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Namibia dankt der DDR
Hartwig Hohnsbein
Im Internet meldeten zwei deutsche Weltumsegler aus Namibia eine »seltsame Entdeckung«: Nach einer »wunderbaren Reise durch ein herrliches Land« mit »Einblicken in die ungewöhnliche koloniale Vergangenheit Deutschlands« hatten sie auf der Titelseite der Windhuker Allgemeinen Zeitung vom 22. März 2005 zwei Bilder entdeckt, die sie empörten. Die Fotografien zeigten die Regierungschefs aller afrikanischen Staaten, die zur 15. Unabhängigkeitsfeier am 21. März 2005 nach Namibias gekommen waren, und mitten unter ihnen, auf einem Ehrenplatz gleich neben der neuen First Lady des Gastgeberlandes, Penexupifo Pohamba, sah man wen? Margot Honecker.
»Irrtümliche Einladung? Wurde die Einladung eventuell noch von unseren Entwicklungsgeldern bezahlt?« fragten die Weltumsegler und stellten dann, etwas ratlos, fest: »Natürlich konnten wir nicht in Erfahrung bringen, wie die rote Margot zu dieser Einladung kam.«
Sie hätten sich darüber bei einem Rundgang durch die Hauptstadt des Landes durchaus kundig machen können, zum Beispiel in der 1892 erbauten »Alten Feste«, dem ältesten Gebäude der Stadt. Bis 1915 war es die Unterdrückungszentrale der deutschen Kolonialherrschaft in »Deutsch-Südwestafrika«. Heute ist hier das Staatsmuseum untergebracht, in dem die namibische Geschichte seit etwa 1850 eindringlich dargestellt wird – für deutsche Besucher eine beschämende Begegnung. Aus der Zeit, als die Rheinische Missionsgesellschaft ihre ersten Stationen errichtete, ist unter anderem eine riesige Kanzelbrüstung erhalten; in den Erläuterungen dazu heißt es: »Das Christentum ebnete den Weg für den Kolonialismus.« Am brutalsten zeigte sich der deutsche Kolonialismus im Ausrottungskrieg gegen die Hereros vor hundert Jahren, aus dem Marterwerkzeuge und Bilder mit Folterszenen überliefert sind.
Umfassend ist der lange, harte Weg zur Unabhängigkeit dokumentiert: der 30jährige Kampf der Befreiungsbewegung SWAPO und ihres langjährigen Präsidenten Sam Nujoma gegen das südafrikanische Apartheidregime und dessen Unterstützer. Zur Erinnerung: Auf der Gegenseite spielten westdeutsche Banken und Industrieunternehmen und besonders der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß eine führende Rolle. Strauß bezeichnete die Forderung nach Abschaffung des Apartheid-Systems als »gespenstisch irreal« und bewertete die Forderung nach gleichem Stimmrecht in Südafrika und Namibia als »im Ergebnis menschenfeindlich und in hohem Maße unchristlich«, wodurch »dem Chaos der Weg gebahnt würde«.
Ganz in diesem Sinne hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Volkmar Köhler (Wolfsburg), kurz bevor er 1982 in der Regierung Kohl der für die »Entwicklungshilfe« zuständige Staatssekretär wurde, hinsichtlich der südafrikanischen Befreiungsbewegung ANC und der namibischen SWAPO erklärt, es gelte, »einer gewalttätigen Politik vorgeblicher Befreiung entgegenzuwirken«.
