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Ein gescheiterter Dialog
Holdger Platta
Unbemerkt von der Öffentlichkeit begann am 8. September 2005 ein Wahlkampf ganz besonderer Art. Während die Hartz-IV-Parteien mit ihrer Propaganda das Wahlvolk bearbeiteten, bearbeitete nun zehn Tage lang ein aktiver Teil des Wahlvolks eben diese Parteien. Tausende von Menschen in der Bundesrepublik traktierten die Parteizentralen bis zum Wahlsonntag mit Fakten und Anfragen zum Arbeitslosengeld II. Ziel der gemeinschaftlichen Fax-, Telefon- und Mail-Aktion von Erwerbslosen: »Erschweren wir die Aktivitäten der Parteizentralen, indem wir uns selber bei ihnen zu Wort melden... Wenn die Propaganda-Arbeit der Parteizentralen dabei ins Schwimmen gerät, weil sie überschwemmt wird von den Nachrichten aus der sozialen Wirklichkeit, liegt das nicht an uns, sondern an dem Elend, das seit den ›Reformen‹ unseren Alltag bestimmt.«
Nun, ersoffen sind die Hartz-IV-Parteien in den zehn Tagen nicht. Aber ihre Reaktionen zeigen völlige Hilflosigkeit, mit dieser neuen Form eines Wahlkampfes von unten umzugehen. Gegen Trillerpfeifen hilft allemal eine gute Lautsprecheranlage, gegen Argumente und Tatsachen aber kommen die Parteisprecher offenbar nicht an. Zum Beispiel nicht gegen die eines Erwerbslosen in dessen Mail vom 9. September:
»Einer Bundestagsmitteilung vom 16. Februar 2004 zufolge liegt das Existenzminimum in diesem Jahr bei Alleinstehenden bei 613 , bei Ehepaaren bei 1200 , bei Eltern mit einem Kind bei 1324 . Eine eigene Untersuchung von mir unter 30 ALG-II-Beziehern in Südniedersachsen hat ergeben, daß 52 Prozent der Betreffenden einen Bescheid erhalten haben, der in seiner Gesamtsumme unterhalb dieser Grenzen zum Existenzmininum liegt... Was gedenkt Ihre Partei... gegen diesen offenkundigen Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot unseres GG zu unternehmen?«
Darauf weiß FDP-Sprecher Dirk Niebel am 13. September nur die folgende Antwort: »Sozial ist, was Arbeit schafft. Wir brauchen Steuer- und Abgabensenkungen und Lockerungen im Arbeits- und Tarifrecht, um Unternehmen zu motivieren, mehr Arbeitsplätze bereit zu stellen.« Der Frager hatte von den Spatzen gesprochen, die nichts mehr zu fressen haben. Niebel spricht ausschließlich vom Pferd, das besser gefüttert werden muß.
Ähnlich hilflos die SPD. Da schreibt ein ALG-II-Bezieher an deren Wahlkampfleitung am 13. September: »Soeben erfahre ich, daß neue Sehbrillen – augenärztlich verordnet – von ALG-II-BezieherInnen nicht angeschafft werden können. Erstens, weil Kosten dafür nach der letzten Gesundheitsreform von den Krankenkassen grundsätzlich nicht mehr übernommen werden; zweitens, weil auch im Eckregelsatz von ALG II Ausgaben dieser Art nicht eingerechnet worden sind und nach dem Gesetzeswerk SGB II nicht extra beantragt werden können. Was gedenken Sie dagegen zu tun?«
Ein Herr Jan Almstedt von der SPD-Pressestelle Berlin antwortete: »Ich bitte Sie, sich mit diesen Fragen an das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zu wenden, da es sich ja um einen Verwaltungsakt handelt.« Wie bitte? Die Zerstörung des Sozialstaates in der Bundesrepublik ein Verwaltungsakt, für den das Clement-Ministerium zuständig ist? Der Erwerbslose bleibt hartnäckig: »Ich sehe es nicht so, daß Gesetze, die von Ihrer Partei initiiert und von dieser und den anderen Parteien mitbeschlossen worden sind, nunmehr nur noch Sache der Einzelministerien wären... Mich interessiert also nach wie vor... ob und wie Ihre Partei so etwas für vereinbar hält mit den Sozialstaatsgeboten unseres Grundgesetzes...« Almstedt weiß nur noch die Antwort: »Es handelt sich bei den von Ihnen angesprochenen Themen doch sehr offensichtlich um Ausführungsbestim-mungen zum SGB II. Ich kann mich daher nur wiederholen und Sie bitten, sich an das Ministerium zu wenden. Etwas anderes, als dort nachzufragen, könnte ich auch nicht machen.« Was heißt: Almstedt zufolge erläßt die Legislative Gesetze, für deren sozialstaatswidrigen Charakter ausschließlich die Exekutive ver-antwortlich ist. Der Hauptinitiator dieser Gesetze, die SPD, kann daher nichts anderes mehr tun außer nachfragen, aber das soll bitteschön der Erwerbslose tun...
Wenig trostreich auch die Mail der CSU an den gleichen Fragesteller, unterschrieben von ihrem Sozialexperten Robert Höcherl: »Eine Politik für mehr Beschäftigung und damit auch für mehr Wachstum ist das Erfolg versprechende Rezept. Entscheidend ist dazu zunächst eine deutliche Flexibilisierung des Arbeitsmarktes...« Die Epistel ist drei Seiten lang, aber die betroffenen Erwerbslosen und deren Sorgen kommen darin überhaupt nicht vor. Ein Fall von Nichtbeantwortung durch Quasselei.
Und die CDU? Sie sagte lieber gleich gar nichts, statt Absätze aus dem Parteiprogramm herunterzubeten: Stummbleiben statt Stammeln.
Fazit nach diesen gescheiterten Dialogversuchen: Die Stimmen der Wähler zählen nur in der Urne, nicht im Gespräch.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
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