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Ach, deine Hafenstädte, Afrika! Diese offenen, fieberheißen Wunden, an
Im ghanesischen Hafen Takoradi laden wir Baumstämme. Weil schon nach zwei Tagen alle fünf Laderäume unserer guten alten »Delta-Delta-Whiskey-Zulu« bis zum Rand vollgeschlagen sind, beschließt der Kapitän, seiner tropenkollerkranken Mannschaft und mir, dem einzigen Passagier, eine Freude zu bereiten: einen Tagesausflug nach El Minas. Mit ungezählten Fanfarenstößen seiner Dreiklanghupe bahnt sich unser Bus eine Gasse durch den Stau der zur Pier drängenden Fahrzeuge, die das Holz aus dem Landesinneren heranschaffen. Endlich die nahezu verkehrsfreie Küstenstraße. Auf ihrer Landseite, dicht an dicht, erst Sägereien und Parkettfabriken. Später ein paar Erdöltanks und schließlich zwischen Abzugsgräben, wahllos abgekipptem Schutt und Müll ein paar erste Reisighütten. Etwas weiter eine Zebu-Herde, vielleicht zwei-, dreihundert Tiere, wandelnde Skelette, reglos, sterbensmüde. Die sie bewachen, sehen nicht viel besser aus. »Nomaden. Leute aus dem Norden,« murmelt der Fahrer in sein Mikrophon, das wie eine Silberblume aus dem Armaturenbrett hochragt. »Sie kommen aus der Sahel-Zone, Obervolta. Dort fiel schon seit Jahren kein Tropfen Regen mehr...« Umschmeichelt von den heiteren Afro-Rhythmen, aus den Klimatisierungsdüsen angenehm umfächelt, nehmen wir's zur Kenntnis. Dann, immer öfter, zwischen kümmerlichem Buschwerk einsam ein paar übrig gebliebene Urwaldriesen, ein jeder dreißig, vierzig Meter hoch. Die rote Erde zwischen ihnen und dem niederen Grünzeug von Raupenschleppern zermatscht. Und immer mehr Stellen, wo bereits das von den Regenstürmen des Monsuns freigespülte kahle, tote, glattgeschliffene Urgestein zu Tage tritt. Auf den Restbäumen kurioserweise hunderte von Geiern. Jede Menge Geier auch am Straßenrand. Und von alledem unberührt, zu unserer Rechten, weit und silbern der Atlantik. Laut einer Studie nordamerikanischer Experten benötigten die tropischen Biotope, auf die der Name »Regenwald« zutrifft, mehrere Jahrtausende, um ihre heutige Gestalt und Qualität zu finden. Ihre fortschreitende Vernichtung stellt die in den betroffenen Gebieten lebenden Menschen vor unlösbare Energieprobleme. Rund hundert Millionen Afrikaner finden schon jetzt kaum mehr Holz zum Kochen. Ebenso verheerend wirkt sich der rabiate Raubbau an den Regenwäldern Afrikas auf den tropikalen Wasserhaushalt aus. Die Sahara wächst jährlich um zehn Kilometer südwärts und treibt die Sahel-Nomaden und ihre Herden in derselben Richtung vor sich her. Doch wo immer diese hingelangen, versiegen fast zeitgleich die Flüsse, verdorren die Weiden. * Nach Stunden monotoner Fahrt El Minas. Ein weiß getünchtes ausgedehntes Festungswerk. Türme, Bastionen, Gräben, nicht nur seeseits, sondern auch zum Land hin. Das Innere der Zitadelle militärisch funktionell. Ihr Innenhof ein Exerzierplatz, gesäumt von Truppenunterkünften, Küchen, Arsenalen und der Kommandantenwohnung. Doch weit wichtiger als all dies ist der Untergrund der Festung, ein labyrinthisches Gewirr von Kasematten, lichtlosen, in den Fels gesprengte Tunnels und Gewölben: das stickige, von keiner Meeresbrise je erreichte Zwischenlager für das während rund vierhundert Jahren wichtigste Exportgut Afrikas, die Ware Mensch. In diesem finsteren Stollen wurden die Sendungen