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»Das Volk spuckt auf sie und wählt sie doch«
Karol Mania
Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Polen am 9. Oktober 2005 sah Donald Tusk von der rechtskonservativen »Bürgerplattform« (PO) mit 36,3 Prozent und Lech Kaczynski von der rechtsradikalen Law-and-Order-Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) mit 33,1 Prozent an der Spitze. Amtsinhaber Aleksander Kwasniewski durfte nach zwei Amtsperioden nicht wieder kandidieren. Der zunächst aussichtsreichste Kandidat, Wlodzimierz Cimoszewicz vom Bündnis der Demokratischen Linken (SDL), hatte sich unter dem Druck der von den Rechten beherrschten Medien zurückgezogen. Den zweiten Wahlgang am 23. Oktober werden Tusk und Kaczynski unter sich ausmachen; weder der Kandidat der bäuerlichen Protestpartei »Selbstverteidigung« (SO), Andrzej Lepper, noch jener der Sozialdemokratie Polens (SDPR), Marek Borowski, kamen in die Stichwahl. Im zweiten Wahlgang reicht die relative Mehrheit der Stimmen.
Bereits am 25. September hatten vorgezogene Parlamentswahlen stattgefunden. Obwohl die bisherige Regierungskoalition einer vernichtenden Niederlage entgegensah, ließ sie sich von Präsident Kwasniewski und Regierungschef Marek Belka sowie von den Rechtsparteien die Verkürzung ihrer Legislaturperiode aufzwingen. Um die mit der neoliberalen Regierungspolitik unzufriedenen Wähler zu mobilisieren, führten die Rechtsparteien einen schmutzigen, polarisierenden Wahlkampf; die katholische Kirche rief zum Urnengang auf. Dennoch betrug die Wahlbeteiligung nur 40,2 Prozent. Drei von fünf Wähler erwarteten von keiner der sich bewerbenden Parteien eine Lösung ihrer Probleme. Zwischen 70 und 90 Prozent der befragten Wähler waren überzeugt, daß die sich zur Wahl stellenden Politiker unglaubwürdig sind und ausschließlich persönliche Interessen im Sinn haben. »Das Volk spuckt auf sie und wählt sie doch!« kommentierte die Zeitschrift NIE.
Seit 1997 war Polen von der »Wahlaktion Solidarität« (AWS) regiert worden. Diese Koalition gruppierte sich um die Gewerkschaft Solidarnosc, trat aber alle Arbeiterinteressen dermaßen mit Füßen, daß sie bei der Wahl 2001 keinen einzigen Kandidaten durchbrachte und sich anschließend auflöste. Allerdings hatten sich die rechtesten Politiker der AWS beizeiten zwei Auffangorganisationen geschaffen: zum einen die rechtskonservative, scheinliberale »Bürgerplattform« (PO), deren Politik mit der des deutschen Christdemokraten Roland Koch vergleichbar ist, zum anderen die Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) der Brüder Kaczynski, deren politisches Profil der Deutschnationalen Volkspartei von 1932 beziehungsweise Le Pen oder Haider von heute gleicht: jungkonservativ und semifaschistisch. 2001 schafften die beiden Reserveparteien der AWS den Einzug ins Parlament, 2005 sind sie die Wahlsieger.
Das bisher gemeinsam mit der »Partei der Arbeit« (PP) regierende »Bündnis der demokratischen Linken« (SLD), das 2001 noch 41 Prozent der Stimmen erreicht hatte, sank auf 11,4 Prozent und ist der größte Wahlverlierer. Spaltungen der Partei, innere Zerrissenheit, mehrfacher Führungswechsel und Korruptionsskandale mögen da eine Rolle gespielt haben. Polen ist laut Transparency International eines der korruptionsanfälligsten Länder der EU. Doch die heutigen Wahlsieger sind noch korrupter als ihre Vorgänger. Die polnische Presse listet zur Zeit Skandalhelden der Bestechung auf, die jetzt für PiS und PO im Parlament sitzen.
Der entscheidende Grund der Niederlage des SDL ist die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik der angeblich sozialdemokratischen Partei, die der jungen und rohen polnischen Kapitalistenklasse ihre Bereicherung erleichterte, während die Arbeitslosigkeit auf zwanzig Prozent gestiegen ist und die Verelendung der industriellen Arbeiter vor allem in Schlesien unvorstellbare Ausmaße annimmt. Die von der SLD geführte Regierung ließ sich von den Rechtsparteien die Bedingungen für den EU-Beitritt und den fanatischen Antirussismus vorschreiben. Im Verhältnis zu den USA dagegen konnte sie sich nicht servil genug verhalten, sei es durch die Entsendung polnischer Soldaten an die angloamerikanische Kriegsfront im Irak, sei es durch die Teilnahme an der dortigen Okkupationsverwaltung durch den amtierenden Premierminister Belka, sei es durch proamerikanische Initiativen und Blockbildungen innerhalb der EU.
