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Die Begründung der politischen Sonderstrafkammer für ihre äußerst ungünstige Sozialprognose im Fall Baumgarte wird heutigen Jurastudenten ebenso unwahrscheinlich vorkommen wie die aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängte Tatsache, daß es in der Altbundesrepublik überhaupt eine politische Justiz gegeben hat. Geschaffen wurde sie mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz vom August 1951. Damals entstand ein die ganze Republik umspannendes Netz von politischen Sondergerichten und darüber der politische Sondersenat beim Bundesgerichtshof, der – eine rechtsstaatliche Unmöglichkeit – Urteile in erster und letzter Instanz verkünden konnte, die zudem richtungsweisend für die unteren politischen Strafkammern waren. Das Gesetz diente als »Waffe, die geschmiedet wurde, um im Kalten Krieg zu bestehen«, wie Jahre später der CDU-Bundestagsabgeordneter Hassler erläuterte. Der vorherrschende »blindwütige Antikommunismus« (so der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann) führte dann 1956 zum Verbot der KPD, die, wie die Bundesregierung ihren Antrag beim Bundesverfassungsgericht begründet hatte, »ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes« sei, der »Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet«. Der hannoversche Politikwissenschaftler Joachim Perels schreibt über die vielfältigen Bedingungen zur »Durchsetzung einer Spezialjustiz gegen Kommunisten«: »Der Umstand, daß der Justizapparat des nationalsozialistischen Herrschaftssystems in den demokratischen Rechtsstaat weitgehend übernommen wurde – am Bundesgerichtshof waren ähnlich wie an anderen Gerichten etwa 80 Prozent der Richter bereits im Justiz- und Staatsapparat des Dritten Reiches tätig – hatte für die gerichtsförmige Auseinandersetzung mit Kommunisten direkte Folgen.« (»Entsorgung der NS-Herrschaft?«, Offizin Verlag Hannover, 2004) Ganz in diesem Geiste hieß es in der eingangs zitierten Entscheidung des Landgerichts Lüneburg: »Die Hauptverhandlung hat gezeigt, daß Baumgarte ein engagierter Parteigänger der verbotenen KPD ist, der sich seit seinem 14. Lebensjahr aktiv für die KPD betätigt hat – unterbrochen durch die Inhaftierung in Zuchthäusern und Konzentrationslagern von 1936 bis 1945 auf Grund eines Urteils des von den Nationalsozialisten errichteten Volksgerichtshofes. Bei dieser Sachlage ist nicht die Erwartung gerechtfertigt, der Verurteilte werde sich in Zukunft gesetzmäßig verhalten...« Die nach dem Sprachduktus der Lüneburger Richter wohl segenreiche »Unterbrechung« der kommunistischen Tätigkeit Baumgartes hatte 1935 begonnen. Im Februar des Jahres war er von der SS verhaftet worden. Am 3. April 1936 verurteilte ihn der »Volksgerichtshof« wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« zu einer 15jährigen Zuchthausstrafe. Nach zehn Jahren Isolationshaft, unter anderem im Zuchthaus Waldheim, endete die »Unterbrechung« mit seiner Befreiung im Mai 1945. Die britische Besatzungsmacht erwies ihm durch die Berufung als Abgeordneten in den ersten niedersächsischen Landtag gebührenden Respekt. Elf Jahre später, die Achtung der kommunistischen Widerstandskämpfer war längst deren Ächtung gewichen, folgte die neue »Unterbrechung«. Er wurde nicht nur angeklagt und inhaftiert, sondern ihm wurde auch die gesetzliche Anerkennung als Opfer des Faschismus aberkannt. »Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz steht ihm... nicht zu. Herr Baumgarte wurde sofort nach 1945 wieder Funktionär der KPD«, hieß es in einem Schreiben des niedersächsischen Innenministeriums vom Februar 1991. Am 5. März 1992 erhielt er von dort die Auskunft, beim Verfassungsschutz lägen »umfangreiche Erkenntnisse über Mitgliedschaft, Funktionen und Tätigkeiten in der KPD – vor und nach dem Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht – und der DKP« vor. Ein Anspruch auf Akteneinsicht ergebe sich allerdings nicht. Der nunmehr 82jährige Verfassungsfeind auf Lebenszeit durfte lediglich erfahren: »Die einschlägigen Vorgänge werden fortgesetzt.