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GlückAuf in Senftenberg
Gerd Bedszent
Das in der brandenburgischen Lausitz gelegene Senftenberg, einst ein Zentrum der Energiewirtschaft der DDR, ist heute eine schrumpfende Kleinstadt. Arbeitsplätze sind Mangelware. Einzige Perspektive der Region scheint ihre Umgestaltung zu einem Naherholungsgebiet zu sein: Ehemalige Tagebaugruben werden zu Badeseen, Abraumhalden zu bewaldeten Hügeln.
Eine der Sehenswürdigkeiten des Städtchens ist die »Neue Bühne Senftenberg«, im Oktober 1946 mit Unterstützung der sowjetischen Truppen gegründet. Nicht nur Schauspiele wurden seitdem auf die »Neue Bühne« gebracht, sondern auch zahlreiche Opern, Musicals, Sinfoniekonzerte und Ballettaufführungen. Viele begabte junge Schauspieler und Regisseure sammelten ihre ersten Erfahrungen in Senftenberg, ehe sie auf größere Bühnen wechselten, zum Beispiel Annekatrin Bürger, Rolf Römer, Horst Schönemann und Frank Castorf.
Nach 1990 mußte die »Neue Bühne« schwer mit den Folgen finanzieller Einschnitte kämpfen und einen Großteil des Personals abbauen. Seit 1993 ist sie nur noch Schauspieltheater. Aber als nicht wenige hervorragende Schauspieler und Regisseure, die nach der Wende in den großen Theatern keine Chance mehr hatten, sich auf kleinere Bühnen zurückzogen, wurde Senftenberg zum Geheimtip. Ganz überraschend kürten 39 Kritiker der Zeitschrift Theater heute die »Neue Bühne« kürzlich zu einem der vier »besten Theater des Jahres«.
Mit dem 2004 ins Leben gerufenen GlückAufFest knüpft Intendant Sewan Latchinian an die Bergarbeitertradition des Städtchens an. Das diesjährige 2. GlückAufFest steht unter dem Motto »Werte«. Es werden Texte der deutschen Klassik – für Erwachsene und auch für Kinder – geboten. Im Mehrschichtbetrieb laufen pro Abend insgesamt zwölf Aufführungen und szenische Lesungen. Hier nur drei Beispiele:
Im »Faust I« wird aus dem Stubengelehrten der Renaissance (Christian Mark) ein ostdeutscher Bergarbeiter, den der dienstreiche Vertreter Mephisto (Roman Weltzien) mit den Verlockungen der westlichen Warenwelt konfrontiert. Unter der Regie von Manuel Schöbel gerät der bürgerliche Klassiker zum Lehrstück über Verführung und Verführbarkeit. Es gibt bitterböse Wiedererkennungseffekte – so wenn sich beim Mauerfall zwischen kreischenden und Bananen fressenden Teenies gestrenge Volkspolizisten ihrer grauen Uniform entledigen und blitzschnell das gescheckte Olivgrün der Bundeswehr überstreifen. Vermittelt wird aber auch das damals verbreitete Gefühl, jetzt aus der hoffnungslosen Enge des Daseins ausbrechen und das Leben neu beginnen zu können. Ein Leben, das sich bei vielen bald in stumpfsinnigster Genußsucht erschöpft: »Pfui, ein garstig Lied, ein politisch Lied!«, krächzen auf Mallorca Fausts gewesene Kollegen zwischen zwei Eimern Sangria, bevor sie anfangen, sich gegenseitig an den Nasen zu ziehen. Fausts Suche nach einem neuen Sinn des Lebens führt ihn durch die Abgründe der Spaßgesellschaft – einschließlich Drogen- und anderer Lasterhöhlen. Erst spät, konfrontiert mit dem in der Psychiatrie dahinvegetierenden Gretchen, wird er sich darüber klar, daß man für alles einmal bezahlen muß.
Ein weiterer Höhepunkt des Festes ist Sewan Latchinians Inszenierung von Heinrich Heines »Deutschland. Ein Wintermärchen«. Der Intendant, der, begleitet von vier Musikern der Gruppe Wallahalla, den Text selbst rezitiert und dabei die Stationen der Reise pantomimisch darstellt, erweist sich als ungewöhnlich begabter Komödiant. Die über 150 Jahre alte boshafte Abrechnung mit der deutschen Misere gewinnt durch ihn ungeahnte Aktualität. Und oft stellt er augenzwinkerndes Einverständnis mit dem Publikum her – nicht nur wenn er auf die »Konterbande« hinweist, die er »im Kopf stecken« hat.
Bei dem nur selten aufgeführten Stück »Philotas«, einem frühen Werk Lessings, handelt es sich um eine Ko-Produktion zwischen der »Neuen Bühne« und der Berliner Schauspielschule »Ernst Busch«. Zu Beginn verkündet durchdringendes Sirenengeheul den Krieg. Der in Gefangenschaft geratene Königssohn Philotas (Denis Geyerbach) spielt mit Zinnsoldaten. Er hat nichts gelernt – will unbedingt weiter ein Kriegsheld sein. Hilflos und mit großen Augen starrt er ins Publikum, als ihm klar wird, daß der Preis des Heldentums die Opferung des eigenen Lebens ist. Bei Gesprächen mit dem feindlichen König Aridäus verschließt er sich: Er begreift nichts und will nichts begreifen. Der schon nahegerückte Friede geht darüber verloren, der Krieg frißt sein eigenes Kind. Die gelungene Inszenierung von Veit Schubert ist eine bittere Anklage gegen zweifelhaftes Heldentum, gegen Militarismus und Krieg.
Letzter GlückAufFest-Termin in diesem Jahr ist der 15 Oktober, 17 Uhr. Es folgen als Einzelvorstellungen am 18. Oktober um 10 Uhr »Michael Kohlhaas« und um 19 Uhr »Iphigenie«, am 19. Oktober um 10 Uhr »Iphigenie« und »Deutschland. Ein Wintermärchen«, am 20. Oktober um 10 Uhr »Faust I«.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
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