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Uns geht's gutPünktlich zum »Weltspartag« konnten die Presseagenturen in der Bundesrepublik Erfreuliches melden: »Die Deutschen sparen immer mehr«, titelten die Zeitungen und wußten zu berichten (hier in einer Reuters-Version, von der Süddeutschen Zeitung publiziert): »In wirtschaftlich unsicheren Zeiten legen die Deutschen wieder mehr Geld auf die hohe Kante. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, brachten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres die privaten Haushalte insgesamt etwa 78,6 Milliarden Euro auf ihre Sparbücher oder investierten es in Sachvermögen. Die Neigung der deutschen Haushalte, den Gürtel enger zu schnallen, ist seit dem Jahre 2000 kontinuierlich gestiegen.« Da rede noch jemand von einer wachsenden Armut in unserem Lande! Allerdings, kleine Zweifel können aufkommen, dann jedenfalls, wenn man nicht auf den statistischen Durchschnittsdeutschen vertraut, sondern andere Daten zur Kenntnis nimmt: Die Zahl der Millionärshaushalte ist steil angestiegen. Gleichzeitig aber auch die Zahl derjenigen Haushalte, die ihre Ersparnisse auflösen müssen. Und derjenigen, die Schulden machen müssen. Drei Millionen Haushalte sind bereits überschuldet, also nicht mehr fähig, die Schulden abzuzahlen. Aber davon sollen wir uns nicht beirren lassen, denn: »Wir sind Deutschland!« Wir alle: die einen, die den Gürtel ganz eng zu schnallen haben, und die anderen, die Geld auf die hohe Kante legen können, viel Geld, immer mehr. Marja Winken Kundenzüchtung in der SchuleArno Klönne hat in Ossietzky 22/05 warnend darauf hingewiesen, daß unsere Schulen auf dem Privatisierungsprogramm der »hochvermögenden Clans« stehen, weil hier große Profite bei kleinem Risiko zu erwarten sind. Ich will anmerken, daß das Kapital schon heute in allen Schularten unternehmerisch tätig ist – und zwar in solchem Ausmaße, daß dieser Tage die Verbraucherschützer Protest erhoben haben. Ihnen ist nämlich aufgefallen, daß Unternehmer und deren Marketing-Experten Bildungsstätten als wichtige Orte für die Werbung künftiger Kunden und für deren »Markenbindung« entdeckt haben. Edda Müller, Leiterin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, forderte »ein klares Signal gegen das Besorgnis erregende Vordringen der Produktwerbung«. Der Direktor eines Gymnasiums in Unna, Helmut Schorlemmer, erklärte in einer Studie, gut jede dritte Schule arbeite mit Sponsoren zusammen: »Sponsoring und Partnerschaften sind Alltag im ganzen Bundesgebiet.« Die Verbraucherschützer fügten hinzu, daß die Grenzen zwischen »schülerfreundlicher« Hilfe und Produktwerbung zumindest fließend sind. Es reicht ja bereits, wenn der Lehrer sagt, wer den neuen, schnellen, besonders guten Computer gestiftet hat oder welche Getränke- oder Schokoladefirma das Schulfest und den Ausflug gesponsort haben. Nur Gutgläubige können annehmen, daß Firmen aus Edelmut und nicht aus Eigeninteresse spenden. Sie haben nämlich erkannt, daß Schülerinnen und Schüler zwischen 6 und 19 Jahren über eine jährliche Kaufkraft von 20 Millionen Euro verfügen. Daß sie das Kaufverhalten ihrer Eltern mitbestimmen. Und daß man Kinder an Marken binden kann, denen sie treu bleiben. Blauäugig fordern die Verbraucherschützer klare Richtlinien, damit die Sponsoren keinen Einfluß auf Ausrichtung und Themenauswahl im Unterricht nehmen. Aber die Unternehmer brauchen offenkundig nicht zu befürchten, daß verantwortliche Politiker