zusammengestellt, deren Einzelteile solide miteinander verkettet. Dann wurden sie an Bord der Segler gepeitscht, die sie, zwecks weiterer Vermarktung, zu den Sklavenhöllen der portugiesischen, spanischen, französischen und britischen Kolonien im Norden Südamerikas spedierten. Das dazu benutze Nilpferdleder-Werkzeug ist in der Kommandantenwohnung zu besichtigen. Die Geschichte von El Minas begann mit dem von der portugiesischen Krone anno 1469 einem gewissen Fernao Gomez verliehenen Recht, einen Abschnitt der afrikanischen Küste während fünf Jahren beliebig auszubeuten. Als Gegenleistung hatte er deren weitere Erforschung um jährlich hundert Meilen vorzutreiben. Als seine Männer anno 1471 auf eine Goldmine stießen, gründeten sie in der Nähe dieser "Mina" eine erste Niederlassung. 1557 faßten in der zu jenem Zeitpunkt bereits als »Goldküste« bezeichneten Region auch die Engländer Fuß. Von den Schwarzen, bei denen sich die Portugiesen inzwischen denkbar unbeliebt gemacht hatten, seien sie, heißt es in alten Chroniken, als Befreier empfangen worden. Endgültig wurden die Portugiesen indes erst 80 Jahre später von Söldnern der Niederländisch-Westindischen Kompanie aus El Minas hinausgeworfen. Die neuen Herren aber führten den längst schon blühenden Sklavenhandel nicht nur weiter, sondern bauten ihn zielgerichtet aus. Was wiederum den Neid der Franzosen erweckte, die jedoch bei ihrem Versuch, den Niederländern die ergiebige Schwarzgold-Mine 1677 zu entreißen, den Kürzeren zogen. Angelockt vom Reichtum der legendären »Goldküste« entsandte im selben Jahr schließlich auch Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der »Große Kurfürst«, fünf Schiffe dorthin und ließ unweit von El Minas die befestigte Faktorei von »Groß Friedrichsburg« errichten. Sein Nachfolger, der Preußenkönig Friedrich I., den ganz andere Sorgen plagten, verscherbelte sie jedoch schon 1720 für 7000 Dukaten und zwölf Negersklaven, von denen sechs in goldene Ketten gelegt waren, an die Niederlande. Zu jenem Zeitpunkt wurden schwarze Sklaven von der äquatorialen Küste Westafrikas aus längst in alle Welt exportiert und hatten denen, die den Handel kontrollierten, schon riesige Vermögen eingebracht. * Zurück an Bord, spät abends. Einer historischen Dokumentation über die Geschichte des Sklavenhandels in Schwarzafrika, die es im Souvenirshop von El Minas zu kaufen gab, entnehme ich, daß sich, als erster überhaupt, schon 1498 ausgerechnet Bartholomeo de las Casas, der für seine Indianerfreundlichkeit in die Geschichte eingegangene katholische Bischof des mexikanischen Chiapas, für den Import schwarzer Sklaven in Spaniens amerikanische Kolonien stark gemacht hatte – mit der Begründung, die Indios seien der Sklavenarbeit in den Plantagen und Erzgruben Mexikos physisch nicht gewachsen. Vielleicht war das so, vielleicht auch nicht, sicher ist aber, daß ohne den Einsatz von Millionen selbst härtesten tropischen Bedingungen standhaltenden Schwarzafrikanern weder eine profitable Ausbeutung der Gold- und Silberminen Mexikos noch die großflächige Kolonisierung Brasiliens, weder die hochprofitable, weltweit neue Konsumgewohnheiten begründende karibische Zuckerrohr-Plantagenwirtschaft noch die extrem arbeitsintensiven Baumwoll- und Tabakpflanzungen der Südstaaten Nordamerikas so schnell gediehen wären. Und mit ihnen auch der Kapitalismus