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Die Freiheit auf der Folterbank
Gerhard Zwerenz
Als die US-Army in Vietnam Krieg führte, störte westdeutsche Politiker und Medien die Folter so wenig wie das US-Phönix-Programm, dieser Massenmord an des Kommunismus Verdächtigen. Eine Westberliner Senatsdelegation übergab in Saigon feierlich die symbolische Nachbildung der Freiheitsglocke zur Demonstration des Einverständnisses. Was unterscheidet die gestrige Folter in Vietnam von der heutigen im Irak? Damals ging es gegen die Roten. Demokratischer Westen gegen diktatorische Sowjetunion. Das ist passé. Der Sieg über den Bolschewismus führte zum Triumph der Freiheit. Die kommt nun als Bildtortur ins heimatliche deutsche Wohnzimmer. Hier herrscht zwar Krise, doch noch ohne Folter. In unendlicher Abfolge feiert der verblichene Marquis de Sade fröhliche Auferstehung. Unser Kulturbürgertum hielt das bisher für erotische Kunst aus einem vergangenen dekadenten Frankreich. Nun wurde es zur Realität US-amerikanischer Gefangenenfürsorge. Im längst eroberten Irak führen junge Bush-KämpferInnen nackte Gefangene an der Leine als Hunde dressiert oder von Hunden gebissen vor. Die »120 Tage von Sodom« unter der Regie des reanimierten Marquis lassen die christlichen Herzen höherschlagen. Entkleidete Subjekte bei Gruppensex, Masturbation, Fellatio und kollektiver Analpenetration nach Geheimdienst-Anordnung und auf Order unschuldiger GefängniswärterInnen, die nur Befehle ausführen oder über die Stränge schlagen – wer weiß das genau, die zuständigen Generäle und Politiker jedenfalls nicht.
Alle aber geben sich empört. Besonders die Urheber. An der Spitze Graf Rumsfeld und die jungfräuliche Condoleezza Rice, die beide bisher gar nicht wußten, was Sadismus ist. Folter sei aseptisch und schön, dachten sie, statt dessen bringt Mademoiselle Justine in US-Uniform männlichen Geschlechtsteilen gymnastische Übungen bei, und die militärisch disziplinierte Kamera schaut verständnisvoll zu, denn die Bilder sollen andere Gefangene erschrecken sowie daheim das vaterländisch-patriotische Publikum ergötzen. Provokation gehört zum modernen sadomasochistischen Provinz-Theater. Die Sperma-Parade im offenen Gefängnistrakt, der Gefangenenchor beim maskulinen Gruppensex. Dazu laute Musik, aber nicht von Beethoven. Das Musical mit Nackt-Ballett nutzt der tiefreligiöse Präsident zur stilvollen Empörung vor der Kamera. George Dabbelju will nicht Bush-de-Sade heißen, und so heiligt er seinen die Folter anordnenden, doch daran unschuldigen Kriegsminister, dieses Lamm Gottes im Chefsessel des christlichen Pentagon. Schon der ursprüngliche de Sade wußte, » ... daß es nicht das Objekt der Lust, sondern die Idee des Bösen ist, die uns erregt«.
Amerika fickt sich selber ins vaterländische Knie. Sein Präsident, dieses kulturelle Spitzenprodukt, beweist: Die eigene Seite ist gut, die andere des Teufels. Allerdings wächst in den USA wie einst im Vietnamkrieg eine radikale Opposition. Von der könnte unsere Politklasse lernen. Schröder hatte mit dem Wahltrick seiner Irak-Verweigerung immerhin Glück. Das hat auf Dauer nur der Tüchtige, der den Krieg prinzipiell ablehnt. Die vakante rotgrüne Koalition sollte ihre letzte Chance nutzen und die Soldaten schnellstens von Balkan und Hindukusch zurückziehen, wie es das unverleugnete Grundgesetz verlangt. Alles andere ist mindestens indirekte Teilhabe am Folterkrieg durchgeknallter imperialer Kriegsrechtsbrecher.
Inzwischen wuchsen uns ungezählte Folter-Experten zu. Es hatte mit dem untauglichen Versuch eines mainischen Polizeioffiziers begonnen, der durch Folterandrohung ein entführtes Kind retten wollte. Dann erschien Professor Michael Wolffsohn auf der TV-Bildfläche, und Alice Schwarzer verkündete tiefgründige Weisheiten über folternde Frauen. Den vorläufigen Abschluß lieferte Monika Maron, die dem »streitbaren Geist« Wolffsohn zu Hilfe eilte, weil ihn ein böses »Empörungskartell«, von dem schon Martin Walser als antisemitisch abgestraft worden sei, an den Pranger stelle. Der Grund: »Unter den Bedingungen des Terrors hielt er (Wolffsohn) auch die Folter für ein legitimes Mittel.« Na wie denn auch nicht? Die Unschuldslämmer sind unter sich am unschuldigsten. Ein kalter Krieg läuft automatisch heiß.
