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Den Nachrufen nachgerufen
Manfred Wekwerth
Es muß die Zeit der Endproben der Inszenierung »Die Tragödie des Coriolan« von Shakespeare gewesen sein, mit der das Berliner Ensemble 1966 beim Festival in Venedig zum »Wunder des zeitgenössischen Theaters« erklärt wurde, als Ekkehard Schall, der den Coriolan spielte, mich – was selten bei ihm geschah – mitten in der Probe in eine längere Diskussion verwickelte. Ich hatte kritisiert, daß er den jungen Feldherren Coriolan, einen Shooting-Star des Hochadels, zu negativ zeige. Es sei eine alte Theaterregel, daß man ein Denkmal, das man stürzen will, erst einmal aufbauen muß. Schall hatte Schwierigkeiten, den arroganten Machtanspruch des Coriolan mit genügend Normalität und Leichtigkeit auszustatten. Für ihn schien Machtgier immer etwas Anstrengendes, und er zeigte die Anstrengung. Was aber für ihn, der aus »kleinen Verhältnissen« kam, eben die anstrengende Ausnahme war, ist für den hochadeligen Coriolan die Normalität des Alltags. Und so kamen wir auf Helden zu sprechen. Sind Helden Lust oder Last der Gesellschaft? Ekke war unerbittlich: Sie sind »Lasten«, die für die Leute schwer zu tragen sind. Besonders junge Helden, die Produkte politischer Verführung und dann selbst Verführer. Aber eine »Last« waren ihm die jungen Helden wohl auch, weil er schon unter Brecht sie immer zu spielen hatte (Brecht: »Er hat was vom jungen Brando, nur deutscher«), wo er als Schauspieler doch viel lieber Clownerie und Bissigkeit auf der Bühne zeigen mochte; dieser Widerspruch ging übrigens als großartige Mischung in seine Coriolan-Figur ein: Die Wendungen des Clownesken erhöhten Reiz und Transparenz auch der tragischen Szenen. Nur von einem Helden sprach Ekke mit Hochachtung: von Philipp II. Nicht, weil er dem Marquis Posa beim Wort Gedankenfreiheit das Maul verbietet, sondern, weil er »seine Macht auch mal nützlich gebrauchte«. Er verlangte nämlich, daß die Trauerreden, die man nach seinem Tode zu halten gedachte, schon zu seien Lebzeiten gehalten werden. Zu diesem Zweck verlegte er die Trauerfeier etwas nach vorn, so daß er den Rednern zuhören und die Nachrufe genießen konnte. Diese Geschichte fiel mir ein, als ich die Nachrufe auf Ekkehard Schall las und mir vorstellte, er sei Philipp der Zweite.
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Da ist zum Beispiel der »kommunistische Rampenheld«, wie ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung in der Überschrift ihres Nachrufs nennt. Ähnlich wie das Urteil der Nazis, mit dem sie 1943 Ernst Busch ins Zuchthaus schickten, »weil er mit seinen Liedern den Kommunismus in Europa verbreitet hat«, trifft das Urteil der FAZ exakt auf Ekkehard Schall zu. Busch nannte sein Urteil übrigens die allerbeste Kritik, die er als Künstler je bekommen habe. Auch Schall, »der Star, der Rampenheld, der kommunistische Schauspielkönig, um den es nach dem Kommunismus naturgemäß still wurde« (FAZ), kann sich über ein solch treffendes Urteil freuen. Denn Schall ist Kommunist geblieben, während viele seiner Kollegen heute von »Marktwirtschaft« reden, wo sie früher »Kapitalismus« sagten. Doch der Nachrufer der FAZ läßt seine klare Sicht in einem Punkt vermissen: wenn er vom Ende des Kommunismus schreibt. Gewiß verstellen die stattlichen Bauten zum Beispiel der Deutschen Bank den Blick über Frankfurt am Main hinaus, jedenfalls für die Feuilleton-Redaktion. Da ist die Wirtschaftsredaktion der gleichen Zeitung, was das Ende des Kommunismus betrifft, wesentlich vorsichtiger und sieht mit George Dabbelju Bush, daß das Zusammengehen lateinamerikanischer Länder wie Venezuela und Kuba »eine ernste Gefahr der Destabilisierung ganz Lateinamerikas mit sich bringen könnte«, da man ohne Genehmigung der USA Ölquellen enteignet, die »naturgemäß« den USA zustehen.
