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Das Neue Deutschland schwieg zwar nicht, lobte aber einen freischwebender »Text«; den Autor vermochte es nicht eindeutig zu identifizieren. In diesem Jahr sind in Moskau zwei Publikationen herausgekommen, die Zweifel an der Autorschaft Scholochows ausräumen dürften. Erstens der Faksimile-Druck von Manuskripten zu den ersten beiden Bänden des »Stillen Don«: 910 großformatige Blätter, größtenteils in der (beglaubigten) Handschrift des Autors, die übrigen in der Reinschrift anderer Personen. Zweitens eine Monographie des am Moskauer Institut für Weltliteratur tätigen Literaturwissenschaftlers Felix Kusnezow, der die Manuskripte eingehend analysiert und alle in der Debatte über den Roman aufgeworfenen Fragen behandelt hat. Ihm standen dafür auch die bereits 1995 edierten handschriftlichen Fragmente zum dritten und vierten Band zur Verfügung. Kusnezow erzählt die erstaunliche Geschichte, wie es zur späten Wiederentdeckung der seit Jahrzehnten verschollen geglaubten Manuskripte gerade jener ersten Teile des »Stillen Don« kam, auf die sich das Plagiatskonstrukt vor allem stützte (Alexander Solshenizyn 1974: »… niemandem sind je Entwürfe und Manuskripte des Romans vorgewiesen worden…«). Es ist die Geschichte seines engsten Freundes aus Jugendtagen, Wassili Kudaschew, der in seiner Wohnung die Handschriften bewahrte, die Scholochow 1929 einer Kommission zur Widerlegung bereits damals kursierender Plagiatsvorwürfe vorgelegt hatte. Kudaschew wollte sie Scholochow 1941 zurückgeben, dann hatte ihn schon der Krieg verschlungen. Die Witwe glaubte wohl, am Freund ihres Mannes Vergeltung üben zu müssen, verleugnete den Besitz, kam schließlich auf die Idee, daraus ein Geschäft zu machen, ein Mittelsmann fand sich, der für sie und nach ihrem Tode für die Nichte die Sache betrieb, bis endlich, im Jahre 1999, mit Regierungshilfe das Manuskript durch das Institut für Weltliteratur für einen hohen Preis erworben werden konnte. Ein Blick in das Roman-Manuskript (den uns in Kusnezows Buch 32 Seiten Faksimile ermöglichen) zeigt, daß Scholochow, wie bekannt, zweimal Anlauf genommen hat: einmal im Herbst 1925 mit der Schilderung von Ereignissen um den Putsch des Generals Kornilow (August 1917), die später, nicht ganz fugenlos, in den zweiten Band eingefügt werden sollte. Dann nochmals ein rundes Jahr danach, stockend zuerst (die Datierungen am Rande verraten es), wiederum mehrere Anfänge erprobend, verwerfend – bis endlich am 15.November 1926 die weltbekannte Eröffnung steht: »Der Melechowsche Hof liegt am Ende der Staniza«. Mit einer nachträglichen Korrektur: »Chutor« statt »Staniza«. Die war wesentlich, so Kusnezow, weil die Romanhandlung von »unten« her, aus der Familie, dem Hof, der Tradition heraus (nicht vom Verwaltungszentrum Staniza) in die große Arena der geschichtlichen Vorgänge geführt. Führen sollte. Man muß (ideologie)blind sein, um nicht zu sehen: Hier war nicht frivole Leichtigkeit eines Abschreibers am Werke, sondern die Sorgfalt eines Autors, der nach schwungvoll hingeschriebenen Passagen stilistisch penibel an einzelnen Worten und Sätzen feilte und sich ein ums andere Mal auch den Plan des Ganzen vergegenwärtigte und den Text bis ins Detail darauf ausrichtete. Greifen wir noch ein bei Kusnezow eingehend behandeltes Thema heraus. Es betrifft einen Mann namens Charlampi Jermakow, nach dem die Hauptfigur des »Stillen Don«, Grigori Melechow, modelliert wurde. Die Urheber des Plagiatskonstrukts haben in Frage gestellt, daß es einem Scholochow, der den Aufstand der Donkosaken 1919 als Vierzehnjähriger in seinem Heimatort erlebte, möglich gewesen sein soll, diesen mit der oft gerühmten historischen Wahrheitstreue zu schildern. Bei Kusnezow erfahren wir, daß jener Jermakow – ein Mann mit militärischer Begabung, furchtlos im Kampf, doch von humaner Gesinnung, zeitweilig auf Seiten der Aufständischen und hier in hoher Position, folglich mit Überblick – wie kein anderer Scholochow kundig machen konnte. Aus erster Haft 1923/24 kam er in Anbetracht seiner Verdienste in der Budjonny-Armee (wofür er von Trotzki ein Ehrengeschenk erhalten hatte) wieder frei, doch 1927 ließ ihn Stalins Geheimdienstchef Jagoda nach kurzem Verfahren erschießen. Kusnezow dokumentiert aus den Gerichtsakten einen Brief Scholochows vom 6.4.1926, in dem dieser Jermakow bittet, ihm demnächst »Einzelheiten des Aufstands« mitzuteilen… Wen verwundert es, daß Scholochow sich lange Zeit hinsichtlich des »Prototyps« seiner Romanfigur bedeckt hielt? Zweiflern sei hier noch das Buch von Natalija Kornijenko über Andrej Platonow und Scholochow (Moskau 2003) empfohlen. Die weltweit geachtete Verfasserin hat bei der textkritischen Erschließung und Edition wiederentdeckter Werke Platonows Bahnbrechendes geleistet. Ihr Anliegen: entgegen dem Zeitgeist die tief wurzelnden Gemeinsamkeiten beider Schriftsteller herauszustellen. Das Plagiatsthema gehört für sie in die Politik, nicht in die Literaturwissenschaft, Widersprüche im »dialogisch« angelegten Schriftstellerwerk seien etwas Normales. Im übrigen meint Natalija Kornijenko, habe die Debatte der Scholochow-Forschung auch philologischen Gewinn gebracht.
Erschienen in Ossietzky 22/2005 |
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