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Sie wollen die vielen armen, zumeist alten AOK-Patienten oder die immer zahlreicheren durch Gewalterfahrungen verstörten Frauen nicht allein lassen und die von zu Hause abgehauenen 15-Jährigen nicht endgültig dem Strich und der Drogenkriminalität ausliefern. Sie machen weiter, obwohl ihre Arbeit ihnen oft vergeblich erscheint, die Erkrankungen zunehmen, die Gewalt der ausgerasteten Männer gegen die körperlich schwächeren Frauen immer bedrohlichere Formen annimmt und junge Menschen ohne Perspektive auf immer raffiniertere Weise in Drogenabhängigkeit und Prostitution gezwungen werden. Die drei Gewährsleute klagen fast übereinstimmend darüber, daß sich der Staat als Sozialstaat weit und weiter zurückzieht: Der Landarzt kennt kaum noch Feierabend oder Freizeit, aber die Honararüberweisungen der Krankenkassen sinken. In Leipzig werden Jahr für Jahr die Zuschüsse der Stadt für Frauenhäuser und Beratung gekürzt, die Stadtverwaltung spielt eine Einrichtung gegen die andere aus und verweist auf das drohende Haushaltsdefizit. Die Mitarbeiter im Hamburger Jugendhilfe-Verein mußten in zwei Jahren 120 000 Euro einsparen, immer weniger Stunden pro jugendlichen Klienten werden noch bewilligt. Bei allen Dreien kommen Zweifel auf, wie lange sie diese Selbstausbeutung wohl noch durchhalten. »Du strampelst dich ab … und die ziehen dir den Boden unter den Füßen weg«, sagt der Mann aus Hamburg stellvertretend für alle. Genau an diesem Punkt aber wehrt der Autor der auf den ersten Blick gutrecherchierten Reportage eine weitergehende Analyse und Kritik an der herrschenden Politik der Sozialstaatszerstörung ab. Zwar zitiert er noch einige systemkritische Äußerungen seiner InterviewpartnerInnen, etwa die Anklage, daß Behörden den Idealismus der engagierten MitarbeiterInnen wohl bewußt einplanten. Oder die Andeutung, daß »die Politik« immer häufiger auf »Weg-schließen« statt auf Sozialarbeit setzt. Er fragt aber nicht nach, weshalb denn Politik und Verwaltung die Ausgaben für Soziales immer stärker drosseln. Wozu auch? Für den Spiegel ist ja schon im Untertitel der Überschrift »Die Kunst der Sozialklempner« die Antwort gegeben: »Sozialstaat schrumpft, weil er soll und muß«. Basta! Stattdessen betätigt sich Kaiser als Motivforscher im Seelenhaushalt dieser etwas exotisch wirkenden »Sozialklempner«, die ihr altruistisches Engagement nicht aufgeben wollen. Hatte die Beraterin aus Leipzig noch gesagt, daß es ihr auch darum gehe, »Sand im Getriebe« zu sein und darauf hinzuweisen, daß »hier etwas im Argen liegt« und »sich etwas ändern muß«, will der Autor des Westblatts Spiegel verstanden haben, daß sie vom Sozialstaat wohl nur deshalb nicht lassen könne, weil dieser ihr Möglichkeiten eröffnete, »die der sozialistische Staat ihr verwehrte«. Ganz ähnliche Beweggründe – Wunsch nach Verwirklichung eigener Vorstellungen, Suche nach Anerkennung und Selbstbestätigung – will der Hobbypsychologe auch bei den beiden anderen ausgemacht haben. Seine Diagnose über diese immer noch sozial Engagierten lautet: »Je enger die Spielräume werden, desto größer wird ihre Aufgabe. So sorgt der Sozialstaat selbst in seiner Schwäche für sie. Er gibt ihnen, was die Menschen, um die sie sich kümmern, nicht mehr haben: Das Gefühl gebraucht zu werden.« Merkt dieser sich wissend gebende Autor nicht, wie arrogant und zynisch seine Sätze für die Interviewpartner klingen müssen? Oder ist es ihm gleichgültig? Selber im neoliberalen Mainstream schwimmend, gibt er sich geradezu generös, wenn er nach seiner Diagnose das Urteil spricht: »In einem Staat, der sich immer weniger leisten kann, mitfühlend zu sein, bewältigen sie immer größere Aufgaben mit immer weniger Geld. Sie reiben sich auf, und wie der Sozialstaat, an den sie glauben, stoßen sie an ihre Grenzen.« Demnach handelt es sich hier um drei arme Irre, die immer noch an einen Sozialstaat glauben, der längst dem Absterben geweiht ist und sie mit in den Untergang reißen wird – statt daß sie endlich aufwachen in der neuen Welt des von allen sozialen Schranken befreiten Kapitalismus, wo jeder für sich kämpfen muß und Mitleid mit den Opfern nicht mehr vorgesehen ist. Der Verfasser fragt nicht danach, wer verfügt hat, daß der Sozialstaat schrumpft. Wer »den Politikern« den Auftrag gibt, das Soziale am Staat zu schleifen. Wer das Sollen und Müssen und »Es gibt keine Alternative« gebietet – wo es doch einzig darum geht, die Reichen noch reicher zu machen mittels möglichst hoher Profitraten und Kapitalakkumulation? Wenn 2004 das nominale Bruttoinlandsprodukt der BRD um 50 Milliarden Euro höher ausfiel als im Jahr zuvor, warum mußten dann Lohnrate und Staatsquote weiter sinken? Kein Wort darüber. Er könnte auch nach den Ursachen für zunehmende Krankheitsraten und für Gewalteskalation im familiären Nahbereich oder nach den Motiven vagabundierender Kinder und Jugendlicher fragen. Doch für den Spiegel -Autor sind das keine lohnenden Fragen, er redet lieber von »Grenzen« und betet die Glaubenslehre vom Sollen und Müssen nach. Kann er nicht anders oder darf er nicht? Ich fürchte, beides trifft zu – nicht nur für diesen zufälligen Autor, sondern für geschätzte 95 Prozent der auf dem Meinungsmarkt Tätigen. Tag für Tag stellen sie so in ihrer Glaubensblindheit die neoliberale Hegemonie sicher.
Erschienen in Ossietzky 19/2005 |
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