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Eva ihrerseits verweist mit ähnlicher Geste auf die listige Schlange, den Teufel, der sich im Baum versteckt. So haben sie beide jemanden, der sie verführt hat, auf den sie ihre Schuld abwälzen können. Und ein Fabelwesen, ein »Untier« bleibt übrig als Verkörperung des Bösen. An diese Darstellung mußte ich denken, als ich das Titelblatt des Spiegel vom 29. August dieses Jahres sah: Eine zur gefährlichen Giftschlange mutierte Äskulap-Natter, der die Geldscheine aus dem Maul flattern, weil sie nicht genug von ihnen bekommen kann, windet sich um ein Skalpell. Dieses angsterregende Tier sollte eine Titelgeschichte über »das Geschäft mit überflüssiger Medizin« illustrieren – zum Beispiel etwa 400 000 weitgehend sinnlose Kniearthroskopien pro Jahr in Deutschland und andere Behandlungen, deren Haupteffekt ist, daß die Kasse klingelt. Der Äskulapstab ist das Standeszeichen der Mediziner. Wenn der Spiegel es verfremdet, um die Geldgier von Ärzten zu karikieren, so kann ihm nicht vorgeworfen werden, den ganzen Berufsstand diffamieren zu wollen. Satire und Karikatur arbeiten nun einmal mit Vergröberungen und Zuspitzungen. Sie dürfen alles, fast alles. Problematisch wird es erst da, wo die Beutelschneiderei der »Halbgötter in Weiß« dafür herhalten muß, von einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung abzulenken, in der Geld und Gewinn oberste Werte sind, und sei es als »Schnäppchen« für jedermann. Das ist nämlich der Sinn auch der heftigsten Angriffe gegen die Verfehlungen einzelner und einzelner Gruppen, solange sie nicht mit der nüchternen Analyse der Verhältnisse verknüpft werden, die solche Verfehlungen erst ermöglichen. Kapitalistenschelte ersetzt niemals die notwendige Kapitalismusanalyse. Nun könnte man meinen, die Schlange auf dem Spiegel -Titelblatt symbolisiere doch gerade dieses Allgemeine, Abstrakte oder sei wenigstens ein Hinweis darauf. In der Tat steht sie in einem assoziativen Zusammenhang mit vielen anderen Bildern des »Raubtierkapitalismus«, die in den letzten Jahren in den Medien auftauchten. Als weiteres Beispiel sei eine Karikatur betrachtet, die am 29. Juli im Teil »Finanzmarkt« der FAZ erschien. Man sieht einen Herrn im dunklen Anzug, vermutlich Unternehmer, der auf der Erdkugel steht, einen Käfig geöffnet hat und mit dem Ausruf »fass!« und einer entsprechenden Armbewegung eine Riesenschlange, auf deren Leib »Globalisierung« zu lesen ist, auf einen nicht zu sehenden Gegner oder Konkurrenten hetzen will. Der Kopf der Schlange, die sich um die Welt gewunden hat, ist aber bereits wieder im Rücken ihres »Herrn« angekommen und bedroht diesen mit aufgerissenem Maul. Die Moral der Karikatur: Die Globalisierung frißt ihre Betreiber. Wer den Geist aus der Flasche, die Schlange aus dem Käfig, die Bestie von der Leine läßt, darf sich nicht wundern, wenn sie ihn überwältigen. Beim Betrachter kommt Schadenfreude auf, aber kaum Erkenntnis. Denn die Globalisierung ist keinesfalls als die bewußte oder fahrlässige Freisetzung von Ungeheuern zu begreifen, gleichsam das Öffnen der Büchse der Pandora, sie muß vielmehr als das aktuelle Stadium der weltweiten Kapitalverwertung verstanden werden, als ein dem Bewußtsein und der Kontrolle der meisten entzogener Wirtschaftsmechanismus. Deshalb wird sie in den herrschenden Medien und von Parteivertretern der »Mitte« ständig auch als unausweichlicher Sachzwang bezeichnet, dem man sich schlicht zu beugen habe. Wenn nun ausgerechnet im Wirtschaftsteil der FAZ eine solche Karikatur dazu erscheint, dann geschieht das in der Absicht, ein Ventil für die Ängste zu öffnen, die auch den deutschen Manager im scharfen Wind der internationalen Konkurrenz überkommen können. Ansonsten wird in dieser Karikatur die Globalisierung wie üblich mystifiziert, als Un- oder Raubtier nämlich, also quasi als etwas Naturgegebenes. Die Schlange stellt ein Ergebnis der Evolution dar, während der globale Kapitalismus, den sie symbolisieren soll, eine von Menschen gemachte, veränderbare Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist. Die Schlange könnte man allenfalls wieder in den Käfig sperren, wenn sie nicht längst zu groß für ihn wäre. Soziologie und Biologie werden in solchen Bildern systematisch miteinander vermengt oder verwechselt. Das hat den Sinn, Soziales als Natürliches erscheinen zu lassen. Die Hintergrundideologie ist der Sozialdarwinismus, weit verbreitet und populär. So wird über Führungskräfte der Wirtschaft als »Alpha-Tiere«, einen Typus wie Schröder als »political animal«, über den Kapitalismus als »Naturgesetz« und über die Gesellschaft als »Dschungel« geredet, in dem gelte: »Fressen oder Gefressenwerden«. Auch die Werbung packt den Tiger längst nicht mehr nur in den Tank, sondern in edle Kleidung und vornehmes Ambiente. Von dieser zynischen oder rechtfertigenden Metaphorik ist ein kritischer Gebrauch manchmal ähnlicher Bilder zu unterscheiden. Wenn Linke vom »Wolfsgesetz« der kapitalistischen Konkurrenz sprachen und John Heartfield in seinen politischen Montagen der 1920er Jahre den Imperialismus als Bestie darstellte, dann sollte das zur Warnung dienen und zum Widerstand mobilisieren. Die heutigen Bilder und Redeweisen vom »Raubtierkapitalismus« bewirken dagegen nur Abstumpfung durch Gewöhnung. Kein Wunder, daß sich die Medien ihrer so gerne bedienen. Sie spiegeln vor, eine bestimmte Form oder ein neues Stadium des Kapitalismus zu bezeichnen. Weil es sich um einen unklaren, emotionalisierenden Begriff handelt, kann sich ihn die Neue Rechte zunutze machen, um der Globalisierung ihren nationalen Kapitalismus oder Pseudo-Sozialismus als etwas scheinbar Besseres entgegenzusetzen. Andere benutzen ihn, um ihre Illusionen von einem durch ein paar politische Maßnahmen gezähmten Haustierkapitalismus zu propagieren.
Erschienen in Ossietzky 19/2005 |
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