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Jetzt, 50 Jahre nachdem Gründgens die Führung des Hamburger Schauspielhauses übernommen hatte, erinnert sich der neueste Intendant Friedrich Schirmer an diese Zeit und bringt den »Mephisto« auf die Bühne. Sehr mutig – nach dem gelungenen Film von Istvan Szabo. Anders Paulin, ein junger Regisseur aus Schweden, sieht alles ganz neu und anders, mit dem »frischen Blick von außen«, erfahren wir. Wie anfangen, fragt sich der Intendant, der aus Deutschlands Süden kommt, bei der Vorstellung seines Programms. Schirmer: »Alte erfahrene Kapitäne wissen: Auf hoher See und im Deutschen Schauspielhaus ist man in Gottes Hand.« Wie anfangen, fragt sich auch der Regisseur. Über der ersten Szene hängt die Frage auf einer Fahne: »Wie anfangen?« Ob Gott seine Hand entzieht? »Hab keine Ahnung, ob Ihnen das gefällt, was wir hier machen… kann man ja nun auch nicht mehr ändern«, schallt es irgendwann selbstkritisch von der Bühne. Und noch eine Frage: »Vielleicht ist das auch alles Schwachsinn?« Nein, alles nicht. An den Schauspielern liegt es nicht, daß der Anfang, der ganze erste Teil des Abends mißlingt. Sie verkörpern die Figuren des Stückes gekonnt, besonders Philipp Otto in der Rolle des Hendrik Höfgen (Gründgens), der von den Hamburger Kammerspielen nach Berlin, bis zum Generalintendanten des Preußischen Staatstheaters und zum Günstling Görings aufsteigt. Göring – schon beginnen die Fragen, die der geplagte Zuschauer sich stellt. Ist es Göring, der da mit Stiefeln und Offiziersmütze den nackten Höfgen reitet und am Zügel führt, oder die »Prinzessin«, hier eine männliche Rolle, oder der alte Gründgens? Wie, reitet Höfgen sich selbst? Das Programmheft hilft nicht weiter, trägt zur Verwirrung bei. Göring und die Prinzessin: Michael Prelle. Oder ist es Jürgen Uter? Wie die meisten Darsteller übernimmt er viele Rollen, darunter wieder die Prinzessin und den alten Gründgens, auch mal Kellner und Theaterdirektor, dann Dr. Ihrig (Herbert Ihering, der wichtigste Kritiker, Mitarbeiter der Weltbühne ). So tauscht der Regisseur die Personen aus, und so schiebt er die Zeiten ineinander. Die Antrittspressekonferenz des Intendanten – heute – wird per Video eingespielt, auf der Bühne (Joachim Hamou) sitzen am langen Tisch die Schauspieler, um sich zu beraten, oder sie sind zum Hochzeitsmahl von Höfgen mit Erika Mann versammelt, dann rennen alle mit albernen Masken herum wie Narren, sprechen Goethes »Faust«-Text. Schon kommt die Gegenwart, der Kanzler (wird kurz mal genannt), Schauspieler, noch lebende, rasch eingestreut, die Namen und dann das: »Wir sind Papst«. Wir haben längst begriffen. Vieles wird nur so erzählt oder zitiert, bleibt Papier. Ausnahmen: eine lesbische Szene oder zu dritt ineinander verkeilt. Und immer wieder Höfgen nackt, sich auf den Boden werfend, schreiend: »Ich muß, muß, muß berühmt werden!« Im zweiten Teil – zurück zum Neuanfang in Berlin 1929, dann das Jahr Dreiunddreißig, als alle Freunde emigrieren – gelingen einige Szenen, bleiben im Kopf. Höfgen läuft auf leerer Bühne herum und ruft verzweifelt »hallo«, aber keiner ist da, der ihn hört. Einige Schauspieler sitzen in Logen und sehen ihm zu, von draußen. Emmy Sonnemann, Görings Frau, kommt als Gretchen – im Nerz. Sie kann ihren Text nicht, die Marschmusik übertönt sie. Sie badet im Schaum, ihre Nacktheit sind Gummibrüste. Höfgen, ihr Partner, hat sich wieder gefunden: »Ich hab doch nur Erfolg«, sagt er sich und macht mit. Der kommunistische Schauspieler Hans Otto (Guido Lambrecht) wird gefoltert. Blutbesudelt liegt er auf der Bühne. Dahinter Emmy und Hendrik, die sich im Beifall verbeugen. Walpurgisnacht im Grunewald: alle mit Bierkrügen, ein Teufelsreigen der Besoffenen, nur Höfgen schafft es, den »Lindenbaum« zu singen. Ich denke an etwas ganz anderes – soll ich daran denken? Der Bahnhof Grunewald war Sam-melplatz für den Abtransport der Juden Berlins. In der letzten Szene wird Höfgen Gründgens, der echte. Auf dem Bildschirm sehen wir ihn im Interview mit Günter Gaus, 1963, kurz vor seinem Tod. Er spricht von der großen Zeit 33 bis 45: Sie besaß für ihn so wenig Realität, daß er sich vorstellte, alles sei nicht wahr. Dann erstirbt seine Stimme, nur die Lippen bewegen sich noch. Inge Wangenheim (Marlen Diekhoff), die emigrierte und zurückkehrte, berichtet in ihrem langen Schlußmonolog von seinem Wiederaufstieg nach 45: »Er wußte eben, wie man gewinnt.« * Ein anderer mußte zur gleichen Zeit erfahren, wie man verliert, jeden Tag ein Stück mehr: Victor Klemperer. Michael Prelle, der am Vortag auf der großen Bühne Göring war, ist jetzt in einem eineinhalbstündigen fulminanten Solo inmitten der kleinen Theaterkantine Klemperer, der durch seine Ehe mit einer Nichtjüdin zwar vor der physischen Vernichtung geschützt blieb und doch erlebte, wie seine bürgerliche Existenz zerstört wurde, Schritt für Schritt. Als er dann 1945 doch abtransportiert werden sollte, rettete ihn der Angriff auf Dresden. Der spätere Nationalpreisträger führte seine Tagebücher bis zum Tod 1960. Katrin Kazubko hat sie unter dem Titel »Gehen – Bleiben« behutsam für die Bühne eingerichtet. Martin Oelbermann führt Regie. Michael Prelle macht in der Enge der Kantine den Text hautnah spürbar. »Und wenn ich gestorben werde, sparen sie eine Beamtenpension«, spricht er. Später wird sein Eingesperrtsein – Haftstrafe für eine Bagatelle – durch völlige Dunkelheit erschreckend deutlich. Befreit, Mitglied der Volkskammer, träumt Klemperer. Stellt sich vor, eines Tages sozialistischer Abgeordneter in einem demokratischen gesamtdeutschen Parlament zu sein. Einer der Chefabwickler ostdeutscher Professoren, der Pädagoge Manfred Heinemann aus Hannover, hatte 1992 seinen Traum: »Da werden auch DDR-Heilige fallen. Herr Klemperer, der Mann mit dem Buch ›LTI‹, einer, der für das Bewußtsein der DDR-Leute unglaublich wichtig ist. Aber wir haben jetzt genügend Unterlagen, wie er geholfen hat, das Universitätssystem in die Hände der Partei zu jagen.« Von den »Unterlagen« des Inquisitors aus Hannover hat man nie wieder gehört. Aber auch Klemperers Traum wäre beschädigt, wenn er 2005 als sozialistischer Abgeordneter im haßerfüllten Reichstag säße.
Erschienen in Ossietzky 22/2005 |
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