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Im Wendland nennt man die Castor-Zeit auch »Fünfte Jahreszeit« oder »Grüne Wochen« – weil die gut 50 000 Einwohner des Landkreises Lüchow-Dannen-berg dann wieder Besuch von mehr als 18 000 Polizeibeamten bekommen werden. Immer jeweils drei Einwohner – ob Baby oder Greis – können mit einem eigenen Bewacher rechnen... Wenn der Castor kommt, werden Grundrechte und Demokratie im Wendland ausgesetzt. Hier ist dann hautnah zu erleben, wie sich der »Atomstaat« (Robert Jungk) polizeistaatlicher Methoden bedient, um die Wut der Bevölkerung gegen Zwischenlager, Pilotkonditionierungsanlage und Endlager-»Erkundungsberg-werk« unter Kontrolle zu bringen. Daß dabei Grundrechte außer Kraft gesetzt sind, haben Bürgerrechtler, Juristen, Publizisten seit dem Beginn dieser Transporte immer wieder festgestellt. Manche Polizeimaßnahmen sind mittlerweile auch gerichtlich als rechtswidrig beurteilt worden. So hat das Verwaltungsgericht Lüneburg im Mai dieses Jahres entschieden, daß eine Absperrung des Ortes Laase an der Straßentransportstrecke in der Nacht zum 12. November 2003 beim Castor-Transport rechtswidrig war. Die Polizei habe damit gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen. Es sei nicht gerechtfertigt gewesen, sämtliche Ausfahrtsstraßen des kleinen Dorfes an der Elbe zu sperren. Eine vollständige Abriegelung des Ortes über rund fünf Stunden bedeute einen schwerwiegenden, nicht mehr hinnehmbaren Eingriff in die Rechte der dort anwesenden friedlichen Personen. Hingegen wollte das Verwaltungsgericht nicht erkennen, daß das Jahr für Jahr von der Bezirksregierung (jetzt Polizeidirektion) Lüneburg per »Allgemeinverfügung« erlassene Versammlungsverbot ungerechtfertigt ist. Angesichts eines möglichen »polizeilichen Notstands« befanden die Richter es für angemessen, innerhalb einer bis zu einem Kilometer breiten und mehr als 72 Kilometer langen Zone entlang der Transportstrecke für die Dauer von bis zu zwei Wochen alle Demonstrationen zu verbieten. Auch wenn sich die Polizei nicht an die räumliche Begrenzung des Gültigkeitsbereiches halte, sondern schon weit vorher Absperrungen errichte und gar niemanden bis zur eigentlichen Verbotszone durchlasse, sei die Allgemeinverfügung an sich gerechtfertigt. Damit stellen die Lüneburger Richter die Versammlungsfreiheit, eines der laut Grundgesetz in ihrem Wesensgehalt nicht antastbaren Grundrechte, zur Disposition der Exekutive. Die könnte demgemäß nach Gutdünken ein Demonstrationsverbot quer durch die gesamte Bundesrepublik verhängen, wenn es denn der Polizeiführung nützlich erschiene. Ob und warum Castor-Transporte überhaupt rechtens und gerechtfertigt sind, wollte das Gericht nicht prüfen. Die erteilte Transportgenehmigung und das gleichsam grundrechtlich geschützte Recht auf Ausübung des Gewerbes der Atommüll-Transporteure reichen aus der Sicht von Polizei und Justiz als Grundlage aus. Daß den jeweiligen »Gefahrenprognosen« offensichtlich falsche Polizeiberichte zugrunde lagen, interessierte das Gericht nicht; entsprechende Beweisanträge wurden abgelehnt. Daß Polizeidarstellungen tatsächlich falsch gewesen sein können, wurde als »wahr«, aber nicht als relevant unterstellt. Auch, daß Demonstranten regelmäßig nach dem Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz in Gewahrsam genommen wurden, ohne daß die jeweilige – durch die Allgemeinverfügung verbotene – Versammlung vorher von der Polizei aufgelöst worden war, wollte das Verwaltungsgericht nicht erörtern; das falle in die Zuständigkeit der jeweiligen Amtsgerichtsbarkeit. Gegen das Fehlverhalten der Polizei muß nun jeder Betroffene individuell vorgehen, wenn nicht bereits Verjährungsfristen eine juristische Aufarbeitung unmöglich machen. Verschiedene niedersächsische Amtsgerichte, das Landgericht Lüneburg und das Oberlandesgericht Celle stellten schwere Verstöße gegen geltendes Recht fest. Demonstranten »abzugreifen«, sie in Gefangenensammelstellen abzutransportieren oder sie – die modernere, weil preiswertere Form – »einzukesseln«, sei, so wurde dann geurteilt, von Anfang an rechtswidrig, wenn Versammlungen nicht vorher von der Polizei per deutlich hörbarer Durchsage und mit der Möglichkeit, sich vom Ort zu entfernen, aufgelöst worden sind. Auch in Demonstrationsverbotszonen gelte zuallererst das grundgesetzlich höherwertige Versammlungsrecht, und das sieht eine Auflösung auch von verbotenen Versammlungen zwingend vor, bevor sich die Polizei auf andere Rechtsgrundlagen beziehen darf. In Gorleben wird in Zusammenhang mit den Castor-Transporten Rechtsgeschichte geschrieben. Viele Entscheidungen, die zum Erhalt der bürgerlichen Grundrechte auch anderenorts beitragen, sind in der Region in den vergangenen Jahren durchgefochten worden. Manche Auseinandersetzungen auf der juristischen Ebene stehen noch an. So haben die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und die Initiative »X-tausendmal quer« gerade erst Verfassungsbeschwerden gegen die Versammlungsverbote per Allgemeinverfügung eingereicht. Vor dem kommenden Castor-Transport wird das höchste deutsche Gericht dazu mit Sicherheit keine Entscheidung treffen. Die »Polizeiregierung Lüneburg« aber hat wieder »Gefahrenprognosen« erarbeitet, die das neue Versammlungsverbot per Allgemeinverfügung begründen. Sie bezieht sich unter anderem auf eine Ankündigung der Initiative »Widersetzen« im Internet: »Widersetzen hat in Gorleben eine mehrtägige Mahnwache angemeldet. Der Mahnwacheplatz ist deutlich außerhalb der Demonstrationsverbotszone. Jeder hat das Recht, an dieser Mahnwache teilzunehmen… Sobald die Castoren den Verladebahnhof in Dannenberg erreicht haben, sind Alle aufgerufen, zur WiderSetzen-Mahnwache nach Gorleben zu kommen.« Aus weiteren Veröffentlichungen dieser Initiative schließt sie, daß Straßenblockaden geplant sind. Und das genügt schon, um ein umfassendes Versammlungsverbot zu erlassen. Denn Grundrechte und Demokratie sind zur Castor-Zeit ausgesetzt. (Aktuelle Informationen zu dem Transport, der am 21. November in Dannenberg erwartet wird, sind im Internet unter www.castor.de zu finden.)
Erschienen in Ossietzky 23/2005 |
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