ihnen in die Quere kommen. Ein Beispiel: Annette Schavan (CDU). Als sie noch Kultusministerin in Baden-Württemberg war, fand Beispiel in Stuttgart ein Kongreß »Unternehmen Schule« statt, an dem 240 Lehrer und Wirtschaftsvertreter teilnahmen. Einig war man sich unter anderem darin, daß »Denkweisen und Methoden der freien Wirtschaft« den Unterricht prägen müssen. Die Repräsentanten der Unternehmen versprachen großzügig materielle und finanzielle Hilfe, forderten aber als Ausgleich Firmenlogos in den Klassenzimmern, Pausenradios mit Werbespots, Firmenpräsentationen bei Schulfesten und Reklame in Schulbüchern. Mit dem »Elfenbeinturm Schule« müsse endlich Schluß sein. Wenn auch noch nicht alle diese Wünsche erfüllt sind, so wurden die Weichen doch bereits gestellt. Hauptweichensteller ist die Welthandelsorganisation (WTO), die schon vor einem Jahr »die weltweite Marktöffnung für Bildung« verlangt hat – also die Privatisierung mit allen von Arno Klönne aufgezeigten Konsequenzen. Und Annette Schavan bringt es jetzt zur Bundesbildungsministerin. Werner René Schwab
Who's who: Norbert LammertWer ist eigentlich wer? Seit langem war Norbert Lammert schon Vizepräsident des Deutschen Bundestages, einer der Vizepräsidenten. Damit diese Persönlichkeiten unter der Last der Arbeit nicht zusammenbrechen, gibt es dort mehrere Stellvertreter. Genau genommen: Es kann von den Vizes gar nicht genug geben. Pensionsfragen spielen vielleicht auch eine Rolle. Nun hat Der Tagesspiegel den neuen Bundestagspräsidenten zur »Frage des Tages« verklärt: »Wer ist Norbert Lammert?« Ein fast halbseitengroßes Farbfoto zeigt, wie er aussieht. »Er ist zurückhaltend, unauffällig. Dabei ist er um keine Antwort verlegen – sein Einfluß reicht weit. Eigentlich sollte er im Kabinett Kulturstaatsminister werden. Jetzt wird er Bundestagspräsident. Kann er das?« So wie er aussieht, kann er das. Lammert, 1948 in Bochum geboren, also im Ruhrpott, ähnelt auch ein bißchen dem erwachsenen Harry Potter (wie ich ihn mir vorstelle). Quasi ein Ruhr-Potter. Er hat in Bochum und Oxford studiert, promoviert, war als Dozent in der Jungen Union, in der CDU, im Bochumer Stadtrat und im Bundestag tätig. 1989 avancierte er zum Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Jürgen W. Möllemann. »Unbeliebt hat Lammert sich« laut Tagesspiegel »tatsächlich nie gemacht«. Der vielseitige Lammert, zu dessen Studienfächern Politikwissenschaft, Soziologie, Neuere Geschichte und Sozialökonomie gehörten, wurde demzufolge und logischerweise auch Koordinator für die deutsche Luft- und Raumfahrt. In dieser Eigenschaft konnte er allerdings seinen früheren Chef Möllemann vor dessen absichtsvoll tödlichem Fallschirmsprung nicht retten. »Wer wie er stets die Weisheit des 5. Jesuitengenerals Claudio Acquaviva beherzigt und suaviter in modo, also sanft im Vorgehen ist, der kann in der Sache schon etwas deutlicher werden, ohne sich unbeliebt zu machen«, meint das zitierte Blatt. »Eine von Lammerts Stärken ist zweifellos sein leiser, ganz und gar unpolemischer Ton.« Auf dem Festakt zur 50jährigen Bundeswehr-Existenz ließ der Bundestagspräsident sein sanftes Vorgehen an den Kleiderhaken hängen und die Katze aus dem Sack, als er lauthals verkündete: »Auf unsere Bundeswehr können wir uns verlassen!« Wer ist mit wir gemeint? Und in welcher Situation können sie sich auf ihre Bundeswehr verlassen? Darüber dürften aufmerksame Leute, die in entscheidenden Momenten nicht wegzuhören pflegen, ein bißchen nachdenken. Felix Mantel
