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Die USA sollen ihre Atomwaffen abziehen
Max Stadler
In einem bemerkenswerten Urteil hat das Oberlandesgericht Koblenz am 28. September die Meinungs- und Gewissensfreiheit gestärkt und zugleich das Interesse an einer öffentlichen Debatte über die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland erneuert. Schon im Juni hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dem Bundeswehr-Major Florian Pfaff das Recht zur Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen zugebilligt. Der Berufssoldat hatte es abgelehnt, an der Entwicklung einer Logistik-Software mitzuarbeiten, die dazu hätte dienen können, den Irak-Krieg zu unterstützen. Die seit Anfang September vorliegende schriftliche Urteilsbegründung, in der der Irak-Krieg als völkerrechtswidrig bewertet wurde, fand im Getöse des Bundestagswahlkampfes wenig öffentliche Beachtung.
Um so aufmerksamer sollte jetzt die Koblenzer Entscheidung wahrgenommen werden. In dem Verfahren ging es um ein Flugblatt des »Komitees für Grundrechte und Demokratie« aus dem Jahre 2004. In dem Jagdbombergeschwader der Bundeswehr in Büchel (Rheinland-Pfalz) sind nach Angaben der taz, die sich dabei auf die Einschätzung von Militärexperten beruft, rund 20 US-Atom-sprengköpfe gelagert. Vor diesem Fliegerhorst wurde ein Flugblatt verteilt, in dem unter anderem geschrieben stand: »Verweigern Sie konsequent Ihre entsprechenden Einsatzbefehle!«, »Lehnen Sie sich auf gegen jegliche Unterstützung der nuklearen Teilhabe!« und »Ermutigen Sie Ihre Kameraden, sich Ihrem Ungehorsam anzuschließen!«.
Darin sah die Staatsanwaltschaft eine rechtswidrige öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Das Amtsgericht Cochem verurteilte den Heidelberger Sozialpädagogen und Ossietzky-Autor Hermann Theisen (s. Heft 16/05) und die Erftstädter Musikerin Hanna Jaskolski zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen, die aber in zweiter Instanz aufgehoben wurden (Ossietzky berichtete darüber). Die Staatsanwaltschaft focht diese Freisprüche an. Das Oberlandesgericht Koblenz wies nun die Revision der Staatsanwaltschaft rechtskräftig zurück. Zur Begründung erklärten die Richter, auf dem Flugblatt sei zwar von Auflehnung die Rede, dies bedeute aber nicht zwingend eine Aufforderung zur Begehung von Wehrstraftaten. Die Soldaten würden lediglich aufgerufen, ihre Haltung zur nuklearen Teilhabe neu zu überdenken. Das sei kein Aufruf zur unmittelbaren Befehlsverweigerung, sondern eine Aufforderung zur Gewissensschärfung. Insoweit bleibe es bei der alleinigen Gewissensentscheidung der Soldaten. Wie diese sich letztlich entscheiden würden, sei von den Autoren des Flugblatts nicht vorgegeben.
Das Gericht beließ es aber nicht bei dieser etwas rabulistischen Begründung des Freispruchs, sondern erklärte auch, daß Soldaten, die dem Aufruf folgen, straflos bleiben, wenn es sich um eine »sorgfältige, an Recht und Moral orientierte Gewissensentscheidung handelt«. Insofern setzte das Oberlandesgericht Koblenz die vom Bundesverwaltungsgericht eingeschlagene Linie fort, die Gewissensentscheidung des einzelnen Soldaten zu achten.
Unentschieden blieb aber weiterhin die Grundsatzfrage, ob die Stationierung und der Einsatz von Atomwaffen schlechthin gegen Völkerrecht verstößt, wie in dem Flugblatt behauptet worden war. Als Vorinstanz hatte das Landgericht Koblenz erklärt, es sei eine »ernsthafte und diskussionswürdige« Meinung, daß »die Lagerung atomarer Waffen … völkerrechts- und verfassungswidrig« sei. Darauf kam es aber für die Revisionsentscheidung nicht an, da ja das Flugblatt als zulässiger Appell an die Gewissensfreiheit der Soldaten verstanden wurde und daher eine völkerrechtliche Bewertung der Lagerung von Atomwaffen nicht vorgenommen werden mußte.