Diese jüngere deutsche Geschichte mit ihrem Rassendünkel soll in unserem Einheitsstaat nun vergessen werden. Deshalb erzählt das Auswärtige Amt heute, 2005, dem Internet-Benutzer dies: »Seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 haben sich freundschaftliche und umfassende Beziehungen zwischen beiden Ländern entwickelt... Damit wurde der besonderen Verantwortung Deutschlands für seine koloniale Vergangenheit ebenso Rechnung getragen wie dem Engagement der Bundesregierung (!; H.H.) und zahlreicher Kreise der deutschen Bevölkerung für die Unabhängigkeit des Landes.« Gegen diese Darstellung und gegen das Vergessen muß man einwenden, was der Namibia-Kenner Henning Melber im Freitag richtig geschrieben hat: »Vor 1989 hat die alte Bundesrepublik herzlich wenig zur Unterstützung des antikolonialen Befreiungskampfes der SWAPO gegen die völkerrechtswidrige südafrikanische Besatzung beigetragen«, und man muß an die Worte jenes namibischen Regierungspolitikers erinnern, die der erste Botschafter der Bundesrepublik im unabhängigen Namibia, Harald Ganns, zustimmend zitierte: »Wenn es nur die Westdeutschen gegeben hätte, wären wir heute noch im Exil.«
Allerdings: In den Jahrzehnten vor 1990 gab es noch die anderen Deutschen, die Bürger der DDR und ihre Regierung, die »das Feld internationaler Solidarität weitgehend bestellten« (Melber). Von hier wurden seit den 70er Jahren Kontakte zu Sam Nujoma hergestellt; von hier wurden Lehrer, Ärzte und Schwestern in die SWAPO-Camps in Angola entsandt, die immer wieder von den südafrikanischen Terrorbanden überfallen wurden; von hier kamen auch vielfältige materielle Hilfen. Und schließlich: Ab 1979 fanden in der DDR 400 namibische Kinder aus den Kriegsgebieten liebevolle Aufnahme und Betreuung, und diese Hilfsaktion wird im Staatsmuseum in der »Alten Feste« ausdrücklich gewürdigt, mit Bildern, die das Leben der geretteten Kinder in ihrer neuen Umgebung dokumentieren – Lichtblicke der Menschlichkeit, die aus Deutschland nach Namibia kamen, und die einzigen Zeichen, die das offizielle Deutschland in seiner Beziehung zum namibischen Volk in der Zeit seines Befreiungskampfes entlasten.
In einem Bericht, der erfreulicherweise in das DuMont-Reisetaschenbuch über Namibia aufgenommen wurde, erinnert sich ein Junge, der 1985 in die DDR gerettet wurde: »Erst kam ich nach Bellin (Landkreis Güstrow; H.H.) und dann nach Staßfurt. Deutsch haben wir schnell gelernt und auch viele Freunde gefunden... Es war eine sehr schöne Zeit. Wir haben sicher und gut gelebt.« Selbst Springers Hamburger Abendblatt urteilte 2003 in einem Artikel über das Jagdschloß Bellin, wo »die namibischen Kriegswaisen und Flüchtlingskinder... auf Betreiben von Margot Honecker… vorübergehend Heimat gefunden« hatten: »Das war für die Kinder... ein Segen«. Deshalb erhielt sie auch von dem damaligen Präsidenten der Republik Namibia, Sam Nujoma, im Dezember 2004 einen Brief nach Chile, in dem es heißt: »In Anerkennung unserer freundschaftlichen persönlichen Beziehungen und in Hochachtung für Sie und Ihren verstorbenen Ehemann, unseren lieben Freund, den hingeschiedenen Erich Honecker, der half, die Befreiung unseres Landes voranzubringen, und für Ihre Verdienste bei der Fürsorge um so viele namibische Bürger während des Befreiungskampfes habe ich das außergewöhnliche Vergnügen, Sie im Namen des Volkes und der Regierung der Republik Namibia einzuladen, den 15. .Jahrestag der Unabhängigkeit mit Ihrer Anwesenheit zu beehren.«
Viele namibische »DDR-Kinder« sind inzwischen in führende Positionen gekommen; für ihre »schönen Erinnerungen« danken sie der DDR ähnlich wie ihr langjähriger Präsident, der am 15. Unabhängigkeitstag sein Amt an Hifikepunye Pohamba übergab.
Fanatische DDR-Abwickler haben das selbstverständlich ignoriert; darum haben wir es hier nachgetragen.
Erschienen in Ossietzky 20/2005
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