Neue Weltordnung – neue Kriege»Die beste Art, den Frieden zu wahren, ist, den Krieg zu unseren Bedingungen neu zu definieren.« US-Präsident George W. Bush am 13. 2. 2001 in Norfolk Mit dem Zerfall des Sozialismus in Europa waren auch die Friedenspotenziale der sozialistischen Staaten zerstört. Damit schienen die Träume vieler Falken des Imperialismus Wirklichkeit zu werden, eine neue Weltordnung nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Schon bald definierten US-Strategen ihre neue Weltordnung. So las man Anfang 1991 in der Zeitschrift Foreign Affairs: »Unsere beste Hoffnung auf Sicherheit in solchen Zeiten sind Amerikas Stärke und die Willenskraft, eine unipolare Welt zu führen, ohne Scham, die Regeln der Weltordnung festzulegen und sie gegebenenfalls auch zu erzwingen.« Mit dem Erzwingen der Regeln der neuen Weltordnung beschäftigen sich mehrere sachkundige Autoren in einem Sammelband über die »Kriege zur Neuordnung der Welt«. Kriege unter den neuen Bedingungen des 21. Jahrhunderts sind gekennzeichnet von extremer Ungleichheit der militärischen Fähigkeiten der kämpfenden Seiten. Die eine Seite verfügt beispielsweise über Hochtechnologie, Präzisionswaffen, weltraum- und luftgestützte Aufklärungssysteme, modernste Informations- und Führungstechnologie, überlegene Luftkriegsmittel. Diese Überlegenheit ermöglicht Kriege ohne direkten Feindkontakt, wie das Beispiel der NATO-Aggression gegen Jugoslawien gezeigt hat. Auf der anderen Seite führt diese Entwicklung zum Anwachsen von »Kollateralschäden«, wie die NATO die zivilen Opfer ihrer Kriegsführung zynisch genannt hat. Die Kriege der Gegenwart werden von den USA als »Kriege gegen den Terror« bezeichnet. Ernst Woit, einer der beiden Herausgeber des Bandes, merkt dazu an: »Mit der Formel ›Krieg gegen den Terror‹ haben die USA eine noch raffiniertere und noch manichäischer argumentierende Kriegsapologetik entwickelt, als es vordem schon die Formeln ›humanitäre Intervention‹ und ›Krieg für Menschenrechte‹ waren.« Immer enger verbindet sich der militärische Kampf mit bewährten Methoden des Kalten Krieges (politischer, diplomatischer, ökonomischer und ideologischer Kampf). Alle Aktivitäten zur Gestaltung der »neuen Weltordnung« mit Hilfe »neuer Kriege« sind direkte Angriffe auf die alte, auf dem Völkerrecht basierende Friedensordnung, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen konzipiert ist. Wenn einzig und allein die Vereinigten Staaten mit ihrer imperialistischen Machtpolitik entscheiden, wann eine Bedrohung des Friedens vorliegt, und wenn sie das in der UN-Charta verankerte Recht auf Selbstverteidigung zur Legitimierung militärischer Interventionen mißbrauchen, dann ist das der Todesstoß für das ohnehin schon immer brüchige kollektive Sicherheitssystem der Vereinten Nationen. Der Sammelband enthüllt, wie moderne Kriege vorbereitet und geführt werden. Damit gibt er der Friedensbewegung wertvolle Anregungen. Aber auch die potentiellen Opfer unter den angeblichen »Schurkenstaaten« sollten die hier vermittelten Lehren aufmerksam beachten. Klaus Eichner Ernst Woit/Wolfgang Scheler (Hg.): »Kriege zur Neuordnung der Welt. Imperialismus und Krieg nach dem Ende des Kalten Krieges«, Kai Homilius Verlag, 306 Seiten, 24,80
