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Heinrich Hannover wird 80
Daniela Dahn
Mit respektvoller Bewunderung ist einem aufrechten Anwalt und Autor zu gratulieren, der, nur seinem Gewissen und dem Recht verpflichtet, sich keinem Anpassungsdruck gebeugt hat. Das sagt sich so leicht, und man könnte gar meinen, es sei doch selbstverständlich, im Rechtsstaat. Doch wer Heinrich Hannovers atemberaubende zweibändige »Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts« gelesen hat, wer gelegentlich die Chance hatte, sich im Gespräch von ihm aufklären zu lassen, kommt nicht umhin, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen: In politischen Strafverfahren ist der Interpretationsspielraum viel größer, als sich der rechtsgläubige Bürger vorstellen kann: »Alle Rechtsgelehrsamkeit nützt nichts, wenn das politische Bewußtsein eines Richters Barrieren aufgebaut hat, die mit rationalen Argumenten nicht zu überwinden sind. Das, was ihnen politisch wünschenswert erscheint, werden sie auch juristisch richtig begründen können«, ist sein Fazit nach 40 Jahren Anwaltstätigkeit.
Wobei das Risiko, verurteilt zu werden, in dem Maße steigt, in dem der in den Prozeß Verwickelte für links gehalten wird. Immer noch entscheidet Justitia eben nicht ohne Ansehen der Person. Denn die bundesdeutsche Justiz ist braun-konservativ gestartet und wird diese Prägung durch Ausbildung und Rechtsprechung bis heute nicht los.
Dem Anwalt Hannover gelangen dennoch ermutigende Erfolge, wenn er einsichtige, liberale Richter überzeugen konnte. Doch in der Mehrzahl seiner Fälle steht »Die Republik vor Gericht« – so der Haupttitel seiner Erinnerungen.
Besonders in den RAF-Prozessen erlebte er Zustände, die ihn angesichts dieser Mandanten »sowohl gesundheitlich als auch finanziell an den Rand des existentiellen Abgrundes« brachten. Nicht viele Anwälte hielten das durch. Der kräftezehrende, konfrontative Weg war für den aus bürgerlicher Familie stammenden Juristen alles andere als selbstverständlich. Vermutlich hätte sein unbestechlicher Gerechtigkeitssinn ihm dieses Schicksal früher oder später sowieso beschert. Daß es aber so schnell ging, war auch Fügung:
Sein erster Auftrag war 1954 eine Pflichtverteidigung. Ein Kommunist hatte sich mit achtzig weiteren Arbeitslosen an einer Demonstration beteiligt, sie forderten zu Weihnachten Kohlen- und Kartoffelgeldbeihilfe. Als jener Kommunist einen Polizisten daran hindern wollte, seinen Kumpel anzugreifen, kam es zu einem Handgemenge, das ihm eine Klage wegen Aufruhr und Widerstand gegen die Staatsgewalt einbrachte. Das folgende juristische Kesseltreiben öffnete dem jungen Anwalt die Augen in eine ihm bis dahin weitgehend unbekannte Welt – die der Jäger und der Gejagten.
Sein Engagement sprach sich herum und brachte ihm so ehrenwerte wie mitunter finanzschwache Mandanten wie Kriegsdienstverweigerer, Vietnamkriegsgegner, Gewerkschafter, Schülerzeitungsredakteure oder auch Autoren wie Günter Wallraff ein.
Und er schlug sich mit ganz Großen der bundesdeutschen Gesellschaft herum: Vergeblich versuchte er Hermann Josef Abs als Zeugen für die Verstrickung der Großbanken in die Verbrechen der Nazis vor Gericht zu laden.
Ein Tiefpunkt im von ihm miterlebten Gerichtsbetrieb war die schamlose Aufhebung der vierjährigen Freiheitsstrafe für den Thälmann-Mitmörder Wolfgang Otto durch den Bundesgerichtshof. Als Justizschande bezeichnete er auch zurecht, daß sowohl das Kammergericht Berlin als auch der Bundesgerichtshof das Wiederaufnahmegesuch zur Rehabilitierung Carl von Ossietzkys vom Vorwurf des Landesverrats verwarfen. Heinrich Hannovers oft spektakuläre Verteidigungen erregten im ganzen Land Aufsehen. Gerade weil er Recht als Machtinstrument der jeweils Herrschenden vorführte, das zu politischen Zwecken mißbraucht werden kann.
Nach der Wende ging Heinrich Hannover zugunsten der Ostdeutschen sogar über die Pflichten eines Anwaltes hinaus, als er selbst gegen Gesetze kämpfte, die er für Unrecht hielt, wie die Stichtagsregelung bei redlichen Immobilienkäufen. Am meisten empört den Westdeutschen aber der nach wie vor sanfte Umgang »seiner« Justiz mit Delikten aus der Nazizeit bei gleichzeitig anhaltender Kommunistenverfolgung.
Wie hält ein eigentlich harmonieliebender, humorvoller Mensch das alles aus, ohne zu verbittern? Zum Beispiel, indem er Herz und Phantasie in das Schreiben von Kinderbüchern investiert, in denen ihm kein ältestes oder jüngstes Gericht verwehren kann, spielerisch zu ganz eigenen Urteilen zu kommen, womit er nicht nur jugendliche Leser erfreut.
Vielleicht aber auch durch unseren dankbaren Zuspruch. Wir hoffen auf noch viele Texte aus seiner scharfen Feder. In seinem Sinne soll Ossietzky die bundesdeutsche Justiz weiterhin kritisch begleiten.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
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