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ProFonda
Max Watts
Erst wollte ich nur eine Filmbesprechung schreiben, einige hundert Worte, über den neuen US-amerikanischen Dokumentarfilm »Sir! No Sir!«, produziert von David Zeiger. Der Film behandelt »Wehrkraftzersetzung« und Widerstand innerhalb der US-Army während des Vietnamkrieges.
Aber dann weitete sich mein Thema aus. Ein zweiter Film kam in den Blick: »FTA – Fuck or Free the Army«, 1972 plötzlich aus den Kinos in den USA verschwunden, in »Sir! No Sir!« wieder aus der Versenkung herausgeholt. Und ich mußte zugleich etwas über die Hauptdarstellerin der beiden Filme schreiben, Jane Fonda, auch über ihr neues autobiographisches Buch »My Life So Far«. Und so kam ein zweites Buch ins Spiel: »The Spitting Image« von Jerry Lembcke, 1998 erschienen. Es erzählt, wie unter Nixon und Reagan eine US-Heldenlegende über den Vietnamkrieg verbreitet wurde. Bei alledem meldeten sich dann auch meine beiden politischen »Privattheorien« wieder an, die von den Wellenbewegungen in der Geschichte und die vom »Flaggen- und Dollarimperialismus«.
So entstand ein kleines Buchmanuskript, dem ich den Titel »ProFonda« gegeben habe. Ob etwas für den Druck daraus wird? Das weiß ich nicht. Aber hier eine Skizze:
Der Dokumentationsfilm »Sir! No Sir!« ist eine Art Zeitmaschine. Kriegsveteranen heute sind zu sehen, die sich selber für ihre Taten als GI’s im Vietnamkrieg bewundern. Aber wie war das damals in Wirklichkeit?
»Fuck the Army« – es gab massenhaft Verweigerung und Widerstand unter den US-amerikanischen Soldaten. Wie kann man diesen Teil der Geschichte aus dem »Memory Hole«, der Grube des Vergessens, herausholen? Der Film »FTA – Fuck or Free the Army« wurde im Dezember 1971 auf und vor US-amerikanischen Militärstützpunkten in Südostasien gedreht. Er zeigt, wie die GI’s reagierten, als Jane Fonda mit ihrer Theatergruppe dort auftrat – nichts zu sehen von Kriegsbegeisterung. Es war eine andere Zeit, eine andere Welle. Im Film ist das dokumentiert. Der neue Film »Sir! No Sir!« zeichnet diese Welle nach. Anfangs waren es Einzelgänger, die öffentlich erklärten: Wir gehen nicht nach Vietnam! Später sagten hunderte, tausende »Nein!« Mehr und mehr handelten gegen den Krieg, gegen die »grüne Maschine«, die US-Armee.
Was von wenigen Deserteuren und einzelnen »Nein!«-Sagern ausging, wurde zum »militärischen« Massenprotest gegen den Vietnamkrieg, im Verein mit der zivilen Friedensbewegung, zu deren Hauptaktivisten bald auch Soldaten und Veteranen zählten.
Was der Film nicht zeigen kann, was aber dazugehört: Die Resistenz gegen die kapitalistische Kriegsmaschinerie in den 1960/1970er Jahren war kein Spezifikum der US-Gesellschaft. In vielen hochkapitalisierten Ländern lief eine Protestwelle an, auch innerhalb der Armeen: Antimilitarismus im Militär. Das ebbte wieder ab, aber die Folge war der Abschied der herrschenden Politik vom Konzept der Wehrpflicht und der Massenarmeen. Das »Volk in Waffen« hatte sich als unzuverlässig erwiesen. Ohnehin war die Epoche des »Fahnen-Imperialismus« an ihr Ende gelangt. Dessen Abgesang war der Krieg der USA in Vietnam. Der »Dollar-Imperialismus« trat an seine Stelle. Nicht mehr die nationalen Volksheere haben nun die Machtinteressen kapitalistischer Eliten kriegerisch zu vertreten, sie wären zu sehr gefährdet durch innere Rebellion. Jetzt operieren weltweit Truppen als hochbezahlte Dienstleistungsunternehmen.
Noch einmal zum Film von 1972: Für kurze Zeit – genau eine Woche – war damals in Kinos der USA zu sehen, wie Soldaten sich gegen den Krieg entscheiden, wie sie sich verbünden mit einer Bewegung gegen die staatlichen Obrigkeiten. Ein explosiver Film – aus der Sicht der Sachverwalter des gewalttätigen Kapitalismus, denn er zeigte einen der Gründe für die Niederlage des US-»Fahnen-Imperialismus« in Vietnam. Und dann verschwanden auf rätselhafte Weise die Kopien dieses Films, fast alle. Jane Fonda selbst hat »ihren« Film erst jetzt, nach langen Jahren, als Reproduktion im neuen Film wiedersehen können. Selbst in Jerry Lembckes Buch (das aufschlußreich die Methoden derjenigen schildert, die aus der US-amerikanischen Debatte über den Vietnamkrieg die Opposition herauszuhalten versuchten) kommt der verschwundene Film von 1972 nicht vor.
Eine Nachricht noch: Zu hören ist, daß Jane Fonda sich noch einmal für die Kriegsverweigerer unter den US-Soldaten engagieren will – diesmal geht es um die Militäreinsätze im Irak.
Und eine Frage: Wer hat 1972 dafür gesorgt, daß die Kinokopien des Films »Fuck of Free the Army« zerstört wurden? Die damalige Produzentin meint, die Anweisung sei direkt aus dem Weißen Haus gekommen.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
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