Einige Worte von Harold PinterVor dem Nobelpreis für Literatur erhielt der britische Dramatiker Harold Pinter in diesem Jahr schon den Wilfred-Owen-Preis. In seiner Dankesrede befaßte er sich mit der Invasion der USA und Großbritanniens im Irak. Er nannte sie »verbrecherisch«, einen »eklatanten Fall von Staatsterrorismus«. Mit ihrer »eigenmächtigen Militäraktion«, die durch »eine Serie immer neuer Lügen und grober Manipulationen der Medien und damit der Öffentlichkeit« vorbereitet worden sei, zeigten die Invasoren ihre »absolute Verachtung des Völkerrechts«. Ihr eigentliches, als »Befreiung« getarntes Ziel sei es, »die militärische und ökonomische Kontrolle der USA über den Nahen Osten zu festigen«. Pinter sagte: »Wir haben den Menschen im Irak Folter, Streubomben, abgereichertes Uran, unzählige wahllose Morde, Elend und Erniedrigung gebracht und nannten es ‚Freiheit und Demokratie in den Nahen Osten bringen'.« Damit hätten die Invasoren »unaufhörlichen Widerstand und chaotische Zustände entfesselt«. Zum Thema Wahl im Irak zitierte Pinter US-Präsident Bush: »Wir können nicht akzeptieren, daß in einem Land, das unter ausländischer militärischer Besatzung steht, freie demokratische Wahlen stattfinden.« Bush habe das allerdings nicht im Hinblick auf den Irak, sondern auf den Libanon gesagt, weil dort syrische Soldaten stationiert waren... – Über die Sprache und die Handlungen der Regierungen in Washington und London äußerte Pinter »Verachtung, Ekel, Übelkeit und Scham«. Red.
Vögel ohne FlügelWohl noch nie habe ich ein so trauriges Buch gelesen. Louis de Bernières großer Roman »Birds without Wings«, der jetzt als »Traum aus Stein und Federn« in deutscher Übersetzung vorliegt, zeichnet den Untergang einer kleinen Stadt im südwestlichen Kleinasien in der Phase des Zerfalls des Osmanischen Reiches bis zur Entstehung der heutigen Türkei nach – ein klassisches Liebes- und Familiendrama, in dem der Autor persönliche und politische Handlungsstränge aus den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts miteinander verknüpft. Es ist schwer, der tiefen Melancholie dieses Buches zu entgehen, zu dessen Ende die meisten der liebe- und verständnisvoll gezeichneten Charaktere – die schöne Christin Philothei, der gleichmütige Moslem Fikret, die traurige Hure Tamara und viele andere – zerrieben sind in dem Mahlstrom von Krieg, Deportation, Völkermord, Bandengemetzel und religiösem Fanatismus, aus dem die heutige Türkei hervorgekrochen ist. Wer sich im Sterben des Osmanischen Reich nicht auskennt, wird freilich angesichts der wechselnden Handlungsorte gelegentlich einen Geschichtsatlas zur Hand nehmen müssen. In dem Bemühen, mit der Lebensgeschichte von Mustafa Kemal, genannt Atatürk, auch die große Politik in den Roman einzuweben, drängt Bernières im zweiten Teil des Romans zuweilen die eigentlichen Handlungen arg in den Hintergrund. Dennoch: Wer sich für die kommenden Diskussionen über den Beitritt der Türkei zur EU gründliches Verständnis der historischen Dramen zwischen Schwarzem und Ägaischem Meer aneignen möchte, sollte sich in diesen Roman versenken. Und wer beim nächsten Urlaub in der Türkei, in Griechenland oder auf Kreta mehr von dem Land seiner Wahl verstehen will, vergesse nicht, ihn ins Gepäck nehmen. Manfred Sohn Louis de Bernières: »Traum aus Stein und Federn”, S. Fischer, 680 Seiten; 19,90
