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Den unterprivilegierten Kindern und Jugendlichen Ausbildung und damit Selbstbewußtsein zu geben, haben sich Restrepo und die Französin Marie France Delieuvin zur Aufgabe gemacht. Zum Finale inszenierte Restrepo für seine jungen Tänzer das »Cuarteto para el Fin del Cuerpo« nach Olivier Messiaens »Quartett für das Ende der Zeit«. Uraufführung des Quartetts war im Januar 1941 im Stalag VII Görlitz, wo Messiaen es als Kriegsgefangener komponiert hatte. Den Instrumenten Piano, Violine, Cello und Klarinette sind nun Tänzergruppen zugeordnet, die sich im quadratischen Rahmen bewegen. Der Bühnenboden, ein Bild für das Eingesperrtsein. Masken nehmen die Individualität. Zahlenkombinationen auf dem Rücken der Tänzer signalisieren Fixpunkte der Geschichte: 1492, 1789, 1914, bis hin zum 11. September. Die Daten werden zugedeckt mit Jacken, Gefängniskleidung. Das äußere Quadrat durchwandert der jeweilige Machthaber, dem ein goldener Königsmantel und ein großer Zirkel (oder Uhrzeiger) verliehen werden. Insignien der Gewalt, immer weitergegeben. Der Zeitmesser wird langsam zur Krücke, zum Joch, das niederdrückt, einzwängt. Eine Veränderung findet statt, die Tänzer, ihrer selbst bewußt geworden, legen die Masken ab, bewegen sich frei, in Zweiergruppen, einer auf den anderen angewiesen, aufbauend. Der Engel der Apokalypse, der das Ende der Zeit verkündet, wie von Messiaen vorgesehen, steht vorn als kleine Bronzefigur. Stille. Nur das Metronom tickt wie zu Beginn. * Ein Choreographenpaar aus Frankreich, Françoise und Dominique Dupuy, beide über 80 Jahre alt, begeistern das Publikum. Sie stellen den Hamburgern den 1904 gleich nebenan im Arbeiterbezirk Barmbek geborenen Hans Weidt vor, den »roten Tänzer«. Er, der einst vor den Nazis nach Frankreich floh, kehrte nun mit der Aufführung seines Werkes »Vielles Gens, vieux Fers« (Alte Leute – Altes Eisen) symbolisch zurück. Die Dupuys sind Schüler des »Arbeitertänzers«, der 1988 starb. In den Zwanziger Jahren arbeitete er nebenher als Gärtner oder im Hafen, um überleben zu können. Seine Tänze und Inszenierungen drücken in expressionistischer Form genau das aus, was er damals erlebte: die bedrückende Lage der Arbeiter. Auch er nahm die Maske als künstlerisches Mittel. Erschreckend direkt, wenn eine Gruppe zerlumpter Gestalten mit verhärmten Gesichtern an der Rampe steht und ins Publikum starrt, nur dasteht und uns anstarrt – durch die Maske. Dazu Lieder von Ernst Busch und Klavierstücke. Später werden die Gesichter hinter den Masken sichtbar. »L´Estran«, ein 40-Minuten-Stück für zwei Tänzer, eine alte Frau, die sterben will, und ihren Sohn, der dadurch in die zwiespältigsten Gefühle getrieben wird, geht zurück auf eine japanische Legende. 2005 von Dominique Dupuy für seine Frau und für den jungen Wu Zheng geschaffen. Sie tanzen am Rande des Meeres, an diesem Ort der Einsamkeit, sie ihre letzten Stunden, er in Verzweiflung hilflos. Sie faltet umständlich weiße Tücher, die Lebensjahre, zusammen. Er trägt sie auf den Schultern wie einen Engel. Sie steht auf einem Stein, ruft, kein Ton kommt von den Lippen. Sie ist allein, niemand hört das Schweigen ihres Mundes. Sehr viel Beifall für die Tänzerin und ihren jungen Partner. * Von Deutschland nach Frankreich zog, lange nach Hans Weidt, auch Ilka Schönbein. Sie reist mit dem Wohnwagen herum, weil sie die Atmosphäre in Hotels haßt, sagt sie. Die Tänzerin, Figurenspielerin, Regisseurin und Schöpferin ihrer Menschen-Puppen kommt vom Straßentheater her. Ein Wort, das in Deutschland abwertend klingt. Was sie auf Kampnagel mit ihrem »Theater Meschugge« präsentierte, ist ein sehr deutsches Stück, auch wenn eine der Mitwirkenden Französisch spricht. Auf deutsch hört man, gesungen