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Und die Beamten hätten sich an eine »Rundum-Versorgung« gewöhnt, die »wir uns« jetzt endgültig nicht mehr leisten könnten. Die Schadenfreude der smarten Jusos und Netzwerker oder der Jung-Unionisten tönt auch aus den Feuilletons: »Willkommen in der Wirklichkeit!« Wie sieht diese »Wirklichkeit« aus? Die Großkoalitionäre in Berlin haben angeblich »Kassensturz« gemacht und festgestellt, daß etwa 40 Milliarden Euro jährlich im Bundeshaushalt fehlen. (Wo ist eigentlich Hans Eichel? Sitzt er wegen Konkursverschleppung schon in Untersuchungshaft?) Hinzurechnen muß man noch ungefähr die gleiche Summe als Fehlbetrag in den Haushalten der Länder und Kommunen. Dann haben wir 80 Milliarden Miese, Jahr für Jahr. Die in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD bisher ausgeguckten Minister ließen schon verlauten, wie viele unbedingt notwendige staatliche Aufgaben von der Bildung bis zum Straßenbau jahrelang liegen geblieben sind und endlich angepackt werden müßten. Doch »die Wirklichkeit« wird das alles nicht zulassen, statt besseren Ausbau verlangt der designierte Finanzminister Peer Steinbrück den Verkauf der deutschen Autobahnen – immerhin ein Vermächtnis des Führers! Vor Jahren hatten Kanzler Schröder und sein Finanzminister dem Staatsvolk versprochen, sie würden ihm im Ergebnis ihrer Steuerreform – der »größten in der Geschichte der Bundesrepublik« – ein wundersames Wirtschaftswachstum und bald auch ausgeglichene Staatshaushalte bescheren. Also ließ man sie gewähren. Vor allem den Unternehmen und den Reichen wurden Steuern erlassen; die Bezieher höherer Einkommen bezogen dadurch netto bis zu 25 Prozent mehr. Aber statt daß sich die Konjunktur belebt hätte, glitt die deutsche Volkswirtschaft in eine Stagnationsphase mit zurückgehender Binnennachfrage, wachsender Arbeitslosigkeit und weiter steigender Staatsverschuldung; die Maas-tricht-Kriterien, die den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union maximal drei Prozent Haushaltsdefizit erlauben, können im vierten Jahr in Folge nicht eingehalten werden. Daß all dies eine direkte Folge der krankmachenden neoliberalen Medizin aus Steuerdumping und Sozialabbau ist, wollen die Berliner Politiker, die sich sonst so gern als die Verantwortlichen darstellen, nicht zur Kenntnis nehmen. Dabei müßten die fatalen Zusammenhänge jedem ins Auge springen, sobald er seine marktradikale Stabsichtbrille abnimmt: 1999, vor Beginn der Steuerreform, konnten die staatlichen Kassen 467 Milliarden Euro Steuern kassieren, 23,6 Prozent vom damaligen Bruttoinlandsprodukt (BIP). 2005, nachdem die letzte Stufe der Eichelschen Steuersenkungen wirksam geworden ist, rechnen die Steuerschätzer mit 447 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Das sind nur noch 19,95 Prozent vom geschätzten nominalen BIP, das 2005 etwa 2240 Milliarden Euro betragen wird. Könnten die staatlichen Körperschaften heute noch auf eine Steuerquote wie vor der Steuer-»Reform« zurückgreifen, hätten sie mindestens 80 Milliarden Euro mehr in ihren Kassen, also exakt die Summe, die die überraschten Berufspolitiker beim »Kassensturz« nun plötzlich als »unser strukturelles Defizit« feststellen. Jahrzehntelang lag in der BRD die Steuerquote zwischen 23 und 25 Prozent; der Durchschnitt in der EU der Fünfzehn liegt auch heute noch darüber. Warum mußte ausgerechnet die SPD darangehen, sie auf unter 20 Prozent zu drücken? Stehen etwa inzwischen alle Berufspolitiker auf den Gehaltslisten der Großkonzerne, oder haben sie ihr Denken zur Gänze an die ihnen vom Großkapital zur Seite gestellten »Beraterfirmen« abgegeben? Die kleine Schicht der wirklich Reichen macht sich ja nicht selber die Hände schmutzig, sie läßt »forschen« in den »Wirtschaftsinstituten«, läßt Meinung verbreiten von den Medienkonzernen. So wird ausgeblendet, wohin die Steuergeschenke geflossen sind – nicht etwa, wie versprochen, in eine bessere Binnenkonjunktur, vielmehr wurde die Kaufkraft der unteren 75 Prozent der Bevölkerung in eine Abwärtsspirale gelenkt. Die Reichen hingegen erhalten jährlich aus den Staatskassen 80 Milliarden Euro zusätzlich. Hinzuzurechnen sind Extraprofite aus Arbeitsverdichtung und aus Verschuldung der Kleinunternehmen. Im Jahre 2004 konnten die Geldvermögensbesitzer insgesamt 150 Milliarden Euro »Wachstum« auf ihren Konten verbuchen, so daß sie nunmehr über vier Billionen Euro ihr eigen nennen. Und wofür haben sie ihr zusätzliches Geld verwendet? Gut die Hälfte davon gaben ihre Finanzdienstleister an den Staat zurück: in Form sicherer Schuldtitel mit Zins und Zinseszins. Die andere Hälfte floß ins Ausland, vorwiegend in die Bundesobligationen der US-Regierung, womit diese ihre globalen Kriege finanziert. Diese Wirklichkeit sollten wir immer bedenken, wenn behauptet wird, »die Globalisierung« lasse uns »keine Alternative« zum weiteren Steuer- und Sozialabbau. Wenn nun unter der großen Koalition der Dauer-Konkurs staatlicher Körperschaften und der Ausverkauf öffentlicher Einrichtungen in noch größerer Geschwindigkeit weitergehen werden als bisher, dann sollte das Wahlvolk, durch ein Dichterwort belehrt, endlich fragen: »Aller Reichtum und alle Staatsgewalt gehen vom Volke aus (s. Grundgesetz, Artikel 20) – aber wo gehen sie hin?«
Erschienen in Ossietzky 23/2005 |
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