Über diese Grundsatzfrage wird aber wohl demnächst der Deutsche Bundestag zu beraten haben. Denn es ist anzunehmen, daß trotz der »Diskontinuität«, der Anträge aus der vergangenen Legislaturperiode automatisch verfallen, die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland erneut zum Inhalt parlamentarischer Debatten gemacht werden wird. Am 12. April 2005 hat die FDP-Bundes-tagsfraktion einen Antrag beschlossen, in dem ein Abzug dieser Waffen aus Deutschland gefordert wurde (Bundestagsdrucksache 15/5257). Allerdings wurde dies nicht mit einer etwaigen Völkerrechtswidrigkeit der Stationierung von Atomwaffen begründet, sondern hauptsächlich mit der veränderten Sicherheitslage. Der FDP-Antrag wurde noch vom Plenum an den federführenden Auswärtigen Ausschuß überwiesen, von dort an den Unterausschuß Abrüstung abgegeben, aber wegen der vorgezogenen Neuwahl nicht mehr zu Ende behandelt.
SPD und Grüne unterstützten das Anliegen, während die CDU/CSU Differenzen mit den USA befürchtete. Die rot-grüne Bundesregierung sprach das Thema gegenüber Washington bisher nur zögerlich an, so daß für eine neue Bundesregierung weiterhin Handlungsbedarf besteht.
Dafür sprechen auch aus Sicht derer, die keine völkerrechtliche Grundsatzdebatte führen wollen, zumindest praktische Gründe: Der weitere Verbleib strategisch nicht mehr erforderlicher Atomwaffen auf deutschem Boden ist mit Kosten, mit ökologischen und sicherheitstechnischen Risiken und mit einem Verlust an abrüstungspolitischer Glaubwürdigkeit verbunden.
In dem FDP-Antrag vom 12. April 2005 heißt es dazu wörtlich: »Die gegenwärtige Krise um Nuklearwaffen-Ambitionen des Iran und Nordkoreas, aber auch die Befürchtungen, daß künftig möglicherweise weitere Staaten oder sogar internationale Terroristen Zugriff auf Nuklearwaffen erhalten könnten, machen das nukleare Nichtverbreitungsregime zu einer zentralen Säule der Sicherheit und des Friedens weltweit.« Dieses internationale Regelwerk beruhe nicht allein auf der Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Nichtverbreitung, sondern auch auf der Verpflichtung der Nuklearwaffenstaaten zur Abrüstung ihrer Nuklearwaffenarsenale und auf der Berechtigung aller Staaten zum Zugang zur zivilen Nutzung der Kernenergie. »Nur wenn alle drei Prinzipien gleichberechtigt verfolgt und umgesetzt werden, behält das Nichtverbreitungsregime seine Glaubwürdigkeit.« Das nukleare Nichtverbreitungsregime werde auf die Dauer nur Bestand haben und Staaten mit potentiellen Nuklearwaffenambitionen würden sich nur dann weiter an ihre Verpflichtung halten, auf Nuklearwaffen zu verzichten, wenn auch bei der Umsetzung der Abrüstungsverpflichtung der Nuklearwaffenstaaten weitere Fortschritte gemacht würden. Deswegen sei es erforderlich, den Atomteststoppvertrag in Kraft zu setzen und Verhandlungen über ein Ende der Produktion von spaltbarem Material für Waffenzwecke aufzunehmen. Zudem müßten die NATO-Staaten die Bereitschaft dokumentieren, die Rolle der Nuklearwaffen in ihrer Militärstrategie zu reduzieren und weitere nukleare Abrüstungsschritte zu tun.
Weiter heißt es in dem Antrag: »Die USA haben bis heute fast 500 taktische Nuklearwaffen in Europa stationiert, davon etwa 150 in Deutschland. Im Rahmen der nuklearen Teilhabe ist bis heute die Bundeswehr an den Vorbereitungen zu einem Einsatz dieser Waffen beteiligt. Dabei ist die Fähigkeit zum Einsatz taktischer Nuklearwaffen von deutschem Boden aus heute angesichts der veränderten Bedrohungslage sicherheitspolitisch nicht mehr zwingend, die gegenwärtige NATO-Strategie könne auch ohne diese Option beibehalten werden, und eine Verlegung dieser Waffen in eine rückwärtige sichere Aufbewahrung in den USA wäre im Umfeld der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag ein wichtiges erstes Signal, dass auch die Abrüstungsverpflichtung als integrativer Bestandteil des Nichtverbreitungsregimes ernst genommen wird.«
Der Antrag schließt mit der Aufforderung an die Bundesregierung, »zur Stärkung der Glaubwürdigkeit des Nichtverbreitungsregimes und als Zeichen dafür, daß auch die Abrüstungsverpflichtung der Nuklearwaffenstaaten als integraler Bestandteil des Nichtverbreitungsvertrags ernst genommen und nachdrücklich verfolgt wird, bei den amerikanischen Verbündeten darauf zu drängen, daß die bis heute in Deutschland stationierten taktischen Nuklearwaffen der USA abgezogen werden«.
Die neue Regierung, wie immer sie zusammengesetzt sei, wird sich dieser Debatte nicht entziehen können.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
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