Helau! Die Reichensteuer

Otto Meyer

»Reichensteuer« klingt gut! Die Politiker scheinen doch noch begriffen zu haben, daß die Millionäre und tausend mal mehr die Milliardäre ihre angemessenen Beitrag zur Finanzierung der Staatsaufgaben leisten sollen. Und wer hat dafür gesorgt, daß CDU/CSU und SPD diese gute Absicht in den Koalitionsvertrag vom 11.11.2005 aufgenommen haben? Kaum zu glauben: Es soll die »sozial gewendete SPD« gewesen sein (wie sie sich jetzt von ihr nahestehenden Journalisten nennen läßt). Noch märchenhafter: Innerhalb der SPD sollen sich »die Linken« damit durchgesetzt haben, womit wohl Andrea Nahles gemeint ist; nachdem die anderen, die wir kannten, inzwischen fast alle ausgetreten sind. Aber auch Franz Müntefering versichert mit seinem unverwechselbaren treuen Augenaufschlag, die Sozialdemokratie habe in der Koalition für das »soziale Gewissen« zu stehen: Wenn wir schon den »kleinen Leuten« mit der erhöhten Mehrwertsteuer und den gekürzten Leistungen für Arbeitslose, Rentner und Kranke tief in die Taschen greifen müssen, dann sollen auch »die mit den breiten Schultern« ihren Teil tragen! Der SPD-Parteitag konnte daher mit überwältigender Mehrheit dem Koalitionsvertrag zustimmen. Und der ist echt sozialdemokratisch betitelt: »Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit«.

Reichensteuer? Wird nun etwa wahr, was viele aus den sozialen Bewegungen von attac bis zu den Gewerkschaften seit Jahren immer wieder fordern und was auch »die Linken« auf SPD-Parteitagen oft genug als Programmpunkt eingebracht haben? Wird also endlich die seit 1997 ausgesetzte Vermögenssteuer wieder erhoben? Die Vorschläge liegen seit langem auf den Tischen der Ministerien: Von jedem Vermögen, das über 500 000 Euro, bei Verheirateten eine Million hinausgeht (Freibetrag), sollte der Fiskus wie in anderen Ländern 0,5 bis ein Prozent erheben. Das brächte – legt man zum Vergleich die Einnahmen in anderen Industrieländern wie etwa Großbritannien oder USA zugrunde – in Deutschland rund 50 Milliarden Euro jährlich. Sollte tatsächlich die große Koalition den Skandal beenden, der darin besteht, daß hierzulande große Vermögen – ermöglicht durch gesamtgesellschaftliche Arbeitsleistungen und staatliche Dienstleistungen – weiter wachsen und wuchern können, ohne daß für deren Bestandsschutz auch nur ein einziger Cent abverlangt wird? Selbst Erbschaftssteuern sind in der BRD so gering ausgestaltet, daß die nächste Generation der Reichen ihr Erbe fast ohne Einbußen übernehmen kann: Schwarz-Rot will bei Firmenfortführung auf jegliche Steuer verzichten.

Und nun doch eine Abgabe auf das große Kapital? Aber nein, bei genauem Lesen platzen solche Träume: Im Vertragstext ist lediglich angedeutet, daß es »eine Erhöhung der privaten Einkommensteuer für besonders hohe Einkommen (250 000/500 000 Euro) ab dem 1.1.2007 geben soll«; für Einkünfte, die darüber liegen, sollen statt 42 dann 45 Prozent fällig werden (nachdem 1999 noch 53 Prozent zu zahlen waren). Das Vermögen bleibt also unangetastet. Erst wenn daraus zusätzliche Einkommen entstehen, die bei einem Ehepaar über 500 000 Euro hinausgehen, sollen wieder drei Prozent mehr Steuern fällig werden – also wenn ein Vermögen von mehr als fünf Millionen Euro mindestens zehn Prozent Zinsen oder eines von zehn Millionen Euro fünf Prozent abwürfe. Und zur Beruhigung dieser wirklich Reichen wird sogleich das Schlupfloch genannt: »Dieser Zuschlag betrifft nur die nichtgewerblichen Einkünfte.« Kein Vorstandsvorsitzender mit Einkünften in Millionenhöhe, auch kein Firmeninhaber wie Carl Al-brecht (Aldi Süd) mit 400 Millionen Euro Vermögenszuwachs im vergangenen Jahr ist demnach betroffen; seine Einkünfte stammen ja aus gewerblicher Tätigkeit. Den heute noch Betroffenen werden findige Finanzdienstleister im Nu die Umleitung ihrer Einkünfte durch einen Gewerbebetrieb nachweisen können. Das ist wohl auch der Grund, weshalb im Koalitionsvertrag nichts über die Höhe der aus der »Reichensteuer« etwa zu erwartenden Einnahmen zu lesen ist.

In unserer anfänglichen Euphorie haben wir den Fehler gemacht, das Datum des Koalitionsvertrages nicht richtig zu beachten: 11.11., Karnevalsbeginn! Die verheißene »Reichensteuer« stellt sich als ein Faschingsscherz heraus – ein schönes Märchen für lausig kalte Zeiten. Wer das Kleingedruckte liest, muß feststellen, daß kein Politiker der großen Koalition im Ernst daran gedacht hat, den Bestand und die weitere Anhäufung des Reichtums in Deutschland anzutasten. Das große Eigentum ist und bleibt heilig – gerade auch für Sozialdemokraten.

Erschienen in Ossietzky 24/2005