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Diese Tatsache hatte verhängnisvollen Einfluß auf die Entwicklung Deutschlands. Allerdings mußte die Bundesregierung unterschreiben, daß die deutsche Justiz die Nürnberger Verfahren nicht wieder aufrollen könne. Schon damals war nämlich über die niedrigen Strafen, wenn nicht Freisprüche spekuliert worden, die die Nürnberger Angeklagten vor deutschen Gerichten erwarten dürften. Ebenso mußte die Bonner Regierung im Zusatz-Abkommen zu den Pariser Verträgen unterschreiben, daß die deutschen Behörden die zurückgegebenen Dokumente nur in Treuhand erhielten und sie auf Verlangen zugänglich zu machen hatten. Aber deutsches Archivrecht bricht bekanntlich internationale Verträge … Der Hauptkriegsverbrecherprozeß wurde vom Internationalen Militärtribunal (IMT) am 18. Oktober 1945 im Gebäude des Berliner Kammergerichts eröffnet, wo der Alliierte Kontrollrat, der provisorische Nachfolger der Reichsregierung, und das IMT ihren Sitz hatten. Dieses Verfahren wurde dann in Nürnberg fortgesetzt. Ein weiterer IMT-Prozeß ist wegen des beginnenden Kalten Krieges nicht mehr zustande gekommen. Anklageschriften, Protokolle, Urteile und Dokumente dieses Verfahrens gegen »Göring und Konsorten« wurden in vier Sprachen in jeweils 42 Bänden veröffentlicht. Diese Blaue Serie war seinerzeit allgemein zugänglich, zum Beispiel in jedem Amerika-Haus und, soweit ich weiß, in jedem britischen Informationszentrum »Die Brücke«. Bei Schließung dieser Institutionen wurde die Blaue Serie den deutschen Stadt- oder Universitäts-Bibliotheken übergeben, die sie vielfach umgehend an Papiermühlen zum Makulieren weiterreichten. Meine nicht mehr ganz vollständige blaue Serie stammt aus solchen Papiermühlen. Für das dann rein Amerikanische Militärtribunal (AMT) in Nürnberg hatten die Amerikaner ursprünglich 24 Folgeprozesse vorgesehen und dafür Dokumente zusammengetragen. Diese 24 Prozesse hätten Hinweise für die deutsche Justiz sein sollen, in welchen Bereichen sie würde weiterarbeiten müssen. Doch als Folge des beginnenden Kalten Krieges wurde die Zahl der Verfahren von 24 nach und nach auf zwölf reduziert. Einige der späteren Prozesse litten zudem darunter, daß die Richter unter starken Druck aus den Vereinigten Staaten gerieten, wo man eine Wendung in der Deutschlandpolitik beschlossen hatte. Doch nicht alle Richter gaben diesem Druck nach – wie Stanley Kramers 1961 frei nach authentischen Dokumenten gedrehter Spielfilm »Judgement at Nuremberg« (deutsch: »Urteil von Nürnberg«) mit Spencer Tracy und Marlene Dietrich eindruckvoll zeigt. Anders als nach dem IMT-Prozeß, der in den 42 Bänden gründlich dokumentiert ist, wurden aus den zwölf AMT-Folgeprozessen nur geringe Auszüge publiziert, insgesamt 15 Bände, die Grüne Serie, und nur auf Englisch. Die druckfertige deutschsprachige Ausgabe ist auf Wunsch der deutschen Regierung nie erschienen. Ebenso wenig ist die britische Rote Serie – »The Belsen Trial«, »The Velpke Trial« und andere – je auf Deutsch herausgekommen, gleichfalls nicht die niederländische Blaue Serie oder die französischen, norwegischen, dänischen, polnischen, tschechischen, russischen, griechischen und anderen Verfahren. Selbst die fremdsprachigen Originale dieser Bände oder Kopien unpublizierter Akten sind nirgendwo in Deutschland gezielt gesammelt und erst recht nicht der Allgemeinheit zugänglich gemacht worden. Die Dokumente, die für die anfänglich vorgesehenen, dann aber unterlassenen zwölf weiteren Folgeverfahren in Nürnberg zusammengetragen worden waren, wurden dann, teils fertig für die Anklage – etwa für den Reichsbahn-Prozeß – , den deutschen Justizbehörden übergeben. Aus all diesen Materialien entstand jedoch nur noch ein Verfahren gegen eine Einzelperson: Der Autor Michael Mansfeld erzwang mit Zeitungsartikeln und Rundfunkvorträgen schließlich den Rademacher-Prozeß. Rademacher, Polizei-Referent im Auswärtigen Amt, war ein so überzeugter Nazi, daß er seine Spesenquittungen etwa mit »für Judenliquidationen Serbien« zu unterschreiben pflegte (eine undiplomatische Sprache, die der leitende Beamte des AA, Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, gar nicht schätzte). Mansfeld erreichte damals