selber nicht. War es doch der kapitale Mehrwert, den der vierhundert Jahre währende Einsatz ungezählter schwarzer Sklaven auf drei verschiedenen Kontinenten abwarf, der den Kapitalismus, den wir kennen, überhaupt erst möglich machte. Die Konsumbedürfnisse der Herrschenden bei weitem übersteigend, sammelten sich in deren Schatullen Überschüsse an, die, als »Kapital« im heutigen Sinne in immer neue profitable Unternehmen investiert, die Welt binnen zweieinhalb Jahrhunderten weit gründlicher umkrempelten als alles, was die Menschheit innerhalb der zweieinhalb Jahrtausende zuvor unternommen und geleistet hatte. Während der entscheidenden letzten 250 Jahre dieses wahrhaft weltverändernden Prozesses kämpften Niederländer, Briten und Franzosen permanent um die Vorherrschaft auf diesem lukrativen Markt. Seine höchsten Umsatzziffern erreichte er im 18. Jahrhundert, in welchem, vorwiegend unter britischer Flagge, rund dreimal so viele Menschen aus Westafrika nach Übersee verschleppt wurden als in den beiden vorangegangenen und den nachfolgenden Jahrhunderten zusammengerechnet. Gegen Ende desselben 18. Jahrhunderts wurde in Großbritannien aber auch schon ein erster Versuch unternommen, den millionenfachen Menschenhandel zu stoppen. Er scheiterte. Dagegen verboten die USA bereits 1804 die Einfuhr von Sklaven, und 1815 verpflichtete sich Portugal, solche nur noch südlich des Äquators einzusetzen. Das Unterhaus zu London dagegen verzögerte bis 1833 die Verabschiedung eines Gesetzes, das »unter Auszahlung einer Entschädigung an ihre Besitzer« endlich auch den Sklaven des Empires die Freiheit verhieß. Brasilien schaffte die Sklaverei offiziell gar erst im Jahre 1888 ab, doch in Wahrheit dauerte der organisierte Menschenraub in Westafrika und der Schmuggel von »lebendem Ebenholz« bis fast zum Ende des 19. Jahrhunderts. Bis zu jenem Zeitpunkt wurden, seriösen Schätzungen zufolge, weit über zehn Millionen Schwarzafrikaner nach Übersee verschleppt. Doch diese Zahl erfaßt nur lückenhaft die Dauerkatastrophe, die sich in ihren dünn besiedelten heimatlichen Stammesterritorien abspielte. Starb doch durchschnittlich ein Viertel der auf Sklavenseglern aneinandergeketteten Unglücklichen während der Überfahrt teils an Scorbut, teils bei zumeist vergeblichen Revolten, und überhaupt nicht erfaßt sind jene, die während der Überfälle auf die Krals und während des Marsches der Gefangenen von dort zu den Einschiffungsgefängnissen ums Leben kamen. Bekannt ist, daß die zumeist schwarzen Sklavenjäger-Banden, die im Sold der weißen Händler standen, im Verlauf ihrer bis tief nach Zentralafrika führenden Raids ungezählte Dörfer in Flammen aufgehen ließen und weite Regionen nahezu gänzlich entvölkerten. Als der weltweite Siegeszug der Dampfmaschine den massenhaften Sklavenhandel unrentabel machte und die Sklavenjäger-Stämme arbeitslos wurden, geriet das Hinterland der Goldküste in eine schwere Wirtschaftskrise, die zu ersten, blutigen Aufständen gegen die weißen Kolonialherren führte. * 3200 Tonnen edles Holz haben wir übernommen, als wir aus dem Hafen von Takoradi auslaufen.
Auf Frachtschiffen reiste Jean Villain wiederholt in den fernen Süden. Der Bericht über den Ausflug nach El Minas ist seinen bisher unveröffentlichten See-Tagebüchern entnommen.
Erschienen in Ossietzky 23/2005 |
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