Mit 26,8 Prozent der Stimmen wurde die von Jaroslaw Kaczynski geführte PiS Wahlsieger Nummer 1. Sie wird in der künftigen Rechtsregierung den Ministerpräsidenten stellen und das Programm bestimmen. Da Zwillingsbruder Lech Kaczynski, Stadtpräsident von Warschau, um das Präsidentenamt kämpft, will Jaroslaw Kaczynski das Amt des Regierungschefs nicht selbst übernehmen. Die PiS warb im Wahlkampf für Gesetzesverschärfungen in puncto »innere Sicherheit« und ließ sich von keiner anderen Partei an Nationalismus übertreffen, trat aber gleichzeitig demagogisch als Interessenvertreterin der vom regierenden Neoliberalismus geschädigten kleinen Leute auf, denen sie »solidarische« Fürsorge versprach. Vor der Wahl hatte der neue FAZ-Korrespondent in Polen, Konrad Schuller, noch den »Rechtsautoritarismus« und »Populismus« der PiS als politische Peinlichkeiten gerügt, ihr Führerprinzip, ihren Ruf nach der Todesstrafe und die Stoßrichtung ihres Nationalismus auch gegen Deutschland und die EU vermerkt. Nach der Wahl schminkt er den Sieger plötzlich schön: »Vor allem hat der Nationalismus der polnischen Rechten keinen Hang zur Gewalt«, schreibt Schuller entgegen allen Tatsachen und würdigt ihn als kompromißbereit gegenüber der PO.
Die Bürgerplattform (PO) erreichte 24,2 Prozent und muß mit dem zweiten Platz in der neuen Regierungskoalition Vorlieb nehmen. Diese Partei schlug im Wahlkampf einen einheitlichen Steuersatz von 15 Prozent für alle vor, vom Bankdirektor bis zur Krankenschwester. Sie ist so recht nach dem Herzen der deutschen Großbourgeoisie: innenpolitisch erzkonservativ, außenpolitisch der EU zugewandt, mit ihren Steuervorschlägen stellte sie sogar Friedrich Merz in den Schatten. Die FAZ hätschelt die PO als »liberalkonservativ«.
Die klerikalnationalistische Partei »Liga polnischer Familien« (LPR) unter Führung der Familie Giertych bekam 7,9 Prozent der Stimmen. Mitglieder und Wähler der LPR stammen aus den rückständigsten Schichten der Bauern und kleinstädtischen Bürger und schüren deren Phobien. Der Nationalismus dieser Gruppierung ist extrem rechts, klerikal und offen antisemitisch. Die reaktionärsten Teile der katholischen Kirche, vor allem das Medienimperium des Paters Rydzyk mit Radio Maryja, verhalfen der LPR zu ihrem Einfluß und nutzen sie als politisches Instrument.
Die bäuerliche Protestpartei »Selbstverteidigung« (SO) unter Andrzej Lepper wird inzwischen nicht nur von Bauern, sondern auch von Arbeitern und städtischen Unterschichten unterstützt. Sie verteidigt die Reste sozialer Errungenschaften der Volksrepublik Polen, tritt für staatliche Kontrolle der Finanzpolitik, für eine starke Progressivsteuer und gegen die Aneignung Polens durch das deutsche Kapital ein. Als einzige Partei widersetzt sie sich der Hetze gegen die Republik Belarus und wirbt für eine Verständigung mit dem östlichen Nachbarn und die Nutzung der östlichen Märkte. Der Linksruck der SO wurde bei den Wahlen nicht belohnt, mit 11,7 Prozent der Stimmen überflügelte sie zwar das SLD, konnte aber dessen Wählerpotential nicht erben. Die konkurrierende Bauernpartei PSL bekam 6,9 Prozent. Sozialisten, demokratische Linke, die diesen Namen verdienen, sind im Sejm nicht mehr vertreten.
Laut Umfragen wollen zwei Drittel der Polen nicht, daß die Arbeitslosenunterstützung, die Sozialhilfe und die vorgezogene Renten gekürzt werden, sie wollen keinen einheitlichen Steuersatz für alle, der die Reichen noch reicher macht, sie wollen keine Studiengebühren für alle Studenten, sie wollen keine Aushöhlung der Macht von Parlament und Regierung und die Einführung einer Präsidialdiktatur. Doch gewählt hat die Mehrheit der Wähler genau die Parteien, die diese Ziele verkünden.
PiS und PO werden die Regierung bilden – mit drei Aufträgen: Erstens soll sie die neoliberale Politik noch verschärfen, ungehemmt privatisieren, eine entschiedene Steuerreform und einen radikalen Abbau der Sozialleistungen durchsetzen.
Zweitens sollen demokratische Elemente der Verfassung abgeschafft, parlamentarische Regulierungsformen durch autokratische ersetzt werden. Unter der populären Losung »Kampf der Korruption!« will man das Strafrecht, vor allem das Jugendstrafrecht, verschärfen sowie Polizei und Strafverfolgungsorgane direkter politischer Kontrolle unterstellen. Die Unterstützung der obskuren LPR erscheint sicher, reicht aber zur verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit nicht aus. Da Hilfsstimmen von Nationalisten in anderen Parteien unsicher sind, dürfte es schwer werden, die weitgehend liberale Verfassung von 1997 formal zugunsten eines autokratischen Präsidialregimes aufzuheben. Unterhalb dieser Schwelle jedoch sind gleich dutzendweise gesetzliche Regelungen geplant, die die Verfassung aushöhlen und aushebeln.
Drittens soll der »christliche Charakter der Republik Polen« noch stärker zur Geltung gebracht und die als halbherzig verschrieene Gegenrevolution von 1989 vollendet werden.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
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