Zweiwochenschrift
10/2017 9/2017 8/2017 7/2017 6/2017 5/2017
Archiv
Abonnement
Impressum
Plattform SoPos
|
|
|
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können.
Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror.
Den Aufsatz kommentieren
Neu in der alten »Distel«: Frank Lüdecke
Lothar Kusche
Das Berliner Kabarett bat zur Premiere seines 110. Programms (in 53 Jahren). Geht man hin? Es ist schwer, Kabarett zu produzieren, und noch schwerer, dies 53 Jahre lang zu tun. Freilich glänzen dort mittlerweile andere Leute als damals. (Der frühere dramaturgische Mitarbeiter, Autor dieses Berichts, verließ das Haus vorsichtshalber schon 1954.)
Nun: »Zwischen den Polen«. Buch und Regie: Frank Lüdecke. Da gehen wir hin! Nicht wegen des Titels. (Eine Interpol-Satire?) Wegen Lüdecke gehen wir hin. Der Autor und Kabarettist kann unzählige Preise, aber auch echte Erfolge vorweisen. Man kannte ihn längst per Bildschirm als großartigen Partner und Szenaristen von Dieter Hallervorden, mit dem er unter anderem »Zebralla« spielte. Und von seinen abendfüllenden Ein-Mann-Darbietungen.
Das altehrwürdige »Distel«-Gemäuer empfing die Gäste herzlich, aber unsentimental auf der vertrauten brüchigen Treppe, die sich als Übungsplatz für Kameraden der Berge wie Luis Trenker und Nachfolger empfiehlt, und im nicht für mehr als zwölf Leute geeigneten Foyer. Ist es hier nicht noch enger geworden? Nein, sagte meine Frau, du bist noch dicker geworden. Ich weiß, daß ich an allem schuld bin, und tröstete uns, nachdem ich mich zum Büfett durchgerudert hatte, mit einem Sekt von der Sorte, die schon Ringelnatz rühmte: »Hast du einmal viel Leid und Kreuz, / Dann trinke Geldermann und Deutz, / Und ist dir wieder besser dann, / Dann trinke Deutz und Geldermann.« Nun konnte nichts mehr schief gehen, und es ging auch nichts schief.
Zunächst fällt auf und ins Ohr: Es geht gleich und ohne Zögern los wie ein Trommelwirbel aus Worten, Tönen und Pointen. Die unsichtbaren Mitwirkenden: der Regisseur, Dramaturg Justus Fetscher, Ausstatter Volker Walther, Beleuchter Steffo Jennerich, Regieassistentin Maria Döring-Retkowski, letztere zugleich Inspizientin, die sich aber um die Auftritte der sichtbaren Akteure nicht zu kümmern braucht, denn Schauspieler und Musiker befinden sich pausenlos auf der Bühne oder an ihren diversen Instrumenten. Dagmar Jaeger, Michael Nitzel und Stefan Martin Müller, falls ihr Wort- und Scherzfluß Zäsuren hat, erstarren in ihren Posen. Nur Atmen erlaubt, keine Abgänge und neuerlichen Auftritte. Das würde nur Zeit kosten.
Starre Haltung geht den drei Ensemble-Säulen vermutlich auch ein bißchen auf die Knochen. Spielwart Lüdecke strapaziert sein exzellentes Trio, als wäre es (um ein anrüchiges Wort zu benutzen) Menschenmaterial. Da es zu unserem Vergnügen geschieht, scheint es auch die Spaßmacher selbst zu amüsieren. Zum Beispiel macht Michael Nitzel aus dem wiederholten Versuch, eine widerspenstige Sektflasche zu öffnen, eine Nummer von parterreakrobatischem Glanz.
Was ihnen Lüdecke, der Texter, intelligent in den Mund gelegt hat, holt Lüdecke, der Regisseur, aus seinen Mitarbeitern klug wieder heraus. Da geht nichts verloren, und gewiß bekommt manche Pointe durch ihre Interpreten noch besonderen Reiz, sei es durch Müllers harmlos sympathische Großer-Junge-Naivität oder Frau Jaegers nervöse Pseudo-Seriosität. Der Figur, die Nitzel hier modelliert, ist letzten Endes alles recht; wir kennen doch so viele Leute, die sich mit allem abfinden, weil sie an allen Gegebenheiten die besten Seiten entdecken und damit sogar glücklich werden.
Nun will ich mir nicht einreden, in den »Distel«-Stars hätten Gaben geschlummert, die erst dieser Regisseur zu entdecken wußte. Keine Übertreibungen! Aber der Mann arbeitet offenbar besonders gründlich und genau mit den Kabarettisten. Seine politisch-satirischen Texte wirken nicht eitel, fast immer zielsicher und sind zuweilen von besonders charmanter und eleganter Blödelei, wie man sie in früheren Szenenfolgen auf dieser Bühne vermißte. Dies und das kann ernst sein, aber das will ich doch im Kabarett gar nicht merken.
Zum Schluß geriet der Autor kurzzeitig in Atemnot. Aber frischer Sauerstoff, der die ganze Schau so heiter belebte, kam, wie nicht anders zu erwarten, von den unvergleichlichen Musikern Bernd Wefelmeyer und Matthias Lauschus. Sagte ich: unvergleichlich? Ich sage es noch einmal.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
|