Wild auf den WestenNeben dem Unabhängigkeitskrieg ist es der Mythos des Wilden Westens, der bis heute die Kultur der Vereinig- ten Staaten prägt. Die Idee vom »Manifest Destiny« – der angeblichen Bestimmung des weißen Mannes, die »unzivilisierten Wilden« des Westens zu Demokratie und Menschenrechten zu erziehen – war der ideologische Überbau, der den Treck zur Westküste rechtfertigen sollte. Auch die heutige US-Regierung stellt sich in diese verlogene Tradition, wenn sie Afghanistan und den Irak »zivilisiert«, diese Länder also mit kriegerischen Mitteln unter ihre politische und wirtschaftliche Kontrolle bringt. Der Pioniermythos eignete sich von Anfang an zur popkulturellen Verherrlichung. »The Great Train Robbery« von 1903 ist nicht nur der erste Spielfilm aller Zeiten, sondern zugleich der erste Western. Bis in die Siebziger Jahre hinein beherrschten Cowboys und Indianer die Leinwände und Bildschirme der (westlichen) Welt; dann sattelten die Filmemacher auf Weltraum-Abenteuer um, wobei ihre Geschichten allerdings dieselben blieben. Trotz aller Bemühungen von Regisseuren wie John Ford, den reißerischen Wildwestfilm zum existentialistischen Charakterdrama umzuformen, herrschte immer eine bereinigte, romantisierende Sicht auf den Westen vor, der alles war, nur nicht wild. Erst in den Neunziger Jahren kamen mit Spielfilmen wie »Der mit dem Wolf tanzt« oder »Erbarmungslos« naturalistische Spätwestern in die Kinos, die mit einigen Aspekten des Mythos aufräumten. Einen neuen Trend konnten sie nicht durchsetzen. Das Genre gilt als tot. Seit dem vergangenen Jahr strahlt der US-Kabelsender HBO – auch verantwortlich für TV-Produktionen wie »Die Sopranos« oder »Six Feet Under« – eine neue Westernserie namens »Deadwood« aus; die ersten zwölf Episoden sind in Deutschland jetzt auf DVD erhältlich. Was sich da abspielt im South Dakota des Jahres 1876, ist keine Sekunde lang romantisch, sondern wir erleben unvorstellbare menschliche Verrohung. Deadwood ist der Name einer Goldgräbersiedlung ohne Gesetz, schließlich steht sie auf Indianergebiet, und an die Gesetze der Indianer hält sich kein Weißer. Alle Versuche der Regierung in Washington, die Goldfunde geheimzuhalten und das Black Hills Reservoir für die Ureinwohner zu sichern, sind fehlgeschlagen. Hier treffen Glücksritter, Diebe und Raubmörder aufeinander; in der aufblühenden Kleinstadt geben fast ausschließlich kriminelle Männer den Ton an. In diesem sozialdarwinistisch geprägten Milieu spiegelt sich die heutige US-Gesellschaft der Bush-Krieger, die weltweit nach flüssigem Gold graben. Die »Deadwood«-Farbskala ist auf Erd- und Fleischtöne reduziert, was eine lebensechte Wirkung ergibt. Die schnellen und derben Dialoge sollte man sich im englischen Original anhören, da sie für die Synchronfassung abgemildert wurden. Überdies läßt der Warnhinweis auf der DVD-Box Böses ahnen: Offensichtlich ist für Fernseh-Ausstrahlungen eine entschärfte Fassung der Serie produziert worden. Jede Entschärfung bedeutet aber eine Verharmlosung und künstlerische Kastration, die in der Literatur zu Recht als Zensur gebrandmarkt würde. Leider verzichtet die europäische DVD-Ausgabe der ersten »Deadwood«-Staffel auf sämtliche Interviews, Kommentare und Hintergrundberichte, durch die sich die US-Fassung auszeichnet. Die FSK-Freigabe ab 16 Jahren ist im Hinblick auf die gezeigten Bestialitäten großzügig; Minderjährige können sich an den Schreckensszenen delektieren, ohne ihre psychische und soziale Dimension zu begreifen. Die erste Staffel von »Deadwood« ist wie ein Spielfilm mit über zehn Stunden Laufzeit inszeniert. Wohl noch nie ist der Wilde Westen in der Popkultur so konsequent als das gezeigt worden, was er wirklich war: eine von »zivilisierten« Menschen geschaffene Hölle. Deadwood gab und gibt es wirklich – heutige Einwohnerzahl: 1380 –, und auch viele der gezeigten Charaktere wie Calamity Jane oder Wild Bill Hickok sind der Historie entnommen. Diese TV-Serie nimmt ihre ZuschauerInnen ernst, mutet ihnen viel zu und bietet Unterhaltung auf hohem inszenatorischem, darstellerischem und erzählerischem Niveau. Martin Petersen » Deadwood«, vier DVDs, 640 Minuten, Paramount Pictures, ca. 34
