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Eine Auflistung der »Opferperspektive Brandenburg« allein aus den Monaten August und September 2005 führt erschreckend vor Augen, wie alltäglich in der BRD Gewalttaten des Neonazi-Mobs geworden sind. Einige Beispiele (die sich beliebig auch aus anderen Bundesländern zusammentragen ließen): Ein linksgerichteter Jugendlicher wurde am 2. August vor dem Kaiserhof in Fürstenwalde von zwei Neonazis als »Scheiß-Antifaschist« beschimpft; sie rissen ihm sein Palästinensertuch weg, würgten und traten ihn. – Ein 32jähriger Inder wurde am 5. August in Strausberg an einem Imbißstand von einer Gruppe von fünf Männern und einer Frau rassistisch beschimpft und mißhandelt. – Ein 31jähriger Asylbewerber aus Kamerun wurde am 6. August gegen 22 Uhr in Potsdam auf dem Gelände des Asylbewerberheims Lerchensteig von einer Gruppe Deutscher angegriffen. Das Opfer wurde zu Boden geschlagen und getreten. – Ein 27jähriger Mann wurde von einem 21jährigen Rechtsradikalen im Potsdamer Stadtteil Waldstadt II bedroht. Der Angreifer trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »Nazi« und »Vernichtet alle Untermenschen«. – Eine Vietnamesin wurde am 25. August gegen 8.30 Uhr in Zeuthen auf dem Parkplatz vor dem Schlecker-Markt von einem Mann geschlagen. – Ein 27jähriger Inder wurde am 27. August gegen 5.30 Uhr auf dem Bahnhof in Brand von zwei Skinheads geschlagen, die Gleise entlang verfolgt und getreten – Ein 18jähriger Skater wurde am 3. September auf dem Markplatz in Bernau von einer fünfköpfigen Gruppe Rechtsradikaler verfolgt, in den Rücken getreten und geschlagen. Er erlitt einen Nasenbeinbruch. – Ein 17jähriger Jugendlicher wurde am Abend des 7. September in der Brandenburgischen Straße in Schöneiche am Eingang des Spreewaldparks von einem jungen Mann ins Gesicht geschlagen, als er sich weigerte, einen Aufnäher vom Rucksack zu entfernen. Dann wurde er auf dem Boden liegend von einem anderen jungen Mann getreten und gezwungen, den Aufnäher zu beseitigen. Der erste Angreifer hatte wenige Tage zuvor den 17Jährigen schon einmal gezwungen, einen »Gegen Nazis«-Aufnäher abzutrennen. – Am 23. September wurden in Cottbus 17 Scheiben des Kulturpavillons in der Stadtmitte, in dem das Theaterstück »Hallo Nazi« auf dem Programm stand, vermutlich von rechtsradikalen Tätern eingeworfen. – Zwei Männer und eine Frau wurden am 24. September in Rathenow von sieben Rechtsradikalen an einer Tankstelle angegriffen. Die Opfer wurden zusammengeschlagen. Sie erlitten Prellungen, Hämatome und Schürfwunden – Einer jungen Frau auf einem Fahrrad wurde am 24. September in Potsdam zeitgleich zu einer antifaschistischen Demonstration in der Hegelallee von einem Anti-Antifa-Aktivisten ein Pflasterstein an den Kopf geworfen. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU), der immer versucht, den Ruf der »Ordnungszelle Bayern« zu pflegen, sprach zwar im August 2005 bei der Veröffentlichung seines Verfassungsschutzberichtes von einem kontinuierlichen Abwärtstrend, doch der Bericht gab für das Jahr 2003 die Zahl der Gewalttaten mit antisemitischer, fremdenfeindlicher und neonazistischer Motivation mit 1307 an, für das Jahr 2004 dagegen mit 1468. Beckstein versuchte den Anstieg auch mit dem Hinweis zu bemänteln, die Zahlen lägen jeweils deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. In geradezu typischer Weise verharmlost das bayerische Innenministerium die Gewalt von rechts in seiner Publikation »Rechtsextremismus und Gewalt«, in der zu lesen ist: »Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten beläuft sich bundesweit auf etwa 10 000 Personen. Über 80 Prozent aller rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten gehen auf das Konto von Skinheads. Grundsätzlich ist die Entwicklung rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten weitestgehend situationsbedingt, da den Skinheads – anders als den Linksextremisten – die Kompetenz zur planmäßigen arbeitsteiligen Vorbereitung und Begehung von Gewalttaten meist fehlt.