Antworten

Wählerinnen und Wähler. – Erinnern Sie sich noch: »Ja zu Joschka« stand auf den Plakaten der Grünen, aber kaum war die Wahl vorüber, verabschiedete er sich von jeglicher politischer Verantwortung für diese Partei. Die SPD hatte landauf landab mit dem Konterfei Gerhard Schröders für sich geworben, der nun aber ebenfalls beiseite tritt. Es sei eine »Richtungswahl«, hatten Ihnen die Wahlkämpfer weiszumachen versucht – aber vielleicht lag es an Ihnen selber, wenn Sie dieses Wort so verstanden, als hätten Sie zwischen verschiedenen oder gar gegensätzlichen Richtungen zu wählen und als führte Angela Merkel in die eine, Gerhard Schröder in die andere Richtung. Jetzt marschieren beide große Parteien – wie vorher längst zu erkennen und in Ossietzky zu lesen war – in eine und dieselbe Richtung; und so äußert sich Schröder auch ausdrücklich zufrieden: Seine Politik werde weitergeführt. Beide Parteien beteuerten, sie würden sich erst über Inhalte, dann über Personen verständigen – und konnten dann sogleich die Ministerposten besetzen, da sie sich ja über die Inhalte längst einig waren.

Franz Müntefering, designierter Propagandaminister. – Die von Angela Merkel und Ihnen anzuleitende Große Koalition will in den nächsten zwei Jahren 35 Milliarden Euro im Bundesetat »einsparen«, und zwar an den Leistungen für die lohnabhängige Bevölkerung und die RentnerInnen. Um diese bei Laune zu halten, haben Sie die Folgen der beabsichtigten Politik auf Sauerländisch beschrieben: »Milch und Honig werden nicht fließen, aber gesundes Brot und ordentlicher Aufstrich werden da sein.« Arbeit und Soziales, die Ihr künftiges Türschild verheißt, wird man von Ihnen nicht erwarten können, aber Sprüche, um das gemeine Volk über Lohnabbau und Sozialdemontage hinwegzutrösten. Doch nicht die Gesamtheit der Gesellschaft wird sich mit einem Stullenpaket zufrieden geben müssen, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat das zeitgleich mit Ihren Trostworten klargestellt: »Die Unternehmen können zusätzliche Belastungen nicht verkraften …, Deutschland leistet sich einen viel zu großen Sozialhaushalt.« Kurz: Damit die Kapitaleigner in mehr Milch und Honig baden können, müssen sich alle anderen an magere, bittere Kost gewöhnen.

Renate Künast, Fischer-Erbin. – »Wir geben keine Kontaktanzeige auf« – so Ihr beifallheischender Ausruf auf dem grünen Parteitag, künftige Koalitionen der von Ihnen repräsentierten Partei betreffend. Aber wozu auch, es ist doch hinreichend öffentlich bekannt, daß die Grünen nach Ablauf einer Trauerzeit zu neuen Partnerschaften bereit sind, auch mit der Union und notfalls sogar der FDP. Und Ihr Fraktionskollege Hans-Christian Ströbele wird da nicht im Wege stehen. Er ist immer noch gut für eine linksgrüne Seelenmassage, aber die wird man demnächst nicht mehr brauchen, die APO-Nostalgiker bei den Grünen werden immer weniger.

Otto Schily, altersweise. – Ihre Jahrgangszugehörigkeit hat Ihnen die Gelegenheit verschafft, dem neuen Bundestag Launiges mit auf den Weg zu geben, darunter auch eine erstaunliche Einsicht: »In einer Demokratie wird Macht nur auf Zeit verliehen, diesen Grundkonsens erkennen wir alle an.« Das wird Ihnen nicht leicht gefallen sein.

Erschienen in Ossietzky 22/2005