von einem Countertenor, Schuberts »Winterreise« mit Wilhelm Müllers Text. Kein Klavier begleitet, sondern ein Akkordeon. Sie tanzt, spielt, verwandelt sich auf offener Drehbühne in viele Figuren gleichzeitig. Wo endet ihr Körper, wo fängt der fremde eigene an? Ihr Gesicht, aufgespalten in viele Gesichter, die wie sie aussehen oder doch anders? Die Liedertexte wirken in dieser Verfremdung ganz neu und gar nicht gefühlsselig. Was Ilka Schönbein schafft, braucht keine Worte, die Bilder, Gesten schreien lauter, brennen sich ein. Ein Spiegel, ein Fensterkreuz, das zum Gefängnis wird. Beine, die ihre nicht mehr zu sein scheinen, laufen weg und bleiben doch stehen. Sie beugt sich über ihr Gesicht, die abgestreifte Haut. Das Bett ist eine schräge Fläche, keine Geborgenheit – Abgrund. Sie, die Schwangere, trägt in sich ein fremdes Wesen, Wechselbalg, das sie aus dem Bauch schneidet mit riesiger Schere. Schmerztanz mit blutigen Händen. Sie wird zur Krähe, Totenvogel, der sie bedroht. Romantik trägt Grausamkeit als Samen in sich. Eine Bettlerin kommt, düngt den Boden, spricht mit ihm. Aber was sie ausgießt, ist Blut. Was wächst? Am Ende ein Kinderschlitten, ein Kind darauf mit blutigem Kopf, wie gerade geboren, mit dem Körper Ilka Schönbeins. * Aus Frankreich auch Claude Brumachon und Benjamin Lamarche und ihre Truppe von 18 Tänzern mit dem Stück »Le Festin«, eine Deutschlandpremiere. Die Zuschauer sitzen sich im Quadrat gegenüber wie an langen Tischen. Serviert werden die Tänzer zu mittelalterlicher und japanischer Musik, zu Henry Purcell, Phil Glass und Vogelstimmen. Ein seltsames Sicheinverleiben der Körper findet auf den Tischen statt, hautnah vor dem Publikum. Nicht Sex – Zärtlichkeit und animalische Kraft, Erotik der Andeutungen. Da werden Körper brutal auf die Bretter geworfen. Dann wieder ganz sanfte Bewegungen. Nichts ist vorhersagbar. Der schnelle Wechsel irritiert. Mal sind alle inmitten der Tische wie ein Fleischhaufen ineinander verkeilt, dann tanzen sie gemessen wie in einem Ritual. Durch Wegnehmen von Tischplatten entstehen Zellen, nur die Hände strecken sich heraus. Wir hören Schweinequieken und Freßgeräusche. Ein Tanz mit Gabeln. Die Körperlichkeit bedrängt, man kann nicht entfliehen – und will es auch nicht, wie durch einen Zauber gebannt. * Nicht Tanz, sondern Performance vom LOT Teatro aus Peru als Europapremiere in einer fensterlosen kargen Halle. Carlos Cueva interpretiert mit seinem Stück »Materia Material« den Körper als Objekt, die Dinge gewinnen ein eigenständiges Leben – für die drei Akteure. Sie eignen sich Textfragmente eines deutschen autistischen Künstlers an: »Ich will kein inmich mehr sein.« Der Computer als Hilfs- und Ausdrucksmittel für die gefesselte Sprache ist miteinbezogen. Auf dem Bildschirm erscheinen tropfenweise Wortfetzen, wir hören sie gleichzeitig in Spanisch und sehen die verzweifelten Versuche, auszubrechen aus dieser Halle, die Tür ist durch eine Mauer versperrt – Versuche, eine Leiter zu erklimmen, um nie oben anzukommen. Lucia de Maria im dunkelroten steifen Seidenkleid hängt dort zwischen Himmel und Erde wie ein Blutstropfen. Will das eingekapselte Leben spüren, sich mit Wasser begießen, die Hände waschen ohne Ende. Sie sitzt mit geschwärztem Gesicht vor einem Spiegel aus Backsteinen. Auch Backsteine, die unbelebte Materie, werden gewaschen oder zerschlagen, weil ihre Sicherheit und Härte trügt. Die Absurdität der Handlungen gewinnt Logik durch den psychischen Zustand, das Rebellieren gegen das, was als normal und etabliert gilt. Ich notiere den Satz, ohne Stocken gesagt: »Wie ist es, in einem Sozialsystem zu leben, das dich für immer für verrückt erklärt?«
Erschienen in Ossietzky 19/2005 |
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