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Bruder
Walter Kaufmann
Ich wollte seinen Namen nicht erfragen, nur seine Herkunft und seit wann er in Italien sei. Lange, antwortete er, und er stamme aus Sambia. Und zuckte die Schulter, als ich wissen wollte, wie er zurecht kam. Mehr schlecht als recht, gab er zu verstehen – kein Wunder bei dem Überangebot von immer den gleichen Taschen überall in der Innenstadt von Florenz.
Er war ein schlanker junger Schwarzer, gut anzusehen und von sanftem Wesen, der mich schon nach wenigen Worten Bruder nannte, brother, und den Preis für die Tasche, auf die ich einen Blick geworfen hatte, bereitwillig halbierte. Nicht vierzig, nur zwanzig Euro wollte er jetzt – ein Spottpreis bei den Preisen in einer Stadt, wo in diesem Herbst vier Euro für einen Cappuccino verlangt werden und zwanzig kaum für die bescheidenste Mahlzeit reichen. Wem aber sollte ich als Geschenk eine Handtasche zumuten, die schon nach kürzestem Gebrauch auseinanderfallen würde – Massenware aus Neapel, über Zwischenhändler an Heerscharen von Afrikanern verteilt, deren Los es war, sie bei Touristen anzubringen. Dieser hier, der Mann aus Sambia mit der sanften Stimme und dem flehenden Blick, hatte seinen Platz bei einer Brücke am Arno, wo er zwölf Stunden täglich mit seinem Riesenbündel auf Kundschaft harrte, von zehn bis zehn, oft auch länger, und stets auf der Hut vor der Polizei – Bündel auf, Bündel zu –, bis er sich endlich in eine Behausung schleppen durfte, die er mit sieben anderen teilte, Flüchtlinge wie er, Schwarze wie er. »Brother!« rief er mir leise nach, längst ohne Hoffnung auf Erfolg, »mach einen Preis, was willst du geben?«
Die junge Frau mußte den Hünen von einem Schwarzen für eine der Lederbörsen, die er feilbot, auf einen Preis heruntergehandelt haben, der nicht mehr zumutbar war. Ich sah, wie sein Ausdruck sich verfinsterte, sah den Zorn in seinem Blick und hörte ihn sagen: Behalte sie, ich schenke sie weg! Beschämt gab ihm die Frau die Börse wieder. Der Schwarze sah sie weiterhin zornig an. Sie gehört dir, hörst du, und jetzt kaufe ich sie dir ab – er legte eine Münze dazu, einen Euro oder zwei, wohl ein Betrag, den sie zuletzt geboten hatte. Sie wehrte ab. Nein, nein! rief sie. Verächtlich warf der Schwarze die Börse auf den Stapel, der hinter ihm auf der Matte lag, die Münze schnippte er der Frau vor die Füße. Sie lief davon. Lange blinkte die Münze zwischen den Pflastersteinen, bis er sie sich wiederholte – und selbst dann noch stand ihm der Zorn im Blick.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
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