« Kurt Baumgarte ist einer von rund 10 000 (nicht 1000, wie in Ossietzky 22/05 auf Seite 814 irrtümlich angegeben) Bürgern der Alt-BRD, die in den Jahren von 1951 bis 1968, in Zeiten »eines teilweise geradezu paranoiden Antikommunismus« (Christian Pfeiffer, ehemaliger Justizminister von Niedersachsen), von diesen politischen Sonderstrafkammern verurteilt worden sind. Berechnungen der mit diesen Fällen befaßten Strafverteidiger gehen von etwa 250 000 Ermittlungsverfahren aus, in die nahezu 500 000 Personen involviert waren. Gemeinsam ist ihnen allen, daß sie bis heute nicht rehabilitiert, geschweige denn für zu Unrecht erlittene Verfolgung entschädigt wurden wie etwa die Frauen und Männer, die in der DDR zu Opfern der politischen Strafjustiz geworden sind. Dabei hatte beispielsweise Herta Däubler-Gmelin am 16. Juli 1990 als damalige stellvertretende SPD-Vorsitzende in einem Brief an die Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges zugestanden: »Die politische Justiz vor allem in den fünfziger Jahren ist ein dunkler Tatbestand der hiesigen Strafjustiz.« Aufgabe »einer verantwortungsvollen Gesetzgebung« sei es, »von Zeit zu Zeit zu überprüfen, ob sich die unter einer besonderen Situation beschlossenen Rechtnormen bewährt haben oder ggf. überprüft werden sollten«. Leider, so bedauerte die Politikerin, deren Partei damals in der Bundestagsopposition stand, »ist diese Aufgabe z. Zt. nicht mehrheitsfähig. Gleichwohl werden wir in unseren Bemühungen um eine Korrektur nicht nachlassen.« In den Jahren der rotgrünen Regierung, Herta Däubler-Gmelin amtierte von 1998 bis 2002 als Justizministerin, wurde allerdings nichts zur Korrektur unternommen, im Gegenteil: SPD und Grüne schmetterten entsprechende Gesetzentwürfe der PDS über die Jahre hinweg immer wieder gemeinsam mit CDU/CSU und FDP ab – vereint im immer noch dominierenden paranoiden Antikommunismus. Der jüngste Bescheid in dieser Angelegenheit an die Adresse der Initiativgruppe, datiert vom 4. November 2004, kommt dem Urteil »Verdammt in alle Ewigkeit« nahe. Darin wird mitgeteilt, daß der Bundestag am 28. Oktober 2004 beschlossen hat, ein angestrebtes Petitionsverfahren in Sachen Rehabilitierung abzuschließen, denn: »Die erhobenen Forderungen ergeben keine Veranlassung zu gesetzgeberischen Maßnahmen.« Eben solche Maßnahmen zu fordern und an die verdrängte Schuld der BRD zu erinnern, war vor einigen Monaten Sinn und Zweck einer Ausstellung »Hier besteht Handlungsbedarf! Die vergessenen Opfer des Kalten Krieges. Erinnerungsarbeit gegen den Trend« in der Berliner Mediengalerie der Gewerkschaft ver.di. Einige exemplarische Schicksale wurden in diesem Gemeinschaftswerk der Gewerkschaft, des von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten herausgegebenen Magazins antifa und der Initiative zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges vorgestellt. Ab 27. Oktober 2005 ist sie in der Galerie Olga Benario (Richardstr. 104, Berlin-Neukölln) zu sehen. Inzwischen liegt auch ein Begleitheft zur Ausstellung vor. Darin sind neben den Porträts der Verfolgten die in Begleitveranstaltungen der Ausstellung gehaltenen Reden von Heinrich Hannover, der an zahlreichen politischen Prozessen als Verteidiger mitgewirkt hat, und Rolf Gössner (Autor des Buches »Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges«) dokumentiert (zu beziehen für 2,50 plus Porto bei Constance Lindemann, Mediengalerie, Dudenstrasse 10, 10965 Berlin, e-mail: galerierat@mediengalerie.org).
Erschienen in Ossietzky 23/2005 |
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