechend eindimensionales Bild« dieses Artikels hätten Schriftsteller von Robert Neumann bis Otto Köhler gezeichnet. Dabei seien – und das ist wohl wahr – die »vielfachen Brüche im Lebenslauf Neumanns« nicht berücksichtigt. Brüche, die von der Zeit geheilt wurden. Frau Noelles Archivchef würdigt durchaus positiv, daß von Neumanns Jubelartikeln über »nationalsozialistische Musterbetriebe« unter Gauleiter Mutschmann nur »ein kleiner Weg« führt zu der von Allensbach mitgestalteten Aktion »Die Waage« (»Haste was, biste was!«), die für Ludwig Erhard Propaganda machte. Zwischendurch, so um 1943/44, zweifelt ein – Bruch – »antikapitalistisch gefärbter« Neumann am »Großteil des Bürgertums« mit seiner »raffgierigen, egoistischen Profitmaximierung«, kommt aber am Ende desselben »Essays«, der laut Grube wohl unveröffentlicht blieb, zu dem – erneuter Bruch – Ergebnis, das »europäische Abendland« müsse sich »gemeinsam stemmen« gegen den »von außen drohenden imperialistischen Bolschewismus«. Aus solchen Weisheiten, wie sie im Reich allwöchentlich auch der Goebbels-Leitartikel verkündete, macht der Noelle-Angestellte die »Deutschlandkonzepte« Neumanns, erhebt ihn zum Denker, der 1946 – Bruch – davon überzeugt ist, »das demokratische System« sei angesichts von Weimar »ein für allemal diskreditiert«. Neumann-Zitat: »Mir kommt es vor, als versuchten wir ein schmutziges Hemd noch einmal zu tragen.« Nachdem Neumann im Rückblick auf das Nazi-Reich zu dem Urteil gelangt ist: »In Deutschland ist mit bestem Menschenmaterial das grausame Experiment gemacht worden, 80 Millionen zu politisieren«, bekommt Allensbach bald von Bonn den Auftrag, die verbliebenen Millionen – wieder Bruch – zu entpolitisieren. Und Neumann setzt auf »wenige, geistig hochstehende, aufrichtige, unbeugsame Persönlichkeiten«– Adenauer eben. Die Demoskopen Noelle und Neumann raten dem Kanzler angesichts des Widerstands gegen die Remilitarisierung, die Steuer auf Bohnenkaffee kräftig zu senken: Adenauer gewinnt damit seine Wiederwahl. Und Erich Peter Neumann ist CDU-Bundestagsabgeordneter geworden. Er gehört, stets mit geeigneten Daten gefüttert von seiner Gemahlin, zum Viererkreis um Adenauer. Zusammen mit Hans Edgar Jahn, der gerade noch »die ganze Erbärmlichkeit der jüdischen Rassenseele« ausgeleuchtet hatte. Zusammen mit dem Freund und Reich- Kollegen Karl Willy Beer. Und zusammen mit dem Rassengesetz-Kommentator Hans Globke, der bald auch Adenauers Staatssekretär wird. Doch über diesen engen Beraterkreis des ersten Kanzlers nach Hitler verliert Norbert Grube kein Wort. Der Noelle-Angestellte stilisiert Neumann zum Denker und stellt dessen Werk in die Nachfolge Ernst Jüngers. Grube resümiert: »Die Allensbacher Umfragen wirkten als Seismograph und lösten so Ernst Jünger ab, dem Neumann diese Funktion noch 1946 zugesprochen hatte.« Die Vorträge des Kongresses, auf dem der Noelle-Angestellte sprechen durfte, sind inzwischen in einem renommierten Verlag erschienen (Zuckmayer-Jahrbuch Band 7, Wallstein Verlag Göttingen, 476 Seiten, 38 ).
Erschienen in Ossietzky 24/2005 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |