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Wann ist er denn endlich hinüber? erklang der Baß meines Onkels Otto, der dringend aufs Feld hinaus mußte, seine Frau, meine Tante Maria, zwickte Karlchen in die Nase, daß er mit den Augenlidern flatterte, als wär da 'n Vogel, der fliegen lernt. Es wurde Ostersonntag und Karlchen immer unruhiger, bis er gar sich aufzurichten beschloß, obwohl die anwesenden Klageweiber heftig protestierten. Karlchen ist tot, Jesus lebt, erklärte Norbert, ihr Gruppenführer. Alles vergeblich, Karlchen saß kerzengerade im Bett, tafelte und erklärte sich für frischgeboren. Am Morgen des folgenden Tages wurde Karlchen verboten und abgeholt. Er verschwand spurlos, und alle seine Enkel wurden neu eingekleidet, gingen brav zur Schule sowie in die Kirche und kannten den Großvater nicht mehr. Es begann die opalose Zeit. Man durfte noch nicht mal von Karlchens Tod sprechen, denn das bedeutete ja, er habe gelebt. Es sollte ihn nie gegeben haben. Zu Himmelfahrt war Karlchen wieder da, saß im Bette und winkte jedem in alter Lebensfreude zu. Natürlich war alles schon immer so gewesen. Keiner hatte an ihm gezweifelt, ihn etwa verleugnet – Karlchen, unser Stammvater, lebte, Jesus war tot. Gekreuzigt hing er in den Beinhäusern herum. Onkel Norbert, ein Großmäulchen, das ewig von Karlchens Ende herumgetönt hatte, fiel vor seinem Bett auf die Knie und leistete den neuen Sozial-Eid. Inzwischen hatten die Stamokaps die Macht übernommen, sich mit den Caprifischern zusammengetan und Karlchens Fortleben für möglich und sogar wünschenswert erklärt. Rom kündigte eine Denkschrift an, der Innenminister formulierte ein Ausnahmegesetz, wonach das Überleben bei überragenden Verdiensten gestattet sei, die Opposition beharrte auf der Verbindlichkeit des Todes, Ausnahme Gott, der aber nun Karel hieß und in Prag auf dem Hradschin residierte, wogegen Frau Steinbohm aus Frankfurt an der Faz aufs schärfste protestierte. Bei uns im Haus wurde es beinahe feierlich. Aus aller Herren Länder erschienen Abordnungen, die Karlchen ehrten, Orden ablieferten, Geschenke auspackten, ewige Treue schworen. Die Mitglieder unserer Familie nahmen an Gewicht zu, erhielten Titel, Doktorhüte und Posten, es war fast wie zu Zeiten Napoleons, du gehst abends als armer Schlucker zu Bett, und morgens wachst du als König von Neapel samt beider Sizilien auf. Natürlich bringen Familienglück und großes Ansehen auch Neider in Scharen mit sich. Man nannte uns höhnisch Heilige Familie, so stand's in Leitartikeln und sogar in der Scherbe, dem Kotzbrockenblatt für gehobene Stände. Das war, als unser Karlchen noch Karl hieß und sich der Haushaltshilfe näherte, woraus Peter entsprang, den Karl nicht legitimieren konnte, weshalb Peterchen in eine längere Trotzperiode geriet, derbe Flüche artikulierte und mit Steinen um sich schmiß wie die wilde Brunhilde. Das wurde damals alles übertrieben dargestellt, Karl galt als Höllenfürst, der an die zehntausend Weiber aufs Kreuz gelegt hatte wie George Simenon. Es hieß, Karls Hauptwerk, seine Bibel sozusagen, sei nichts als ein übler Krimischinken. Vor so viel bösartiger Feindpropaganda schlossen wir uns eng zusammen und armierten das Haus mit zeitgenössischen Wurfgeschossen. Zuletzt blitzte hinter jedem Fenster eine High-Tech-Wunderwaffe. Das waren die Jahre, in denen berichtet wurde, unser Karl wolle alle Mädchen und Frauen sowie die Goldbarren der ganzen Welt vergemeinschaften, den Adel samt Neureichen zur Hölle schicken und sich zum Kaiser krönen lassen, siehe Napoleon, der Bonaparte. Wahr ist hingegen, Karlchen verdonnerte uns alle zum friedlichen Gutmenschentum, am weitesten brachte es Peter, unser Illegitimer, der die früher geschleuderten Steine wieder einsammelte und für die wilden Kerle aus Übersee als General, genannt Widukind, drei Kriege führte, bis er sich stark genug fühlte, sie im vierten Krieg übern großen Teich in ihr Schlaraffenland zurückzutreiben. Er brachte es, wie wir wissen, bis zum heutigen Kaiser von Europa. Nun könnte jetzt alles in bester Ordnung sein, doch Kaiser Peter verübelt unserem Karlchen noch immer seine Illegitimität und betreibt verbissen dessen baldiges Ende. Wir mußten neulich ein Dokument unterzeichnen, aus dem hervorging, daß Peter nie etwas mit uns zu schaffen gehabt habe. Weil fortan ständig Späher ums Haus schlichen, ließen wir unser Karlchen endlich doch noch dahinscheiden. Das ging durchaus mit rechten Dingen zu, ganz wie in anderen guten Familien. Es gab ein prächtiges Staatsbegräbnis, die riesige Trauergemeinde weinte unserem vielverleumdeten Karlchen Tränenströme nach. Ich sagte es bereits, Karlchen zu beerdigen fiel nicht schwer. Wir hatten es ja schon mehrfach geübt. Als es geschafft war, sorgte Bild für einen Skandal mit der Meldung, das Grab sei leer, Karlchen nicht gestorben und stattdessen nach China, Nordkorea oder in andere Schurkenländer exiliert. Onkel Norbert behauptete gestern im Christiansen-Talk, Karlchen sei doch tot, Jesus lebe, nur glaubt keiner mehr dem Giftzwerg, weil der sich ja auch für die Sicherheit der Renten verbürgt hatte. Ein Politiker eben. Ich als außenpolitischer Sprecher unserer Heiligen Karlchenfamilie verlautbare hingegen verbindlich: Vierzigmal geht die Sonne nach Karfreitag auf und wieder unter, und fertig ist die Himmelfahrt. In Rom wird, wie zu hören ist, Karlchens Heiligsprechung vorbereitet. Er muß nur vorher noch dem Kommunismus abschwören. Zu Weihnachten wird er dann neugeboren. Wir freuen uns schon drauf. Hosianna. Am nächsten Karfreitag kann er stilgerecht wieder ein wenig gekreuzigt werden. Seine vorläufige Wiedergeburt aber steht seit dem 22. 8. 05 fest, da erschien der so konter- wie kryptorevolutionäre Spiegel mit einem sympathischen Foto auf dem Cover. Der Text dazu: »Ein Gespenst kehrt zurück – die neue Macht der Linken«. Ihr werdet es kaum glauben: Vom Titel blickte uns tatsächlich unser Karlchen an, die Finger zum Victory-Zeichen gespreizt. Ist das eine Aufregung um die allerneueste Auferstehung.
Erschienen in Ossietzky 19/2005 |
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