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Wem nützt Demoskopie?
Volker Bräutigam
In der ZDF-Sendung heute-journal vom 23. September stellte Moderator Klaus Peter Siegloch (bei dem man sich stets fragt, ob er gleich grienen oder greinen wird) nur fünf Tage nach der Bundestagswahl schon wieder mit treuherzigem Augenaufschlag die »Sonntagsfrage«. Als Antwort ließ er die Behauptung zu: »Wenn heute Bundestagswahl wäre, dann würde es im Parlament erneut keine eindeutige Mehrheit für eine Regierungsbildung geben.« Es folgten, dargeboten von der Leiterin der Hauptredaktion Innenpolitik, Bettina Schautzen, Zahlen und Prozentangaben: CDU/CSU 38 Prozent, SPD 35 Prozent, Grüne, FDP und Linkspartei jeweils acht Prozent.
Schamlos. Noch kaum zwei Wochen zuvor hatten ZDF und ARD irreführend behauptet, die CDU werde mit 41 bis 43 Prozent abschneiden, die FDP mit kaum sieben – und am Wahlabend waren es kaum mehr als 35 für die Union und fast zehn für die FDP.
Demoskopen erfassen nicht nur ein vermeintlich wahrscheinliches Wählerverhalten, mit ihren pseudowissenschaftlich interpretierenden Aussagen beeinflussen sie es auch. Schon deshalb sollten seriöse Journalisten auf Nachrichten aus dem Bereich der Demoskopie verzichten. Aber Fernsehen, Hörfunk, Zeitungen und Zeitschriften machen weiter wie bisher und stellen nicht klar, um was es sich eigentlich handelt: um eine mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit bemäntelte Wahrsagerei.
Den von der Demoskopie behaupteten »repräsentativen Querschnitt« gibt es nicht. Die langjährige Chefin des Allensbach-Instituts, Elisabeth Noelle-Neumann, hat einmal bekannt, daß sie von ihren Mitarbeitern Wahlumfragen manipulieren ließ, um im Sinne der CDU das Wahlverhalten zu beeinflussen. Der Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes wurde das in einer verkommenen Öffentlichkeit kaum verübelt.
Wer nur 1200 Telefonbesitzer (bei mehr als 60 Millionen Wahlberechtigten) befragt, kann wohl einmal einen Zufallstreffer erzielen, regelmäßige repräsentative Ergebnisse jedoch nicht. Die Schwankungsbreite auf derart schmaler Datenbasis beträgt, wie jeder Sozialempiriker weiß, bis zu sechs Prozent. Ein Journalist, der auf sich hält, kann so dürftig fundierte Vorhersagen nicht veröffentlichen.
Frank Thadeusz (ARD) fragt auf der Internet-Seite tagesschau.de: »...wem nützt die Demoskopie, wenn sie unverläßliche Daten liefert?« Die Antwort hätte er sich selbst geben können: Sie nützt zum Beispiel jenen, die ein Interesse daran haben, daß die Linkspartei klein- und die C-Parteien großgeschwätzt werden.
Zur Ablenkung von eigenen berufsethischen Defiziten dreschen viele Journalisten derzeit auf Demoskopen wie Richard Hilmer (Infratest dimap) oder Manfred Güllner (Forsa) wegen deren Fehleinschätzungen ein. Das macht, so glauben sie wohl, Selbstkritik überflüssig. Es tut ja immer gut, auf Mitschuldige am eigenen Versagen zu zeigen.
Aber die Meinungsforschungsinstitute tun, was in unserer Wirtschaftsordnung hoch geschätzt wird: Geld verdienen, und zwar so viel wie möglich. Alle, von Allensbach bis emnid, von Infratest dimap bis Forsa, manipulieren, bezeichnen das als »Interpretieren von Erhebungsergebnissen« und lassen sich ihre fragwürdige Arbeit teuer bezahlen. Auftraggeber der Demoskopen sind unter anderem die öffentlich-rechtlichen Sender, die sich dafür zahlungskräftige Kompagnons in der Privatwirtschaft gesucht haben. Die ARD kooperiert regelmäßig mit dem Stern, das ZDF mit Bild. Wer die Musik (mit)bezahlt, (mit)bestimmt bekanntlich auch die Melodie. Der Dumme ist in diesem Fall der irregeführte Rundfunkgebührenzahler.
Bei tagesschau.de ist zu lesen, laut Hilmer seien die Wähler immer gebildeter, daraus erkläre sich ihr »schwankendes Abstimmungsverhalten«. Die Veröffentlichung von Prognosen habe, so Hilmer, keinen Einfluß auf das Wahlverhalten – als würden sich nicht viele BürgerInnen gern im Mainstream bewegen. Daß Millionen täglich Bild und wöchentlich Focus kaufen und verfetteten Multimillionären wie Helmut Markwort lauschen, zeigt ihre Verführbarkeit.
Renate Köcher (Allensbach) hat, wie Thadeusz in tagesschau.de meldet, angesichts unsicherer Prognosen bereits erwogen, die Erhebungspraxis des Instituts zu ändern. Und Forsa-Chef Güllner rate davon ab, mit Prozentangaben hinter dem Komma zu arbeiten. Solche Werte seien unseriös.
Nur solche Werte und nicht die gesamte Branche? Nicht auch und vor allem ein Journalismus, der sich der Demoskopie bedient?
Erschienen in Ossietzky 20/2005
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