« Wir verstehen: Richtig gefährlich können immer nur die Linken sein. Indem das Ministerium die Gewalt von rechts zu unüberlegtem individuellem »Ausrasten« herabstuft, verstellt es bewußt den Blick auf gesellschaftliche Ursachen. Beckstein muß denn auch argumentative Klimmzüge machen, um die terroristischen Planungen von führenden Mitgliedern und Aktivisten der ehemaligen »Kameradschaft Süd – Aktionsbüro Süddeutschland«, die einen Bombenanschlag auf das neue jüdische Gemeindezentrum in München verüben wollte, als »regional bezogenen Einzelfall« darzustellen, aus dem sich »keine Erkenntnisse zu rechtsterroristischen Netzwerkstrukturen« ergäben. Wenn die von Neonazis ausgehende Gewalt so verharmlost wird, wundert es nicht, daß Hilfsorganisationen für Opfer und Aufklärungsprojekte wie »Civitas« und »Xenion« nach der Bundestagswahl um ihren Fortbestand fürchten müssen. Es ist abzusehen, daß im Zuge allgemeiner Haushaltskürzungen gerade bei »freiwilligen« Leistungen der öffentlichen Hand rasch der Rotstift angesetzt wird. Erleichtert teilte die »Opferperspektive Brandenburg« mit, das Justizministerium in Potsdam habe ihr jetzt eine Förderung von 29 000 Euro bewilligt; damit könne der Verein bis Jahresende Opfer rechter Gewalt betreuen. Um lächerliche 29 000 Euro mußte also gekämpft werden, denn die Landesregierung hatte der Beratungsstelle zunächst die Fördermittel für 2005 ganz gestrichen. Der Verein braucht aber den Zuschuß des Landes, um Fördermittel des Bundesprogramms »Civitas« zu erhalten, das 86 Prozent der Kosten trägt. Daher haben sich Bür- gerinitiativen sowie Politiker der SPD, der PDS und der Grünen für eine Weiterfinanzierung eingesetzt, am Ende mit Erfolg. Insgesamt aber erhält der Potsdamer Verein weniger Fördermittel als im vergangenen Jahr. Die Relationen verschieben sich. In Sonntagsreden wird gern der »Konsens der Demokraten« im Kampf gegen Gewalt von rechts beschworen, im parlamentarischen Alltag droht die Streichung selbst geringer finanzieller Hilfen. Seit Herbst 2001 werden in den neuen Bundesländern und in Berlin mit Hilfe des Bundesprogramms »Civitas« acht Projekte zur Beratung von Opfern rechter Straf- und Gewalttaten gefördert. Im Jahr 2004 erlangten diese Opferberatungsstellen Kenntnis von insgesamt 551 rechtsextremen Angriffen. Davon waren mindestens 805 Personen direkt betroffen. In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um Körperverletzung. Fast die Hälfte der beratenen Opfer, größtenteils Flüchtlinge, MigrantInnen und AussiedlerInnen, waren aus ein rassistischen Motiven angegriffen worden. In den anderen Fällen waren meist Jugendliche betroffen, die sich alternativen Milieus (Punks und anderen) zugehörig fühlen. In 70 Prozent der Fälle erwies sich ein langfristiges Beratungsverhältnis als notwendig. Nach den Erkenntnissen der Beratungsstellen konnte im Jahr 2004 von einem Rückgang rechter Gewalttaten keine Rede sein. Die aktuellen Zahlen des Bundesinnenministeriums ergeben einen weiteren Anstieg rechtsextremistischer Straftaten. Auf die monatliche Standardfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau (PDS) gab das Ministerium für August 2005 genau 1000 registrierte rechtsextreme Straftaten bekannt, darunter 48 Gewalttaten. Die Angeordnete stellte daraufhin in einer Presseerklärung fest, dies sei »im langfristigen Vergleich eine absolute Höchstzahl«. Zudem sei zu berücksichtigen, daß die ministerielle Übersicht nur vorläufig sei. »Die realen Zahlen sind – erfahrungsgemäß – doppelt so hoch.