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Ich habe keine Lust, wenn ich das lesen will, jedesmal mühsam die einzelnen Seiten in ihrer Reihenfolge zu sortieren.« Elisa ging wortlos aus dem Zimmer. Ich wollte in der Broschüre lesen. Aber meine Brille war verschwunden. Verschwunden konnte sie natürlich nicht sein. Sie lag irgendwo. Aber schon Karl Valentin bemerkte: »Irgendwo! Freilich liegt's irgendwo – aber wo – wo ist irgendwo?« Ich suchte eine Weile. Wie lange, könnte ich nicht sagen, weil ich auch meine Uhr irgendwo hingelegt hatte, aber man muß ja nicht alles mit der Uhr in der Hand erledigen, und ich bin schon lange entschlossen, mich nicht zum Sklaven des unerbittlichen Zeigers machen zu lassen. Also ich fand die Brille (sie hatte sich in ihrem Etui versteckt) und las: »Wo ist meine Brille? Ein wissenschaftlicher, aber im lockeren, menschlichen Ton verfaßter Ratgeber für alt und jung über Fragen und Probleme im Zusammenhang mit dem Abbröckeln des menschlichen Gedächtnisses. Von Kurtrudolf Prupe-Ohlenz, Diplom-Psychologe an der Städtischen Seelsorgerei in Seckingen an der Trompete, und Gerlind Grappa, Freie Bewußtseinsgestalterin und Hochsee-Anglerin II. Grades, Fichtelberg.« Das versprach lehrreich zu werden, natürlich im lockeren, menschlichen Ton, den wir alle sehr schätzen, besonders wenn er im Fernsehen von Carmen Fliege oder Pastor Nebel ausgeübt wird. »Zur Einführung. Auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, ist es vielleicht schon einmal passiert, daß Sie nachts auf Ihren Balkon traten, um sich ein Glas Wasser zu holen, und zu Ihrer nicht geringen Verblüffung feststellen mußten, daß sich neben dem zusammengerollten Sonnenschirm und den Blumenkästen weder ein Glas befand noch ein Wasserhahn! Erst später wurde Ihnen bewußt, daß Ihnen Ihr Gedächtnis einen kleinen Streich gespielt hat, aufgrund dessen Sie den Balkon mit der Küche bezi mit der Badestube verwechselten. Da heißt es Obacht geben! Klopft vielleicht Dr. Alois Alzheimer aus dem früheren Breslau schon mit der nach ihm benannten Krankheit an Ihre Gehirntür? Zunächst einmal müßten Sie alles aufschreiben, wenn Sie nachts auf dem Balkon...« Elisa, du willst mich wohl veralbern! Wo bist du überhaupt? Sie ist nicht im Zimmer! Nicht auf dem Balkon, nicht in der Küche, nicht im Bad, nicht im Bett. Das kann doch nicht wahr sein! Ich suche sie in der Speisekammer... Endlich klingelt sie an der Wohnungstür. »Ich habe Dir doch gesagt, daß ich noch Zwiebeln holen muß!« Nichts hat sie mir gesagt, kein Wort! »Aber erkläre mir, was ich mit dieser Broschüre anfangen soll! Ich weiß doch, daß an unserem Sonnenschirm kein Wasserhahn dran ist, aber Du scheinst vergessen zu haben, daß ich gar kein Wasser trinke, außer nach Abführtabletten. Du solltest diese Broschüre lesen, denn Du vergißt fast immer, wo beispielsweise... jetzt komme ich nicht drauf... Deine Schlüssel sind! Stimmt's?« »Reg Dich nicht auf, Liebling, sagt sie, »meine Schlüssel sind da, wo sie hingehören: am Schlüsselbrett.« Da sind sie aber nicht. »Wenn ich Zwiebeln holen muß, nehme ich natürlich meine Schlüssel mit!« »Und warum hast Du dann an der Tür geklingelt?« »Weil ich die Schlüssel zum Aufmachen erst aus der Handtasche... ähm... und wegen der Zwiebeln... Zwiebeln in der Handtasche! Sonst noch was? Ich hatte gar keine Handtasche mit. Das hab ich doch gleich gesagt.« Wir gehören nun wirklich nicht zu den Menschen, die sich gern streiten; wir lieben die Harmonie, Elisa und ich. Besonders ich. Und daher schlage ich, um diese Sache aus der schnöden Welt zu schaffen, meiner lieben Freundin vor, die ärgerliche Aufklärungsschrift »Wo ist meine Brille?« von Kurtrudolf Prupe-Ohlenz und Gerlind Grappa nicht länger im Haus zu behalten. »Wir könnten sie doch dem lieben Kutte schenken«, sagt Elisa, »der würde das nicht übelnehmen.« Ein guter Vorschlag. Dem Kutte könnte die Broschüre wirklich von Nutzen sein. Er ist so zerstreut, daß er seinen Hund Alkibiades schon mal in der Kneipe vergessen hatte und danach vierzehn Tage lang im Garten suchte, bis ihm Alki endlich von dem freundlichen Fahrer eines Paket-Autos wieder zugestellt wurde. Doch leider ließ sich der Vorschlag nicht verwirklichen. Wir haben das kleine Buch überall gesucht. Aber es war nicht zu finden, weder in meinem Papierkorb noch in Elisas Zwiebelbeutel, nicht auf dem Dachboden und nicht bei Hempels unterm Sofa. Jemand muß die Broschüre geklaut haben. Jemand, den es überhaupt nicht gibt.
Erschienen in Ossietzky 19/2005 |
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