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Yasukuni-Schrein bei Mittenwald
Ulrich Sander
Hierzulande gehört es zum Allgemeinwissen, daß der ehemaligen Hitler-Verbündete Japan bei der »Aufarbeitung der Vergangenheit« Nachholbedarf hat. Als am 15. August zum 60. Male des Tages gedacht wurde, da Japan kapitulieren mußte, standen manche deutsche Zeitungen wieder voll davon: Abermals hätten Ewiggestrige, aber auch höchste Politiker Japans den Yasukuni-Schrein aufgesucht, wo nicht nur die japanischen Opfer des Krieges, sondern auch 14 höchstbelastete Kriegsverbrecher geehrt werden.
So etwas sei in Deutschland nicht denkbar, wird dann selbstgerecht in vielen Medien suggeriert. Doch während um den 8. Mai 2005 herum unsere politische Klasse offenbar die Weltmeisterschaft in der Gedenkkultur anstrebte, hatten die Militärs unseres Landes, an ihrer Seite auch Minister Peter Struck (SPD), ganz anderes im Sinn: die Ehrung von Kriegsverbrechern. Wie eh und je.
Zwar haben wir hier keinen Yasukuni-Schrein, aber immerhin doch den Hohen Brendten, einen Berg bei Mittenwald (Oberbayern), wo im Mai dieses Jahres die Gebirgsjäger aus den Kriegen von 1939 bis heute wieder ihrer Toten gedachten. Die Opfer von kriminellen Einsätzen dieser Truppe in Süd- und Osteuropa aus den Jahren 1941 bis 1945 blendeten sie aus. Sie ehrten zugleich höchstbelastete Kriegsverbrecher, so die lebenden und toten SS-Polizisten und Judendeporteure aus der Gebirgstruppe, die Generäle Dietl, Kübler, Lanz, Schörner, Thilo und andere. Unter deren Kommando hatte die Truppe fürchterliche Massaker verübt. Doch der Minister und die höchste bundesdeutsche Generalität ließen wie schon in den vergangenen Jahren Kränze am Brendten-Ehrenmal niederlegen, sie ließen Militärpfarrer beider Konfessionen beten, Trommeln rühren, das Lied vom Guten Kameraden erklingen, das Gebirgsmusikkorps Märsche schmettern – und Kritiker fernhalten.
Mit gewaltigem Polizeiaufgebot wurden Antifaschisten von der Kriegsverbrecherehrung und auch von jenen Veteranen abgeschirmt, die – wie die anwesenden SS-Männer – bei den Massakern selbst Hand angelegt hatten. Ungeachtet der Enthüllungen, wer da Jahr für Jahr geehrt wird, ließ der Minister vor einigen Wochen versichern, daß »die Brendtenfeier fest in das Traditionsbewußtsein der Gebirgstruppe verwurzelt und in der Region um Mittenwald hoch geachtet ist und daß eine Beteiligung von Angehörigen der Bundeswehr auch künftig stattfinden wird« (Die Gebirgstruppe 4/05).
Während die Justiz auch dieses Jahr nicht den Hinweisen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten und des Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege nachging, daß am Hohen Brendten Festnahmen mutmaßlicher Täter möglich wären, ging sie gegen Friedens- und Antifa-Demonstranten vor – die aber mit Sicherheit, sooft dieses Spektakel noch stattfindet, wiederkommen werden, um publik zu machen, wie sich dort die vor nunmehr 50 Jahren von ehemaligen Wehrmachtsgenerälen geschaffene Bundeswehr selber demaskiert.
Dieses Jubiläum wurde an etlichen Orten gefeiert, in Bochum zum Beispiel. Hier warb die Bundeswehr mit viel Spaß und Action für ihre bewaffneten Einsätze – für den Krieg eben. Selbstverständlich war nichts zu vernehmen über die Vergangenheitsbewältigung der Truppe, die auch die Ehrung von Kriegsverbrechern einschließt.
Wie in Mittenwald zu Pfingsten begab sich die Bundeswehr in Bochum mit ihrer Fangemeinde in einen »Militärischen Sicherheitsbereich«, in dem Unbefugten der Zutritt verboten ist; für den Fall der Übertretung dieses Verbots wurde »Schußwaffengebrauch« angedroht. Doch während solche Warntafeln in Mittenwald am Rande bundeswehreigenen Geländes angebracht waren, stellte die Bundeswehr sie in Bochum auf dem Kirmesplatz an der Castroper Straße auf. Eine derartige Okkupation eines öffentlichen, kommunalen, den friedlichen Bürgern gehörenden Platzes war neu. Neu auch die Absicht, die Schulhöfe mit Waffen und Panzern zu betreten und zu befahren, um der Jugend das Kriegführen nahezubringen. Erfreulicherweise machte keine Schule von solchen Angeboten Gebrauch. Aber die Öffentlichkeit bekam einen Vorgeschmack davon, was es heißen kann, den militaristischen Plänen, die Bundeswehr verstärkt auch im Innern einzusetzen.
Kurz danach war Dortmund an der Reihe. Nur weil vor über 100 Jahren ein Zechenherr auf die Idee kam, ein Bergwerk nach dem preußischen General Scharnhorst zu benennen, versuchten eine Woche vor der Bundestagswahl SPD und CDU in trauter Gemeinsamkeit einen militaristischen Traditionsrummel im Stadtteil Dortmund-Scharnhorst zu begründen. Sie holten sich dafür Minister Struck als Redner, der den Begründer der Verteidigungsarmee Gerhard von Scharnhorst zum Ahnherrn der heutigen Angriffsarmee Bundeswehr zu machen versuchte. Die »Reform« der Bundeswehr bezeichnete er ehrlicherweise als »Transformation« vor allem mittels Auslandseinsätzen, wobei er sein Wort von der »Verteidigung am Hindukusch« bekräftigte und erläuterte: »Die Erweiterung des Aufgabenspektrums bringt es jedoch mit sich, daß der Soldat der Bundeswehr auch dann in den Einsatz geht, wenn in Deutschland tiefster Friede herrscht. Der Staatsbürger in Zivil und der Staatsbürger in Uniform sitzen im Einsatzfall eben nicht mehr in einem Boot – dies stellt zweifellos eine gravierende Veränderung in der Geschichte Deutschlands und der Bundeswehr dar.« Sodann warb Struck für die Unterstützung der neuen transformierten Bundeswehr durch die Bevölkerung: »Um so mehr bedarf der Soldat im Einsatz, auch in fernen Regionen, des Rückhalts der Gesellschaft zu Hause.«
Zu diesem Zweck brachte Struck zum »Scharnhorst-Volksfest« auch gleich ein Musikkorps der Bundeswehr und allerlei militärisches Gerät mit. Und in Köln wurden Ende September der Vorplatz des Doms und der Dom selbst zur Rekrutenvereidigung genutzt –mit einem Zeremoniell wie einst unter Wilhelm II. und Adolf Hitler.
Erschienen in Ossietzky 20/2005
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