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Kürzlich, es war der Sonntag, an dem in Berlin der Postenschacher der Groß- koalitionäre von CDU/CSU und SPD in die entscheidende Abendrunde ging, in der Leipziger Nikolaikirche der mittlerweile legendenumwobenen Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 und des Rufes »Wir sind das Volk« gedacht wurde und Fußballdeutschland das blamable Abschneiden der Klinsmann-Truppe am Bosporus beklagte, hatte ich wieder einmal Lion Feuchtwangers Roman »Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau« in die Hand genommen. Da mußte ich auf Rousseaus und Robespierres berühmte Erklärungen zum Verhältnis zwischen Gleichheit und Demokratie stoßen, die der Autor zitiert und die im Roman den überaus vermögenden Generalsteuerpächter Monsieur Robinet, ehemals Nachbar Rousseaus während dessen mehrjährigen Aufenthaltes im Sommerhaus des Schloßparkes zu Ermenoville, in ständige Furcht versetzten. Vor allem zwei Aussagen waren es, in denen der Steuereintreiber Attacken auf »die Heiligkeit des Eigentums« erblickte: Robespierres »Wir lassen es nicht zu, daß die Privilegien der Adeligen ersetzt werden durch die Privilegien der Reichen. Unsere ganze Freiheit und Gleichheit ist Schwindel, wenn nicht alle unsere Gesetze und Institutionen dahin zielen, der ungerechten Verteilung der Güter ein Ende zu machen« und Rousseaus »Wenn in einer Demokratie einige wenige sehr viel mehr besitzen als der Durchschnittsbürger, dann geht der Staat entweder zugrunde, oder er hört auf, eine Demokratie zu sein.« Die Sätze wurden im 18. Jahrhundert formuliert, in der Periode der Aufklärung vor der Großen Französischen Revolution und auf ihrem Höhepunkt während der Jakobinerdiktatur. Tempi passati, aus und vorbei! Wir leben im 21. Jahrhundert, in keiner Diktatur, und eine Revolution ist vorerst nicht in Sicht. Wie überholt die Erklärungen der beiden Franzosen sind, wurde mir vor Augen geführt, als ich am selben Sonntag in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung las, mit welchen Problemen Führer der deutschen Sozialdemokratie beschäftigt sind – einer Partei also, die sich einst die Losung der französischen Revolution zu eigen gemacht hatte. Einer von ihnen, er amtiert noch als Bundeswirtschaftsminister, hat den revolutionären Schlachtruf von 1789 »Liberté! Egalité! Fraternité!« den modernen Zeiten der Globalisierung und des Neoliberalismus angepaßt. Aus »Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!« wurde »Vorrang für die Anständigen! Gegen Mißbrauch, ›Abzocke‹ und Selbstbedienung im Sozialstaat!« So jedenfalls nennt sich das Maßnahmenpaket, das Wolfgang Clement unter dem Beifall der zukünftigen CDU/CSU-Koalitionsschwestern und -brüder im Kampf gegen den Leistungsmißbrauch durch ALG-II-Empfänger geschnürt hat. Die Kampfpackung enthält Hausbesuche und Anrufaktionen zu intensiverer Überwachung, einen Datenabgleich mit den Finanzämtern und verschärfte Kontrollen der Arbeitsbereitschaft durch Trainingsprogramme mit Anwesenheitspflicht. Außerdem soll gesetzlich unter anderem vorgeschrieben werden, daß junge Arbeitslose nur dann in eine eigene Bleibe – und sei sie noch so bescheiden – ziehen dürfen, wenn staatliche Behörden ihre Zustimmung erteilt haben. Bei den Hausbesuchen haben die Späher das Recht, die Wohnung bis in den letzten Winkel zu inspizieren und selbst in den Schlafstuben und Betten zu schnüffeln. Das erwähnte Berliner Blatt weiß zu berichten, daß die unangemeldeten Hausbesucher zur Aufdeckung nicht gemeldeter »Bedarfsgemeinschaften« auch überprüfen müssen, ob getrennt geschlafen wird und ob im Kühlschrank Lebensmittel separat aufbewahrt werden. Schon »wer nur ein Stück Butter im Kühlschrank hat, macht sich in den Augen der Hartz-IV-Inspektoren verdächtig« (s. »Freiheit nach Hartz IV« in Ossietzky 18/05). Für diesen Feldzug gegen » › Abzocke‹ und Selbstbedienung« hat der sozialdemokratische Minister eine einleuchtende Begründung: »Wir wollen keine Gesellschaft sein, in der die Ehrlichen sich als Dumme fühlen.