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Vorwärts zur DDR
Ralph Hartmann
Wieder einmal haben die undankbaren »Frustrierten im Osten« den Schwarz-Gelben und den Rosa-Grünen eine Wahl zum Deutschen Bundestag versaut. Verbitterung macht sich breit. Die zu Jahresbeginn bekanntgewordenen Überlegungen, nach dem Vorbild des in den 60er und 70er Jahren bestehenden Bonner »Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands« ein beratendes Gremium »für Fragen der Wiedertrennung Deutschlands« zu gründen (s. Ossietzky 1/2005), haben neue Nahrung bekommen. Während die Befürworter der Initiative darin einen Weg sehen, die Republik vom schweren politischen und ökonomischen Ballast des Ostens zu befreien, geht sie anderen, vor allem linken Kräften nicht weit genug. Am Vorabend des 56. Jubiläums der Geburt und des 15. Jahrestages der BRDigung des ersten realsozialistischen Staates auf deutschem Boden fordern sie frischweg, einen »Forschungsbeirat für Fragen der Wiedererrichtung der DDR« ins Leben zu rufen. Da ein ostdeutscher Separatstaat allerdings infolge der nach 1990 erfolgten Kolonialisierung und zielstrebigen Zerstörung einer eigenständigen Wirtschaftsbasis nicht lebensfähig wäre, treten sie dafür ein, die wiederzuerrichtende DDR auf das gesamte Bundesgebiet auszudehnen.
Wie zu erfahren und nicht anders zu erwarten war, stieß dieser Vorstoß in höchsten politischen Kreisen auf helle Empörung und entschiedene Ablehnung. Während der BDI-Vorsitzende Jürgen Thumann allein schon in der Idee einer Wiedererrichtung der DDR den Untergang des Abendlandes zu erblicken meinte, lehnte der Noch- und Wieder-Gern-Kanzler Gerhard Schröder sie ohne Wenn und Aber ab, es sei denn, so ließ er durchblicken, er würde zum Staatsratsvorsitzenden auf Lebenszeit gewählt. Wahlverliererin Angela Merkel ließ verlauten, daß sie all ihre als FDJ-Sekretärin und erfolgreiche Studentin in der UdSSR sowie im CDU/CSU-Ränkespiel gewonnenen Fähigkeiten aufbieten werde, um das Projekt zum Scheitern zu bringen. Guido Westerwelle erklärte, daß für seine Partei, die ansonsten für jeden Scherz zu haben sei, bei einer solchen Idee der Spaß aufhöre. Edmund Stoiber schließlich drohte gar mit der staatlichen Spaltung und der Wiedererrichtung eines souveränen Königreiches Bayern mit Edmund dem Ersten an der Spitze.
Der überaus heftige Widerstand der Berliner Spitzenpolitiker und des Münchner Landesherrn wird noch verständlicher, wenn man bedenkt, daß die Initiatoren des DDR-Wiederherstellungsforschungsbeirates – wie aus ersten Arbeitsthesen hervorgeht – als Ausgangspunkt für die Bestimmung der staatlichen und gesellschaftlichen Grundlagen der neuen Republik die Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 ins Auge gefaßt haben, die sich laut ihrer Präambel »das deutsche Volk... von dem Willen erfüllt, die Freiheit und die Rechte des Menschen zu verbürgen, das Gemeinschafts- und Wirtschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu gestalten, dem gesellschaftlichen Fortschritt zu dienen, die Freundschaft mit allen Völkern zu fördern und den Frieden zu sichern«, gegeben hatte. Darüber hinaus soll der neue Forschungsbeirat darauf orientiert werden, dieses Grundgesetz mit wesentlichen Normen aus der DDR-Verfassung vom 6. April 1968 in der Fassung vom 7.Oktober 1974 zu ergänzen. Gedacht sei dabei vor allem an Artikel 12, in dem es in Absatz 1 hieß: »Die Bodenschätze, die Bergwerke, Kraftwerke, Talsperren und großen Gewässer, die Naturreichtümer des Festlandsockels, Industriebetriebe, Banken und Versicherungseinrichtungen, die volkseigenen Güter, die Verkehrswege, die Transportmittel der Eisenbahn, der Seeschiffahrt sowie der Luftfahrt, die Post- und Fernmeldeanlagen sind Volkseigentum. Privateigentum daran ist unzulässig.«
Um das Eigentümerbewußtsein in den volkseigenen Betrieben, dessen weitgehendes Fehlen wesentlich zum Untergang der Ur-DDR beigetragen hat, zu stärken, seien, so die Thesenverfasser, zukünftig die Wechselbeziehungen zwischen gesamtgesellschaftlichem Eigentum, Selbstverwaltung (nach Marx: die »Assozierung unmittelbarer Produzenten«), zentraler Planung und Marktgesetzen so zu gestalten, daß individuelle und gesellschaftliche Interessen immer aufs Neue in Übereinstimmung gebracht werden können. Details, so heißt es in den Arbeitsthesen, bedürften einer weiteren gründlichen Untersuchung.