auch, daß der Untersuchungsausschuß 47 zur Überprüfung der Personalpolitik des Auswärtigen Amtes eingesetzt wurde, der trotz seiner Milde zahlreiche AA-Angehörige für untragbar hielt. Doch schon der nächste Bundestag setzte sich über diese Urteile hinweg. Für einen der für untragbar gehaltenen Männer schuf der Bundestag per Gesetz die im Haushaltsplan nicht vorgesehene Stelle eines Unterstaatssekretärs. Andere alliierte NS-Verbrechensverfahren in Deutschland, etwa die vor dem AMT in Landsberg, sind meines Wissens nie in Buchform herausgegeben worden, mit einer Ausnahme: dem Berlinski-Prozeß, dem sowjetischen Sachsenhausen-Verfahren 1947. Auch die in der DDR erschienene Serie mit kommentierten Exzerpten aus den Nürnberger AMT-Verfahren und der musterhaft als Mikrofiche-Edition von Klaus Dörner und Angelika Ebbinghaus aufbereitete AMT-Ärzte-Prozeß ändern nichts an der Feststellung: Dem weit überwiegenden Teil der deutschen Bevölkerung sind die vor ausländischen Gerichten aufgerollten und nachgewiesenen NS-Verbrechen höchstens ein vager Begriff. Deutscherseits sind die Akten dieser Verfahren nicht umfassend gesammelt und schon gar nicht der Allgemeinheit zugänglich gemacht worden. Während des Ärzte-Prozesses vor dem AMT hatten die ärztlichen Standesorganisationen zwar auf starken amerikanischen Druck zwei Kollegen als Beobachter nach Nürnberg geschickt: Mitscherlich und Mielke. Sie blockierten dann aber die Verbreitung des Mitscherlich/Mielke-Berichtes, soweit es ihnen möglich war. Erst viele Jahre später konnte das Fischer-Taschenbuch »Medizin ohne Menschlichkeit« erscheinen. Und die Herausgabe der Mikrofiche-Edition wurde nicht vom Staat oder den medizinischen Standesorganisationen organisiert. Rund 8000 Ärzte spendeten 1 432 015 Mark, um diese Aufarbeitung zu ermöglichen. Der Begleitband mit dem Titel »Vernichten und Heilen – Der Nürnberger Ärzteprozeß und seine Folgen« erschien 2001 in Berlin. Deswegen forderte der Kongreß »Tabus der bundesdeutschen Geschichte« am 21. bis 23. Oktober in Hamburg die Errichtung eines umfassenden und allgemein zugänglichen Archivs 1) zur Sammlung wenigstens der wichtigeren alliierten NS-Verbrechensverfahren sowie der Prozesse, die von der Justiz der annektiert oder besetzt gewesenen Länder (etwa Luxemburg), Regionen und Völker geführt worden sind (Kopien genügen, solange Quellen vermerkt und Aufbewahrungsarchiv genau angegeben sind); 2) für eine möglichst vollständige Sammlung der Einstellungsbescheide deutscher Gerichte oder Staatsanwaltschaften samt Begründungen einschließlich der diesen Bescheiden zugrundeliegenden, meist aus dem Ausland eingereichten Strafanzeigen wegen NS-Verbrechen inklusive Akten und Literatur über diese Straftaten (etwa die Geiselmorde in Griechenland oder Italien); 3) zur Aufstellung einer Liste jener NS-Massenmorde samt der dazugehörigen Literatur, bei denen es deutscherseits nicht einmal zur Ablehnung einer Verfahrenseröffnung reichte, die also juristisch nie aufgearbeitet wurden. (Zum Beispiel die Verbrechen im Gebiet von Zamosc südöstlich Lublin, das als Himmlerstadt eingedeutscht wurde. Die Deportation der dortigen Bevölkerung in Zwangsarbeit oder ihre Ermordung begann in Skierbieszow, eingedeutscht als Heidenstein, am einen Ortsende, während am anderen die deutschen Neusiedler eintrafen, darunter die Eltern unseres gegenwärtigen Bundespräsidenten, der dann in Heidenstein geboren wurde. Den Eltern Köhler kann allerdings kein Vorwurf gemacht werden. Als sogenannte Volksdeutsche waren sie Himmler in dessen Funktion als Reichskommissar zur Festigung Deutschen Volkstums auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.) Außerdem verlangte der Kongreß die Finanzierung eines Forschungsprojekts, das einen Vergleich ermöglicht zwischen der Höhe der für »Wiedergutmachung« aufgewendeten öffentlichen Mittel (wann wieviel wofür?) und den Summen, die NS-Verbrechern, NS-Kollaborateuren und NS-Profiteuren nach Mai 1945 bis an ihr Lebensende ausgezahlt wurden (Spätheimkehrer-Entschädigungen, nachgezahlte Gehälter, anschließende fortlaufende Bezüge sowie spätere Pensionen oder Renten).
Erschienen in Ossietzky 22/2005 |
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