« Die Ehrlichen sollen unbeschwert und in verdienter sozialer Sicherheit leben, denn ehrlich währt am längsten! Solche Ehrlichen stellt die Berliner Zeitung in der gleichen Ausgabe drei Seiten nach dem Bericht über Clements Kampfpaket vor. Unter der Überschrift »Goldener Oktober« berichtet sie, daß über die Top-Manager des Essener Energie-Konzerns RWE dieser Tage ein Geldsegen von insgesamt 145 Millionen Euro niedergeht. Wegen des hohen Aktienkurses, erreicht vor allem durch den Abbau von Arbeitsplätzen und durch die willkürlich in die Höhe getriebenen Strom- und Gaspreise, wurden sogenannte Aktienoptionen werthaltig, die den Managern 2001 zugeteilt worden waren. Wenn sie sie jetzt zu Geld machen, erhält zum Beispiel Finanzvorstand Klaus Sturany 2,636 Millionen Euro, das Vorstandsmitglied Jan Zilius 1,75 Millionen Euro und der Vertriebsmanager Berthold Bonekamp 1,75 Millionen Euro. Dank wohlverdienter Grundgehälter und weiterer schwer erarbeiteter Sonderzahlungen streichen die genannten Führungskräfte in diesem Jahr zusammengerechnet 18,8 Millionen Euro ein. Berichte darüber, daß diese verdienstvollen Prokuristen des Kapitals in irgendeiner Weise durch den sozialdemokratischen Wirtschaftsminister behelligt worden wären oder daß gar dessen Späher jetzt in ihren Betten herumschnüffelten, sind bisher nicht bekannt geworden. Weshalb auch? Gehören sie doch zu den »Ehrlichen« und »Anständigen«, die »Vorrang« haben. Den Feldzug gegen »Abzocke« und »Selbstbedienung« haben sie über ihre Bevollmächtigten in den Industrie- und Wirtschaftsverbänden seit langem selbst gefordert. In »Narrenweisheit« ist zu lesen, daß Robespierre vor dem Konvent, nachdem er Rousseaus Warnung vor den Folgen der großen Besitzunterschiede für die Demokratie zitiert hatte, hinzufügte: »Die Menschenrechte müssen ergänzt werden durch einschränkende Bestimmungen über das Eigentum; sonst sind sie nur für die Reichen da, für die Schieber und Börsenwucherer.« Mehr als zwei Jahrhunderte später gelten in der Bundesrepublik Deutschland und in den anderen »westlichen Demokratien« die in den Verfassungen verbrieften Menschenrechte noch immer vor allem für die Reichen und »Börsenwucherer«; für die Arbeitslosen und Armen werden sie außer Kraft gesetzt. Die einen sitzen in der Wolle und können den Hals nicht voll genug kriegen, den anderen wird das Fell über die Ohren gezogen. Und noch immer lassen die Arbeitenden, die immer schamloser erpreßt, und die Arbeitslosen, die immer tiefer gedemütigt werden, in ihrer Mehrheit diese Ungleichheit zu – verunsichert, resignierend und geduldig, weit entfernt davon, gegen die wirklichen Abzocker zu Felde zu ziehen. Laut Feuchtwanger, noch einmal sei er erwähnt, ist die Geduld – diese Worte legt er in den Mund des von der Konterrevolution verhafteten Oberst Lapalu – »die Tugend der Esel«. Der aufsässige Oberst kam unter die Guillotine. Heutzutage wird Eselsgeduld als Einsicht in die Zwänge der Marktwirtschaft und Globalisierung gepriesen und mit ALG II belohnt.
Erschienen in Ossietzky 22/2005 |
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