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Mindestlohn
Manfred Sohn
»Mindestlohn um 4,1 Prozent erhöht« – aus zwei Gründen kann das keine Meldung aus Deutschland sein. Erstens gibt es hier im Unterschied zu den meisten anderen europäischen Ländern keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn. Und zweitens gehören Lohnerhöhungen von 4,1 Prozent schon seit längerem in das Reich der Wünsche, an deren Erfüllbarkeit die Arbeiter und Angestellten hierzulande gar nicht mehr zu glauben wagen, sofern sie nicht zu den Bessergestellten gehören, die sich selbst zum Teil zweistellige Steigerungsraten auf ihre satten Gehälter genehmigen.
Aber die Meldung ist aus dieser Welt, und sie ist aktuell. In diesem Monat nämlich steigt der gesetzliche Mindestlohn für Arbeiter und Angestellte in Großbritannien, die älter als 21 Jahre sind, von 4,85 Pfund auf 5,05 Pfund, und das sind 4,1 Prozent. Umgerechnet ergeben 5.05 Pfund ungefähr 7,50 Euro, wovon hiesige Lidl-Verkäuferinnen und auf Stundenlohnbasis beschäftigte Taxifahrer nur träumen können.
Die Erhöhung des Mindestlohns, der etliche gewerkschaftliche Aktionen vor-ausgegangen sind, ist nicht etwa, wie vielleicht eingewendet werden könnte, als Korrektur einer seit Jahren zurückgebliebenen Lohnpolitik zu verstehen. Steigerungen hat es vielmehr auch in den Vorjahren gegeben. Seit April 1999, als er mit damals 3,60 Pfund eingeführt wurde, ist der Mindestlohn um 49 Prozent angestiegen und hat damit sowohl den Anstieg der Preise (14 Prozent) als auch den der Durchschnittsverdienste (27 Prozent) überrundet.
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns war eine der ersten und leider letzten großartigen Taten der 1997 neu gewählten Blair-Regierung. Sie war eine der Kernforderungen der Labour-Party im Wahlkampf gewesen und mußte gegen erbitterten Widerstand der Konservativen und der Unternehmerverbände durchgesetzt werden. Deren Argumente waren dieselben wie heute in Deutschland: Ein Mindestlohn würde massenhaft Arbeitsplätze vernichten und den Armen schaden, nicht nützen. Das Gegenteil ist eingetreten. Daß Großbritannien ökonomisch in vieler Hinsicht besser dasteht als Deutschland, liegt nicht am Mythos Thatcher, sondern am Mindestlohn und dessen stetiger Steigerung. Da er gesetzlich relativ konsequent durchgesetzt wird, hat er den vorher grassierenden Verfall der Löhne vor allem für Frauen und Ungelernte, die in Gastronomie, Einzelhandel und Reinigungsgewerbe beschäftigt sind, nicht nur gestoppt und in einen kontinuierlichen Lohnzuwachs verwandelt; er hat darüber hinaus auch volkswirtschaftlich die zusätzliche Nachfrage geschaffen, die in Deutschland so bitter fehlt.
Es wird also höchste Zeit für unser Land, sich in Sachen Mindestlohn dem europäischen Standard anzupassen und entsprechende Gesetze zu beschließen. Das tut übrigens auch den Gewerkschaften gut, die in England mit dem Einsatz für Mindestlohn und dessen kontinuierlicher Erhöhung identifiziert werden: Sie konnten im letzten Jahr ihre Mitgliedschaft um 28 000 oder immerhin 0,4 Prozent auf jetzt fast 6,5 Millionen erhöhen.
Egal, wer in Berlin regiert: Ins Zentrum linker Forderungen gehört für die nächsten vier Jahre der gesetzliche Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro pro Stunde.
Erschienen in Ossietzky 21/2005
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