Auch die Sache mit dem »Gralshüter« Schall, der sich nie wandeln wollte (FAZ), trifft die Sache wieder genau. Denn wenn man Herrn Wolfram von Eschenbach glauben darf, ist der Gral ein Edelstein, der die Fähigkeit verleiht, die Welt zu erkennen. Von dem Gralshüter Schall stammt tatsächlich ein Satz, mit dem er »Brecht fest im Sack hat, aus dem er ihn immer wieder groß herausstellt mit jenem F-Effekt (Familien-Effekt)«. Der Satz lautet: »Theater beginnt für mich mit der Gretchenfrage, wie hältst du es mit der Vernunft?« Das zeigt, dieser Gralshüter hat sich überhaupt nicht gewandelt! So suchte man ihn stets vergebens, wenn Angela Merkel und seine Schauspieler-Kollegen aus den Händen von Super Illu die »Goldene Henne« dankbar entgegennehmen konnten. Ja, der Gralshüter war so unwandelbar, daß er, statt im Fernsehen einen König von Sankt Pauli zu spielen, lieber in dem winzigen Berliner Theater 89, in dem man komischerweise auch noch glaubt, die Welt sei zu verändern, vor lächerlichen 90, allerdings begeisterten Zuschauern Horvaths Ein-Personen-Stück »Das Kind unserer Zeit« vollendet spielte. Und noch etwas haben solche Gralshüter an sich: Sie klammern sich »ungeniert und herrisch« (FAZ) an so verstaubte Grundsätze wie die »konkrete Analyse der konkreten Situation« (Lenin!!). So veränderte der Gralshüter sich mit jeder Rolle, die er spielte, mehr als man es bei anderen heutigen Schaupielergrößen sehen kann: vom Arturo Ui, den die Pariser Presse mit Chaplin verglich, und dem J. Robert Oppenheimer, den der Autor Heinar Kipphardt als »den besten Oppenheimer dieser Welt« bezeichnete, über den ruhmvermessenen Coriolan, den Communarden Rigault mit seinem beispiellosen Intellekt, über die prophetische Ratte Thersites in »Troilus und Cressida«, den wilden Baal, den nach Revolution süchtigen Fatzer bis zu der souveränen Größe und erschütternden Tragik des Galilei. Doch auch damit be-gnügte sich der Gralshüter, den die FAZ jede geringste Änderung von Brecht »weltweit« verhindern ließ, noch immer nicht. Zusammen mit der Regie wurden auch Texte und Szenen von Stücken immer wieder (auch nach der Premiere) verändert, bis sie der konkreten Analyse der konkreten Situation politisch und künstlerisch standhielten.
Die Berliner Zeitung findet es in ihrem Nachruf nun wiederum »anmaßend« und ein Zeichen von Am-Alten-Festklebenwollen, wenn Ekkehard Schall das heutige Berliner Ensemble einen »Etiketten-Schwindel« nennt. Schließlich kann man dort zum Beispiel Brechts »Die Mutter« vor stets ausverkauftem Haus sehen. Und es kommen heute Leute, die niemals zu Brecht gekommen sind. Denn im heutigen BE hat man beim Spielen der »gefährlichen Brecht-Stücke«, wie man sie jetzt nennt, eine erlösende Formel gefunden: »Nicht die Theorie suchen, sondern die dichterische Kraft.« Und diese dichterische Kraft zieht eben auch jene Leute ins Theater, die die Theaterkarten wenigstens noch bezahlen können. Und sie sind dankbar, wenn der Chor von der Bühne herab sie singend auffordert: »Du mußt die Führung übernehmen!« Das wollen sie ja immer schon und tun es.