Walter Kaufmanns Lektüre»Manchmal genügt der Geruch von gammeligem Stroh oder ein Vogelschrei, um mich weit weg und tief in mich hinein zu schleudern.« Der dies schreibt, hat die Shoah überlebt, sich am Ende nach Palästina retten und dort mit neuem Namen ein neues Leben beginnen können: Aharon Appelfield. Bei Kriegsbeginn war er sieben Jahre alt, ein behütetes Kind assimilierter Juden in Czernowitz. Seine Kindheit findet mit der Ermordung der Mutter ein jähes Ende – ihr Schrei wird ihn ein Leben lang verfolgen. Als er nach Monaten im Ghetto und dem Todesmarsch durch die Steppen der Ukraine im Lager eintrifft, wird er vom Vater getrennt. Wie ihm die Flucht in die Wälder gelingt, ist ausgelöscht in seiner Erinnerung, nicht aber jener Baum mit roten Äpfeln. Allein im Wald von Tieren bedroht, versteckt er sich, bis der Regen einsetzt und es bitter kalt wird. Erst da wagt er, an Türen zu klopfen – und findet Unterschlupf bei einer Prostituierten. »Was willst du?« fragt die Frau. »Ich will arbeiten«, antwortet der Junge – drei kluge Worte, und klug ist, daß er sich als christliches Waisenkind ausgibt. Er schuftet für die Frau, bis sie ihn eines Tages im Jähzorn vertreibt... Lagern, wo Gaukler, Schmuggler und Diebe gestrandete Kinder für sich arbeiten lassen –, bringt ihn ein Schiff nach Palästina. Er kommt allein, ein Vierzehnjähriger, dem nicht einmal die Sprache blieb, der alles verloren hat und neu beginnen muß. Auch davon wird erzählt – dem Neubeginn im Land der Juden, der Eroberung der fremden Sprache, dem Werden zum Künstler bis hin zu der Einsicht: »Ein Schriftsteller, wenn er denn einer ist, schöpft aus sich selbst und schreibt auch meistens über sich, und wenn das, was er schreibt, Bedeutung hat, dann ist das so, weil er sich selbst, seiner Stimme und seinem Rhythmus treu bleibt.« Walter Kaufmann Aharon Appelfeld: »Geschichte eines Lebens«, aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer, Rowohlt Berlin, 201 Seiten, 17.90
Der lebendige FriedhofHier hat jemand einen ganzen Friedhof zum Leben erweckt. Die beharrliche Hamburger Dokumentarin Ursel Hochmuth, die seit vielen Jahrzehnten Bücher über den Hamburger Widerstand gegen den Faschismus veröffentlicht, hat ein Buch über die Geschichte des Ehrenhains auf dem Ohlsdorfer Friedhof geschrieben. Das ist ein versteckter kleiner Friedhof auf dem großen, und dort liegen die Gräber von 56 hingerichteten Kämpfern, darunter ihr Stiefvater Franz Jacob. Jeder hat eine umfangreiche Geschichte. Indem sie all diesen Geschichten mit ihren vielen, vielen Verzweigungen nachgegangen ist, hat sie ein exemplarisches Bild des Widerstandes aufgezeichnet, mit Helfern, Spitzeln, schändlichen Richtern und treuen Freunden. Eine einzelne Geschichte: die neunzehnjährige Verkäuferin Erika Etter aus einem sozialdemokratischen Elternhaus, die 1941 den Prothesenbauer Werner Etter heiratet. Der hat als Jungkommunist schon zwei Jahre politische Haft hinter sich. Während sie 1944 in Mecklenburg ihren Sohn Jan zur Welt bringt, werden in Hamburg zuerst ihre Eltern, dann ihr Mann und schließlich ihr Bruder und seine Verlobte verhaftet, weil sie den aus dem Wehrmachtgefängnis geflüchteten Soldaten Herbert Lübbers versteckt haben oder davon wissen. Dann bekommt ihr kleines Kind schwere Diphterie und stirbt. Sie geht zur Gestapo, um ihren Mann freizubekommen. Im Zimmer des Kriminalsekretärs Henry Helms trifft sie auf den versteckt gewesen Soldaten Lübbers, der sich inzwischen zu einem Spitzel hat pressen ist. Sie schreit ihn an: »Du hast meine ganze Familie auf dem Gewissen!