Begleitet wurde der öffentliche Torturen-Diskurs vom Strom empörter Leserbriefe pro und contra – meist mehr pro. Merkwürdigerweise beteiligte sich kein einziges Folteropfer an der Diskussion über die Legitimität seiner Schmerzen. Obwohl Juden wie Christen ihren gefolterten Jesus als Urzeugen an- oder abrufen könnten. Der klagte bekanntlich: »Mein Vater, mein Vater, warum hast du mich verlassen« und ertrug dann Geißelung wie Kreuzigung, um die werte Menschheit zu retten, was die aber nicht akzeptiert, weil sie »die Folter für ein legitimes Mittel« hält, wie Wolffsohn sagt, insofern Frau Maron ihn in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung richtig interpretierte. Freilich waren schon die alten Römer dieser staatsrechtlichen Meinung, die anno 71 vor Christi über 6000 aufständische Sklaven entlang der Heerstraße von Capua nach Rom ans Kreuz schlagen ließen, nachdem 60 000 Aufständische das Abschlachten zuvor nicht überlebt hatten. Was sind demgegenüber schon einzelne Aufständische, die Rumsfeld sich heute als geheimgehaltene Privatgefangene leistet. Oder gibt’s davon noch mehr? Genaueres erfuhren wir nur über die filmreifen Folterungen in diversen Anstalten mit Massenmenschhaltung.
Amerikaner foltern nicht, sagte Bush und erklärte jeden Fernsehzuschauer zum Halluzinationisten. Clinton dagegen sah im Duett mit Frau Christiansen die Folterverantwortung bis »ganz nach oben« reichen, denn da sitzen republikanische Fundis, die ihm Miß Lewinsky um die Ohren schlugen, während er doch nur die wirklichen Terroristen dingfest machen wollte, denen sein Nachfolger dann Tür und Tor samt Luftkorridor nach Manhattan öffnete. Clinton hätte den Irak mit besseren Argumenten sechs Wochen später erobert, auch mit mehr Truppen als Rumsfeld, der Geizhalz. Überdies ist Bill der charmantere Mann mit der klügeren Frau.
Als leidgeprüfter, vaterlandsgeschädigter Deutscher sitze ich zwischen den unzähligen Folter-SpezialistInnen und lasse mir die beim Frankfurter Auschwitzprozeß bekannt gewordene »Bogerschaukel« einfallen. Ziel: Zerschlagung der Hoden zu Brei zum Zwecke der Wahrheitsfindung unter den Bedingungen des Terrors. Hitler ließ die Attentäter des 20. Juli 1944 als Terroristen an Fleischerhaken aufgehängt zu Tode schinden. Stalin wies seine gehorsamen Wahrheitsermittler an: Prügeln, prügeln, prügeln. Den Rest besorgte Genosse Wyschinski. Da herrschte noch die überschaubare Ordnung der geteilten Welt. Im Zeitalter fortgeschrittener Globalanarchie bilden sich die fröhlichen Folterprofis zu SoldatInnen im Fronteinsatz mit nackten Irakis weiter. Wo gezielt gequält wird, da fallen Lüstlinge an. Kafkas Foltermaschine blieb verbal. Orwell schilderte die Rattenkäfig-Szenen mit wissenschaftlicher Kälte. Unsere Kids genießen Kettensägemassakerfilme und Vergewaltigungsorgien mit Todesopfern in ungebremster Begeisterung. Hitler mußte zur Vernichtung des »jüdischen Bolschewismus« noch den Kommissarbefehl erlassen und die Truppe von der Kriegsgerichtsbarkeit ausdrücklich freistellen. Bush braucht den Internationalen Gerichtshof einfach nicht anzuerkennen, und an die Stelle der zu tötenden Kommissare, Juden und Kommunisten treten die zu tötenden Islamisten. Feind ist Feind. »Gott mit uns« war auf dem Koppelschloß des Wehrmachtssoldaten zu lesen, zum Großen Zapfenstreich erklingt auch weiterhin ungescheut der Choral »Wir beten an die Macht der Liebe«.
1996 schrieb ich als MdB einen Brief an Bundeskanzler Kohl, Bundeswehr-Offiziere zitierend, die dafür plädierten, in künftigen Kriegen sowohl Grundgesetz wie Kriegsvölkerrecht zu mißachten. Falls der Kriegsweg eingeschlagen werde, führe dies wie in den dreißiger Jahren zu einer »Entscheidung zwischen Widerstand und Kriegsschuld«, legte ich dar. Sieben Jahre später ist dem nichts hinzuzufügen. Für Fortsetzung sorgen die Führer unserer freien westlichen Welt.Am 24. 9. 05 meldeten die T-Online-Nachrichten über eine ganze Seite: »Human Rights Watch: US-Elitesoldaten foltern ...« Es folgten Details: Knochenbrechen an Häftlingen als Sport für die Elite-Truppe, auch zum Streß-Abbau. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am Tag danach schrumpften die Kriegsverbrechen auf ganze drei beschönigende Sätze ein. Denn wer für die Freiheit foltert, hat ein Recht auf tüchtige bürgerliche Sympathisanten.
Erschienen in Ossietzky 20/2005
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