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Laut der dazugehörigen Anzeigenserie bin ich ab sofort auch noch Beethoven, Goethe, Einstein, Ludwig Erhard, Max Schmeling, Alice Schwarzer, Michael Schumacher, Beate Uhse und viele andere. Werde ich jetzt gar nicht mehr gefragt, wer ich sein will? Warum darf ich nicht Rudi Dutschke sein? Oder Eckart Spoo? Oder Martin Petersen? Je weniger der einzelne Mensch und seine Bedürfnisse in dieser Gesellschaft gelten, desto größer wird der ideelle Wert, den ihm die Oberen einreden. Es ist wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern, bloß umgekehrt: Die Herrschaften ziehen ihre Knechte und Mägde nackt aus, jagen sie durch die Straßen und behaupten dabei mit mühsam unterdrücktem Lachen: »Richtig chic siehst Du aus!« Du bist nämlich Deutschland. Sei endlich stolz, halt's Maul und schufte! Die Wahnsinnsidee zum Werbefeldzug für ein luftiges Dings namens Deutschland und gegen die meisten der hier lebenden Menschen entstand – man hat es nicht anders erwartet – nach Absprache mit Kanzler Schröder, während eines »Innovationsgipfels«. Daß die Monsteraktion genau eine Woche nach der Bundestagswahl startete, war kein Zufall; offenbar sollte »Du bist Deutschland« den Aufbruch in die Schwarze Republik beschleunigen, den die großen Medien und ihre Anzeigenkunden so lange und eifrig herbeigesehnt hatten. Hinter dem neuesten Deutschland-Spuk stehen die »Partner für Innovation«: eine unheilige Allianz aus Bundesregierung, BASF, IBM, DGB, Siemens, Thys- senKrupp, Lufthansa, Telekom, Roland Berger, BDI und anderen Elitebünden. Sie verfolgen laut Eigenwerbung nur das eine Ziel, »unabhängig von eigenen wirtschaftlichen Interessen vielversprechende Ideen schnellstmöglich in marktfähige Produkte zu verwandeln«. Ihr neuestes Produkt ist der Stolzdeutsche mit eingebautem Fleißchip und der unheimlichen Fähigkeit, sich bis zum Verrecken für den Standort D aufzuopfern: »Bring die beste Leistung, zu der du fähig bist. Und wenn du damit fertig bist, übertriff dich selbst.« Und wehe, wenn nicht. Verantwortlich für den Kreativschrott à la »Es gibt keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Deutschlandbahn« sind die Werbeagenturen Kempertrautmann und Jung von Matt. Letztere macht übrigens aus ihren Tricksereien kein Geheimnis: »Gute Ideen sind wie das Trojanische Pferd: Sie kommen attraktiv verpackt daher, so daß der Mensch sie gerne hereinläßt. Erst dann entlarven sie ihr wahres Ziel: Eroberung.« Bei so viel entlarvender Ehrlichkeit brauchte es nur noch geeigneter Medienpartner, die mindestens 90 Prozent der Bevölkerung erreichen: Bertelsmann, Springer, Holtzbrinck, WAZ, FAZ, ARD, RTL, ZDF, Premiere und Pro Sieben stellten sich freiwillig und kostenlos in den Dienst der schlechten Sache. Kein Wunder, daß der stern hierauf jubilierte: »Sonst Konkurrenten im Kampf um die Gunst der Zuschauer und Leser, ziehen sie jetzt an einem Strang. Das gab es noch nie.« Hier irrt die Illustrierte: Der Ansatz ist nicht wirklich neu, er ging damals bloß noch einen Schritt weiter und kann unter dem Stichwort »Gleichschaltung« in den Geschichtsbüchern besichtigt werden. Herzstück der Aktion »Du bist Deutschland« ist ein Manifest. Natürlich nicht das kommunistische – das gilt es mit aller Kraft zu bekämpfen –, sondern eine haarsträubende Mischung aus Zen-Philosophie, Poesiealben-Lyrik und Völkischem Beobachter : »Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen [...] Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern [...] Egal wo Du arbeitest. Egal welche Position Du hast. [...] Unsere Zeit schmeckt nicht nach Zuckerwatte.« So klingt das, wenn sich eine Horde unbegabter Werbetexter am hohlen Pathos eines Grönemeyer-Songs verschluckt und es gleich darauf wieder als rechtspopulistische Kampfschrift von sich gibt. »Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig.