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Über diese Entscheidung sei der ehemalige Soldat »froh«, berichtet Ulrike Heitmüller im letzten Satz ihrer ausführlich recherchierten Geschichte in der Frankfurter Rundschau , ohne uns allerdings darüber zu informieren, wie der Berufsoffizier nun im Zivilleben zurechtkommen soll. Der ehemalige deutsche KFOR-Offizier ist seit einem Zwischenfall vor fünf Jahren in Prizren, der Hauptstadt der deutschen Besatzungszone des Kosovo, nicht mehr derselbe wie vorher. Damals war er einem Kameraden im Gerangel mit einem Albaner zu Hilfe geeilt, der sich am Kontrollpunkt mit Hilfe eines Messers der beabsichtigten Festnahme zu entziehen versuchte. Der hinzugerufene Offizier zog seinen Revolver, und als der Albaner das Messer in seine Richtung schleuderte, drückte er gezielt auf den Mann ab. Der Revolver streikte – zum Glück; die Soldaten konnten den Albaner festnehmen. Doch der Deutsche findet seitdem keine Ruhe mehr. Er ist über sich selber erschrocken, weil er in jenem Augenblick die Kontrolle über sich verloren hatte und den randalierenden Gegner nur noch töten wollte. Eine Art »Mordlust« hatte ihn ergriffen, von der er bis dahin nicht geahnt hatte, daß sie in ihm schlummerte und so schnell geweckt werden konnte. Sein Studium der Pädagogik an der Bundeswehrhochschule und seine auch daraus resultierende bisherige Selbsteinschätzung eines besonnen kalkulierenden Soldaten waren offenbar wertlos: »Ich kam mir wie ein Monster vor.« Er sonderte sich ab, es kam zu Streit mit den Kameraden, er fing an zu trinken, mußte den Truppenpsychologen aufsuchen, der ihn aber nur vordergründig therapierte. Als die Zeit seines Kosovo-Einsatzes endete, flüchtete er bald in den nächsten Bundeswehreinsatz nach Mazedonien, man hatte ihn zwischenzeitlich zum Hauptmann befördert. Doch er bleibt unruhig, hat Alpträume und ständig Angst, seine Waffe zu verlieren. Er kommt zurück nach Deutschland und soll Unteroffiziere unterrichten, ihnen unter anderem. das Schießen auf Pappkameraden beibringen. Als nach seinem ersten Lehr-Schuß das Menschenbild aus Pappe umfällt, hat er einen Schweißausbruch und weiß, daß er nicht mehr kann. Er gibt seine Waffe ab und meldet sich für die Psychiatrische Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses nach Hamburg. Dort diagnostiziert man PTBS: Das traumatische Erlebnis in Prizren habe er noch »nicht verarbeitet«, heißt die Erst-Diagnose. Eine längere Therapie wird bewilligt – weiß man doch aus internationalen Studien, daß »fünf Prozent aller Soldaten einer ›Friedensmission‹ und 20 bis 25 Prozent eines Kampfeinsatzes« derart geschädigt zurückkehren. Was uns jetzt aber über den Ablauf und die Zielsetzung dieser »Psychotherapie« kommentarlos berichtet wird, ist haarsträubend und skandalös: Der Therapeut – immerhin der leitende Psychologe der Klinik – hat seinen Patienten zu der Einsicht gebracht, daß in solchen Konstellationen »Mordlust« ein notwendiger Teil der »Aggression« sei. Der Hauptmann will durch die Therapie gelernt haben, daß er nur zwei Möglichkeiten gehabt habe: »Angriff oder Flucht«. Er habe sich für den Angriff entschieden, »und diese Lust am Töten, die gehört dazu«. Er glaube nun nicht mehr, daß sie etwas Besonderes, nur ihm Eigenes sei – nachdem er vorher gedacht habe, da lauere eine Bestie in ihm und »Du bist für Dich und andere gefährlich«. Schon die vom Therapeuten intendierte Einschätzung der Ausgangssituation erscheint mir fatal. Vergessen ist, daß eine sogenannte Schutztruppe vorrangig nach polizeilichen Regeln zu agieren hätte, wonach Festnahmen nur unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel erfolgen dürfen und Leben und Würde eines Delinquenten unbedingt gewahrt werden sollen, außer in nachweisbaren Notwehrsituationen. Ausweichen oder auch Zurückweichen vor einem Messer wären ja noch kein »Flüchten« gewesen, ungefähr ein halbes Dutzend bewaffnete Kameraden mit einem Fahrzeug sowie einem Schützenpanzer waren zugegen und konnten agieren. Hier zeigt sich, daß Soldaten keine ausgebildeten Polizisten sind. Sie werden offenbar einzig trainiert auf »Flüchten oder Angreifen«. Das Konzept einer »Schutztruppe« ist