Als grundfalsch wird die frühere Verfassungsnorm über die führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse bezeichnet, da sie zu »Schiefheiten« (Rosa Luxemburg) und zum Niedergang der Demokratie führte. Ersetzt werden soll sie durch einen Passus, mit dem ein System mehrerer absolut gleichberechtigter Parteien etabliert werden soll, die in demokratischen Wahlen miteinander konkurrieren, aber verpflichtet sind, die sozialistischen Gesellschaftsgrundlagen anzuerkennen und zu schützen. Versuche jeglicher Art, ausbeuterische kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse zu restaurieren, sollen unter Strafe gestellt werden.
Als kleines Zugeständnis an notorische Hasser des 1989/90 untergegangenen Staates soll in den Thesen die Bereitschaft bekundet werden, den zu schaffenden Staat notfalls nicht »DDR«, sondern »GDR«, also »Gesamtdeutsche Demokratische Republik«, (nicht zu verwechseln mit der russischen Übersetzung, »Germanskaja Demokratitscheskaja Respublika«, aber auch nicht mit der englischen, »German Democratic Republic«) zu nennen.
Entsetzen und Zorn der sogenannten politischen Klasse rief gleichermaßen die in den Arbeitsthesen bekundete Absicht hervor, in der neuen DDR zumeist nach dem Vorbild der ersten
für alle Bürgerinnen und Bürger das Recht auf Arbeit durch eine gerechte Aufteilung des gesellschaftlichen Arbeitsvolumens und eine Verkürzung der Arbeitszeit zu gewährleisten;
die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben zu beenden und die Spanne zwische niedrigstem und höchstem Einkommen von gegenwärtig 600:1 auf 7:1 zu verringern;
den Abriß intakter Wohnungen so lange einzustellen, bis der letzte Obdachlose mit menschenwürdigem Wohnraum versorgt ist;
eine Gemeinschaftsschule für alle Kinder bis zum 10. Schuljahr einzuführen und soziale Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung, Kultur und Sport zu sichern;
die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens zu beenden, die Zahl der Krankenkassen radikal zu verringern und mittels einer einheitlichen Sozialversicherung die Zweiklassen-Medizin abzuschaffen;
neonazistische Organisationen zu verbieten und die Verbreitung von faschistischen und rassistischen Gedankengut zu unterbinden
und schließlich die Personendossiers des Bundesverfassungsschutzes nach dem Muster der MfS-Akten zur Einsicht freizugeben und alle Geheimdienste aufzulösen.
In der Tat, allein schon die unvollständig wiedergegebenen Zielvorgaben machen die heftige Reaktion der jetzt noch Regierenden und derer im Wartestand verständlich. So ist es auch nicht verwunderlich, daß das Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit dem Bundesverfassungsschutz eine Sonderfahndung nach den Beiratsinitiatoren eingeleitet haben soll. Um eine neuerliche Verschleuderung von Steuergeldern zu vermeiden, erkläre ich an dieser Stelle ausdrücklich, daß diese namentlich noch unbekannt sind, obwohl ich ihr Anliegen, ich gestehe es, für nachvollziehbar halte.
Erschienen in Ossietzky 20/2005
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