« – und wird sofort festgenommen. In der Haft erfährt sie nicht, daß ihr Mann Werner am 5. Januar 1945 vom 2.Senat des Volksgerichtshofes zum Tode verurteilt und am 19. Februar hingerichtet worden ist. Seinen letzten Brief bekommt sie nie zu lesen: »Alles Gute für Dein beginnendes Leben. Du hast mich sehr glücklich gemacht.« Am 21. April 1945 wird Erika Etter mit 22 Jahren auf Befehl des Hamburger SS- und Polizeiführers Graf Bassewitz-Behr im Bunker des Konzentrationslagers Neuengamme ermordet. Jetzt stehen die Namen Erika und Werner Etter auf einem Grabstein im Ehrenhain. Der Überläufer Lübbers hat ein ganzes Netz kommunistischer Widerstandskämpfer verraten und ins Gefängnis oder in den Tod gebracht. Was Ursel Hochmuth darüber geschrieben hat, ist eine der besten Schilderungen aus dem Widerstand in Hitler-Deutschland. In Hamburg sollten alle Lehrer dieses Buch kennen und im Unterricht verwenden. Denn es kommt auch die Nachkriegsgeschichte hinzu: Nach der Befreiung Hamburgs ehrt der Senat diese tapferen Kämpfer und bahrt ihre Urnen drei Tage lang feierlich im Rathaus auf. Dann überführt sie ein Trauermarsch unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, angeführt von ehemaligen Kampfgenossen, zu dem Ehrenhain. Aber kaum hat der Kalte Krieg begonnen, werden die Urnen aus der Erde gerissen und an einem versteckten Ort neu beigesetzt. Nazis reißen die Buchstaben der Inschrift von der Gedenkwand: »Menschen, wir hatten Euch lieb – seid wachsam!« Stattdessen schmieren sie Hakenkreuze darauf. Die schöne Statue eines Jünglings wird gestohlen und zersägt in einen Kanal geworfen. Das alles ist wiederhergestellt, dank der unermüdlichen Arbeit des »Kuratoriums Ehrenhain«. Jetzt ist dieses Buch dazugekommen und macht den Ehrenhain zu einem Zentrum bedeutender Hamburger Geschichte. Günther Schwarberg Ursel Hochmuth: »Niemand und nichts wird vergessen – Biogramme und Briefe Hamburger Widerstandskämpfer«, hg. von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten e.V. Hamburg, VSA-Verlag, 256 Seiten, 17,80 Euro
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Tucholskys TestamentAls Mary Gerold-Tucholsky sich von Kurt Tucholsky scheiden ließ, verlangte sie keinen Pfennig von ihm. Zwei Jahre später aber setzte er sie als Alleinerbin ein. Das Testament überbrachte ihr seine letzte Geliebte, die Schweizer Ärztin Hedwig Müller. Es war zunächst nicht viel wert; Tucholsky war im schwedischen Exil verarmt. In den fünfziger Jahren erschien zunächst eine sechsbändige Ausgabe bei Volk & Welt in Ostdeutschland, die sehr hohe Auflagen erreichte, dann eine dreibändige bei Rowohlt in Westdeutschland, außerdem viele Ausgaben einzelner Werke. Die Gesamtauflage bisher: 17 bis 18 Millionen. So berichtete es Fritz Raddatz, Präsident der Tucholsky-Stiftung, auf der diesjährigen Tagung der Tucholsky-Gesellschaft in Berlin. Die Stiftung, in die Mary Gerold-Tucholsky ihr ganzes Erbe einbrachte, verwaltete die Urheberrechte (auch