eine Fiktion unverantwortlicher Politiker. Noch gefährlicher aber ist nach meiner Meinung die intendierte psychologische Zurichtung: Soldaten sollen in sich die Fähigkeit zur unkontrollierten Aggression »entdecken« und annehmen. Die angeblich dazugehörige Tötungs-, ja »Mordlust« sollen sie nicht nur zulassen, sondern gezielt pflegen. Sie zu gefühl- und seelenlosen Tötungsmaschinen auszubilden, reicht nicht, sie sollen den Angriff auf den Feind und dessen intendierte Vernichtung als Lust empfinden und sich daran freuen können. Wenn sie das auch ohne nachträgliche Skrupel schaffen, sind sie gut einsetzbare Kämpfer und nach Meinung der Bundeswehrpsychologen »gesund«. Hier kommen Theorien heutiger Modepsychologen zum Vorschein; sie fügen sich paßgenau ins neoliberale Weltbild vom »Kampf aller gegen alle« und dem Streben nach dem »survival of the fittest«. So brachte jüngst Der Spiegel unter der Schlagzeile »Mord steckt in uns« ein drei Seiten langes Interview mit dem US-Psychologieprofessor David Buss. Dieser will festgestellt haben, daß 91 Prozent aller Männer Mordphantasien ausbilden, auch er selber habe schon gelegentlich solche »Gelüste« gehabt. Das sei nichts Erschreckendes, sondern von der Evolution so gewollt; denn nur durch Beseitigung der Rivalen habe sich der Mann über Millionen Jahre hinweg einen »Reproduktionsvorteil« verschaffen können – wie heute noch bei Löwenmännern zu studieren sei, wenn sie alle Jungen des Konkurrenten gleich mittöteten. »Der evolutionäre Prozeß schert sich nicht um Gerechtigkeit oder das Wohl einer Art, es geht nur um das des Individuums und vor allem seiner Gene.« Solche Zoo-Psychologie tut wohl selbst vielen Tierarten Unrecht. Von der Bildung und Emanzipation des Menschengeschlechts aus Unwissenheit und Barbarei, von Kultur oder Zivilisation, von Liebe und Solidarität hat sie keine Ahnung. Ob Aggression ein angeborener eigenständiger Trieb ist oder Teil eines Sexual- oder Libidotriebes, ob ein selbständiger Todestrieb im Seelenhaushalt angenommen werden muß oder dieser einem umfassenderen Lebenstrieb zu subsummieren sei – all das sind komplizierte Arbeitshypothesen in der Freudschen und nach-Freudschen Psychoanalyse. Nicht umstritten in einer dem Menschen dienlichen Psychologie ist aber bis heute, daß die Herausbildung eines »Ichs« anzustreben ist, das Triebregungen – ihrerseits schon geschichtlich geformt – mit dem kulturell und gesellschaftlich geprägten »Über-Ich« und den Gewissensanforderungen ausgleicht und so erst Subjekt werden kann. Auch die Psychotherapie, wie sie im Bundeswehrkrankenhaus praktiziert wird, betreibt »Subjekt-Bildung« für einen gesellschaftlichen Kontext – es ist der Kontext einer grundsätzlich kriegerischen Welt, in der diejenige Gruppe siegt, die die meisten mordlüsternen Soldaten heranzüchten kann. Aggression wird auf einen Destruktionstrieb mit Anteilen der Libido hin konditioniert, das Töten soll mit Lust besetzt werden – nach Freudschen Erkenntnissen ein Akt barbarischer Perversion. Der afrokaribische Dichter Aimé Césaire stellte der abendländischen Kultur mit ihrem Drang zur imperialen Kolonialisierung der Welt 1968 eine bittere Prognose: Sie arbeite daran, die Besitzer und Herren zu entzivilisieren, »sie im wahrsten Sinne des Wortes zu verrohen, sie zu degradieren, verschüttete Instinkte, die Lüsternheit, die Gewalttätigkeit, den Rassenhaß, den moralischen Relativismus in ihnen wachzurufen« (zitiert bei Peter Brückner: »Sozialpsychologie des Kapitalismus«). Die Rebarbarisierung der herrschenden Klassen, nicht nur ihrer Diener in den Armeen und Eingreiftruppen weltweit, droht in den Zentralgesellschaften der Weltmarktgewinner allgemeines Programm zu werden: Mitleid mit den Unterlegenen darf es nicht geben. Erfreulicherweise zeigt der geschilderte Fall des verstörten Bundeswehroffiziers auch, daß nicht alle für solch ein Programm der Menschenkonditionierung zur Barbarei tauglich sind. Er mußte aus der Armee entlassen werden – hoffentlich in ein Leben unter solidarischen Menschen, die ihm helfen können, ein menschenfreundliches Ich auszubilden.
Erschienen in Ossietzky 22/2005 |
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