« Mit besonderer Skepsis wies Petra Pau auf Thüringen hin: Das Land hatte »in allen von mir erfragten Kategorien erneut eine unglaubwürdige Null« angegeben. Nicht nur die Politik verschließt vor der Realität gern die Augen, sondern – ihr folgend – häufig auch die Justiz. Außergewöhnlich milde urteilten die Richter am 5.April 2005 über vier Kumpane des führenden Neonazis Martin Wiese in München. Das Bayerische Oberste Landesgericht befand sie zwar der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung für schuldig, verurteilte sie jedoch lediglich zu Bewährungsstrafen. In dem Prozeß war nachgewiesen worden, daß die Gruppe um Wiese, die »Kameradschaft Süd«, Sprengstoff besaß und daß die Angeklagten dies wußten. Vor allem stellte das Gericht fest, daß den Angeklagten klar war, wofür der Sprengstoff verwendet werden sollte: für den geplanten Anschlag auf das neue jüdische Gemeindezentrum in München am Tage der Grundsteinlegung, dem 9. November 2003, dem 65. Jahrestag der Reichspogromnacht. Führende Vertreter des jüdischen Lebens in Deutschland nahmen an der Feier teil. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der Führungszirkel der »Kameradschaft Süd«, die sogenannte Schutzgruppe, »einen politischen Umsturz im Sinne einer blutigen Revolution« in Deutschland zum Ziel gehabt habe, um das politische System in Deutschland durch ein nationalsozialistisches Regime zu ersetzen. Trotz dieser Schuldnachweise verließen die Angeklagten den Gerichtssaal als freie Leute. Derartige Urteile gegen Mitglieder der »Rote Armee Fraktion« (RAF) wären undenkbar gewesen; sie hätten den geballten Protest der tonangebenden Politiker und Wirtschaftsmächtigen hervorgerufen. Nach solchen Erfahrungen müssen sich die aktiven Demokraten, die sich vor Ort mit Nazis auseinander- und gegen sie zur Wehr setzen, von Behörden, Gerichten und den übergeordneten politischen Institutionen verraten und getäuscht fühlen. Mit welcher Ignoranz die bisherige Bundesregierung das Thema behandelt hat, wird aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zum Thema »Strategien gegen Rechtsextremismus« deutlich. Darin heißt es: »Die Einstellung des Verbotsverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht am 18. März 2003 führte nicht zu der von der NPD erhofften Aufbruchstimmung.« Man fragt sich, in wie viele Landtage die Nazis noch gewählt werden müssen, damit auch die Politiker von SPD und Grünen deren Vormarsch wahrnehmen. An anderer Stelle ihrer Antwort formulierte die Bundesregierung, es sei »Rechtsextremisten nicht gelungen, in Ostdeutschland so genannte ›national befreite‹ Zonen zu schaffen.« Eine solche Behauptung muß allen Migranten, die sich in vielen Orten nicht mehr frei und sicher auf öffentlichen Plätzen und Straßen bewegen können, als blanker Hohn vorkommen. Zwar hat die NPD bei der Bundestagswahl am 18. September insgesamt nur 1,6 Prozent der Zweitstimmen erhalten, aber an manchen Orten gab es zweistellige Ergebnisse wie etwa in Reinhardtsdorf-Schöna in der Sächsischen Schweiz (14,4 Prozent) oder in Gröden in Brandenburg (14,1 Prozent). Besonders in Sachsen hat sich die NPD festgesetzt und mit 4,9 Prozent sogar die Grünen überflügelt (4,6 Prozent). Die NPD hat hier mittlerweile landesweit einen festen Wählerstamm. Unter vier Prozent blieb sie nur in Leipzig, um Zwickau sowie in Chemnitz. In den Schwerpunkt-Wahlkreisen Sächsische Schweiz und Kamenz-Hoyerswerda-Großenhain kam die NPD auf 7,1 und 6,5 Prozent. Bestürzt forderte Sachsens DGB-Vorsitzender Hanjo Lucassen von allen Demokraten endlich eine »aktive Auseinandersetzung statt stillschweigender Tolerierung«. Auch im südlichen Brandenburg, in Berlin und Thüringen sowie dem Saarland erzielte die NPD teilweise hohe Stimmengewinne. Sie wird sich jetzt vermutlich auf die Wahl in Rheinland-Pfalz konzentrieren. Ihr Bundesvorsitzender Udo Voigt rief aber schon das nächste Ziel aus. Er bezeichnete das NPD-Bundestagswahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern (3,5 Prozent der Zweitstimmen) als beste Voraussetzung, um dort 2006 in den Landtag einzuziehen.
Erschienen in Ossietzky 22/2005 |
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