jedes kleine Kellertheater mußte fürs Rezitieren von Tucholsky-Gedichten zahlen) und verwendete die Gelder für die Pflege des Werkes, zum Beispiel für die Unterstützung der 32bändigen Gesamtausgabe, die an der Oldenburger Carl-von-Ossietzky-Universität erarbeitet worden ist, sowie für Studentenaustausch zwecks Völkerverständigung. Ende des Jahres, wenn 70 Jahre seit dem Tod des Autors vergangen sind, endet der Urheberrechtsschutz. Die Stiftung löst jetzt ihr Büro in Hamburg auf. Raddatz bleibt Präsident, offenbar ist noch Geld vorhanden, er will weiter den Studentenaustausch fördern, aber zum Beispiel für den Tucholsky-Preis, den die Tucholsky-Gesellschaft alle zwei Jahre vergibt, trägt er nichts mehr bei. Den diesjährigen Preis erhielt am 6. November im Rahmen einer Matinee im Deutschen Theater Berlin posthum der Journalist und Schriftsteller Erich Kuby; Ulrich Matthes las Texte von ihm, Gisela May, Ilja Richter und 14 Schauspieler rezitierten Tucholsky-Texte, die vor allem in der beißenden Kritik an der SPD nicht an Aktualität verloren haben. Zuvor hatte sich die Tucholsky-Gesellschaft, die den Ossietzky -Autor Wolfgang Helfritsch zum neuen Vorsitzenden wählte, auf ihrer Jahrestagung mit dem »Medienmenschen« Tucholsky beschäftigt. Ian King referierte über »Tucholsky und die Presse«, Dieter Mayer über Tucholskys Bemühungen, die Wirkung seiner Texte durch Illustrationen zu verstärken, Frank-Burkhard Habel über den Drehbuchschreibeer Tucholsky (»Victor und Victoria« u.a.), und in mehreren von der Hanns-Eisler-Gesellschaft beigetragenen Referaten ging es um Tucholsky und die Musik. Der Autor hatte zwar einst behauptet, von Musik verstehe er nichts, aber als Theobald Tiger lieferte er die Kompositionen zu einigen seiner Texte gleich mit. Unmöglich, hier alle Mitwirkenden zu nennen, darunter die Musiker, die alte und neue Tucholsky-Vertonungen vortrugen. Sie kamen aus den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien und Japan, und ein ehemaliger Stipendiat der Tucholsky-Stiftung aus der Ukraine berichtete über die erste dort herausgegebene Tucholsky-Monographie. W.H./E.S.
Press-KohlDie hübschesten Texte findet man in den für Korrekturen bestimmten Rubriken. Das gilt auch für die Bild am Sonntag . Sie teilte mit: »In der BamS vom 28. August wurde auf Seite 4 die Stadt Wittenberge nach Mecklenburg-Vorpommern verlegt. Richtig: Sie liegt in Brandenburg.« Ich lese es nicht ohne Mißtrauen. Könnte die auflagenstarke, meinungsbildende Zeitung die Stadt nicht spaßeshalber von Mecklenburg-Vorpommern nach Brandenburg verlegt haben? Aber nein, Wittenberge liegt tatsächlich in Brandenburg. Auch eine Bild -Zeitung kann mal bei der Wahrheit bleiben, ohne dies beabsichtigt zu haben. Ich bitte im Namen der Redaktion um Entschuldigung. * »Durch einen bedauerlichen Fehler wurde am 14. Juli dem früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker der Vorname seiner Ehefrau Marianne zugeschrieben.« So stand es in der Berliner Zeitung. Hoffentlich wurde die Richtigstellung zeitig genug im Hause Weizsäcker gelesen, um peinliche Dialoge zu vermeiden. Richard: »Guten Morgen, mein Edelprofilchen! Du bist wohl schon im Bade?« Marianne: »Ei gewiß, meine Dauerhafte. Ich will mich nur flugs noch rasieren, damit wir einen stoppelfreien Tag genießen können.« Beide: »Ohne so anstrengend präsidieren zu müssen.« Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 23/2005 |
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