« Ja, genau darauf hat der Rest der Menschheit gewartet – daß »wir« uns nach 60 Jahren mal wieder die Hände so richtig schmutzig machen! Ein Teil des zweiminütigen Werbespots zu »Du bist Deutschland« wurde tatsächlich im Stelenfeld des Berliner Holocaust-Denkmals gedreht: Was auf den ersten Blick wie eine abscheuliche Entgleisung wirkt, soll wohl eher ein Wink mit dem Zaunpfahl sein. Behaupte also niemand, es hätte keine Warnung gegeben. Natürlich wird auch diese Aktion von zahllosen Prominenten unterstützt. Das sind medienerzeugte Gummigesichter, deren gesammelte Heldentaten noch auf die kleinste Briefmarke passen. Sie machen bei jeder Blödheit mit, solange das nur ihren Marktwert erhöht. »Ich mache Deutschland humorvoller und witziger. Wenn die Leute sich freuen, können sie auch mehr leisten.« Nein, das sagte nicht Heinz Rühmann während eines Wunschkonzerts im Kriegswinter 1944, sondern der Pseudokomiker Oliver Pocher im Herbst 2005. Und TV-Talknudel Reinhold Beckmann begab sich in die ihm eher unbekannten Niederungen des Alltags – einen U-Bahnwagen –, um von dort seinen Deutschen zuzurufen: »Es muß wieder ein anderer Geist ins Land kommen. Jeder sucht nach etwas, an dem er sich festhalten kann, nach Werten. Die sind im Moment hier nicht zu finden.« Und was ist mit den Sach- und Geldwerten, die Leute wie Beckmann horten? Ach, die meint er gar nicht, im Gegenteil. Wenn diese Leute von Werten reden, dann meinen sie diejenigen Tugenden, derer sich die Verarmenden befleißigen sollen: Demut, Verzichtbereitschaft, Ein- und Unterordnung. Der Schauspieler Oliver Korittke bekennt: »Ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein. Wir müssen uns nicht schämen. Ich freue mich, daß ich mit dieser Kampagne endlich etwas für meine Heimat tun kann.« Spielt Korittke hier einen Neonazi? Nicht ohne Grund beteuert der an der Aktion teilnehmende stern : »Applaus aus der rechten Ecke ist nicht erwünscht.« Er wird aber kaum ausbleiben. Im »Manifest« steht nicht ein einziger Satz, den ein NPD-Mitglied nicht voller Inbrunst bei der nächsten Sommersonnenwende in die Nacht brüllen würde.
Kaum zu glauben: Du bist Deutschland!Schluß mit dem ständigen Gejammer. Es geht wieder aufwärts. Ab sofort ist positive thinking angesagt. Erfolg ist eine Frage der Willensstärke. Das gilt, so versichern uns die Medien, auch für Hartz-IV-Empfänger. Motto: Du packst das schon. Du mußt nur wollen! Zum Beispiel so: Ich bin Beethoven, Du bist Einstein. Wir sind Deutschland! Das wußten Sie gar nicht? Ich habe noch mehr gute Neuigkeiten für Sie: Wie die Feuilletons melden, ist Durs Grünbein der neue Büchner, und Robert Gernhardt, der liebenswerte Ringelnatz-Nachfolger, gilt inzwischen als Heine unserer Tage. (Wolf Biermann mußte den Wanderpokal jetzt an ihn abtreten.) Elke Heidenreich (Standardsatz: »Ein wunderbares Buch!«) ist die bedeutendste deutsche Literaturkritikerin und Sabine Christiansen die mit Abstand beste Talkshow-Moderatorin des deutschen Fernsehens. Michel Friedman ist von Beruf Schriftsteller und Guido Westerwelle ein ernst zu nehmender deutscher Politiker. Roland Koch ist der ehrlichste und charmanteste unserer Ministerpräsidenten und Helmut Kohl ein über jeden Verdacht erhabener Staatsmann. Guido Knopp gilt unter Fachkollegen als der größte lebende Historiker Deutschlands. Udo Waltz schließlich, Berlins neue Rahel von Varnhagen, erhält für die vorbildliche Leitung seines Society-Salons den Rudolph-Moshammer-Preis 2005. Und Sie, liebe Leserinnen und Leser, gehören, auch wenn Sie in Ihrer Bescheidenheit keinen Gebrauch davon machen, seit Jahren zum Promi-Jetset der Spitzenklasse, Ehrenwort! So wahr ich die letzte lebende Zarentochter bin. Gerhard Schoenberner P. S. Die Redaktion bittet die Damen Gelis, Merkel, Rosh und Schwarzer sowie die Herren Heino, Kerkeling, Knabe und Markwort in aller Form um Entschuldigung, wenn sie in dieser Prominentenliste deutscher Führungskräfte, in die sie zweifellos gehören, aus Platzgründen nicht berücksichtigt werden konnten.
Erschienen in Ossietzky 22/2005 |
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