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Zu dem »macht- und karrierebewußten Schall« – der eigentlich drei Berufe hatte: »erster Beruf Schwiegersohn von Bertolt Brecht. Sein zweiter: Mitaufseher und Mitnutznießer des Brechtschen Erbes, was Tantiemen und auch was die Möglichkeit anging, Einsprüche gegen Regie-Konzepte weltweit zu erheben«, und drittens nebenbei »den Beruf des Schauspielers« (FAZ) – fällt mir eine kleine Geschichte ein.
Man schrieb das Jahr 1956. Brecht hatte die irische Komödie »The Playboy of the Western World« von Synge wiederentdeckt und wollte die Regie dem geben, dem es erstens gelingt, eine neue Übersetzung in vier Wochen herbeizuschaffen, und der zweitens die Pegeen mit seiner Tochter Barbara besetzt, die im Stück den Playboy (Brecht übersetzte Playboy mit »Held«) begehrt, solange er der »Held« ist, der in The Western World (irisch soviel wie »letzter Winkel«) seinem Vater mit dem Spaten den Schädel gespalten hat. Dann aber stellt sich heraus, daß der Vater noch lebt, da irische Schädel für Spaten zu hart sind – und die Aura des »Helden« ist futsch. Der Held, das hatte sich Barbara ausbedungen, sollte Ekke Schall sein. Erstens weil er immer die jugendlichen Helden spielte, zweitens weil Barbara und Ekke seit kurzem ein glückliches Paar waren. Da ich Peter Hacks als kongenialen Übersetzer gewinnen konnte, wurde ich der Regisseur. Da ich aber kritisierende Chefdramaturgen auf den Proben hinter meinem Rücken nicht ausstehen konnte, verwickelte ich unseren Chefdramaturgen, Peter Palitzsch, in ein Gespräch und lockte ihn hinter das Regie-Pult, wo er zu seiner Überraschung hängen blieb.
Nun, gestärkt durch eine gemeinsame Regie, mißfiel uns die Besetzung mit Schall. Da der Held, der »Playboy«, von den Dorfbewohnern erst zum Helden gemacht wird, sollte er nicht von vornherein ein Held sein. Wir nahmen einige Kognaks zu uns und klingelten ziemlich spät abends bei Brecht. Er hörte sich unsere Bedenken an, auch unseren Vorschlag, Heinz Schubert mit dem Helden zu besetzen, damals ein Schauspieler kleiner Rollen von kleinem Wuchs und großer Komik: ein Anti-Held. Wir begründeten unsere Umbesetzung Brecht mit Brechts Theorie (widersprüchliche Besetzungen!), so daß er nichts dagegen sagen konnte. Er bat aber, daß wir es am nächsten Morgen »Helli beibringen«. Helene Weigel (es war Probenbeginn!) fiel aus allen Wolken. Helli, sonst von kluger Rationalität, entdeckte hier das Mutterherz für Barbara, die auf der Bühne unbedingt ihren Ekke haben wollte. So das Schlußwort der Intendantin: Diese Besetzung ist beschlossen und steht fest. Palitzsch und ich überlegten. Sollten wir alles hinschmeißen? Regie und Stück lockten zu sehr. Der Inspizient läutete schon zur ersten Probe, als Ekke von unseren Überlegungen erfuhr. Aber, und darum erzähle ich die Geschichte, Ekke »konnte nicht der Versuchung widerstehen, die von einem Beweis ausgeht« (Brecht im »Galilei«). Er fand unsere Überlegung »toll und schrecklich«, denn sie sollte ihn die Rolle kosten, aber er verlangte die Umbesetzung.
Heinz Schubert (Schubi, der viele Jahre später als Ekel Alfred Weltruhm erlangte) bekam so seine erste »große« Rolle, den Helden der Westlichen Welt, und Ekke spielte mit großem Einsatz die Nebenrolle des Shawn Keogh, des kläglichen Nebenbuhlers.
Soviel zum »macht- und karrierebewußten Schall mit seinem ungenierten und herrischen Auftreten und seinen Bemühungen, jede Änderung weltweit zu verhindern«
Erschienen in Ossietzky 20/2005
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