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UmverteilungDie SPD-Wahlkampfzentrale erteilt ihren Parteigenossen Nachhilfe: »Zehn Gründe, warum die Linkspartei/PDS die falsche Wahl für unser Land ist« sind dort zu erfahren. Nehmen wir einen heraus – den, der die materiellen Sorgen der BürgerInnen betrifft: »Die Linkspartei/PDS streut den Menschen Sand in die Augen. Sie tut so, als sei das Umverteilen großer Geldsummen erstens möglich und würde zweitens die Probleme unseres Landes meistern. Beides ist aber falsch.« Einspruch zu Erstens. Die SPD-geführte Bundesregierung hat doch bewiesen, daß Umverteilung in großem Stil möglich ist. Auf 100 Milliarden Euro schätzen Finanzfachleute die Summe, die in den vergangenen vier Jahren durch die Steuerpolitik der Bundesregierung den großen Kapitalgesellschaften zugeschoben wurde. Das zweite Argument allerdings trifft zu – in dem eben erwähnten Fall. Die rot-grüne Umverteilung von unten nach oben hat in der Tat die Probleme unseres Landes nicht gemeistert. Arno Klönne
Miegel hofft auf die GrünenProfessor Meinhard Miegel ist einer der Vordenker für die Demontage des Sozialen an der Marktwirtschaft. Nun macht er sich Gedanken darüber, welche Parteien denn bereit sein könnten, weitere »schmerzhafte Eingriffe« in die sozialstaatlichen Errungenschaften »mitzutragen«. Nach der Bundestagswahl, versteht sich; denn was jetzt propagandistisch unters Volk gebracht wird, muß man ja nicht ernstnehmen. Miegel setzt erst einmal auf die FDP, das liegt nahe. Aber welche Partei kommt noch in Betracht für »schmerzhafte Eingriffe«? Ob Frau Merkel den »Mut dazu« aufbringe, ist für Miegel »ungewiß«. Und wie »reformbereit« eine SPD »nach Schröder« sein werde, bleibe abzuwarten, da seien »Zweifel angebracht«. Auf etwas längere Sicht setzt Miegel Hoffnungen auf eine andere Partei: »Die Grünen könnten sich von den beiden derzeitigen Regierungsparteien als die Zukunftoffeneren erweisen.« Die Zukunft – das ist für Miegel die Marktwirtschaft pur. Peter Söhren
KontrasteWarum das Fernsehen immer langweiliger werde, fragte der stern eben in einer Titelstory, zu Recht – mit einer Ausnahme. Für die sorgte gerade wieder mal Phoenix . Mit seiner Life-Übertragung der Wahlparteitage von Linkspartei/PDS und CDU lieferte der Informationskanal nicht nur ein Beispiel anschaulicher Staatsbürgerkunde, sondern bescherte auch einige kurzweilige Stunden vor der Glotze – sofern kurzweilig dafür der richtige Ausdruck ist. Jedenfalls waren es zwei für sich selbst sprechende Kontrastprogramme. Auf der einen Seite angewandte Demokratie für mündige Bürger, auf der anderen ein Showspektakel nach US-amerikanischem Vorbild. Bei der Linken ernstgenommene Delegierte, die über das Wahlprogramm auch streiten und Gegen- oder Zusatzanträge zur Abstimmung bringen konnten, bei den Konservativen ein Sachfragen ausklammerndes Jubelritual zur Krönung einer Kanzlerkandidatin mit Pop-Umrahmung. Für Letztere war der fast mit DDR-Volkskammer-Prozenten gewählte Generalsekretär Volker Kauder verantwortlich. Zum Titel »We are the champions« seiner Lieblingsgruppe Queens rühmte ein für die Wahlkampfauftritte von Schröders Herausforderin angeheuerter Moderator seine Arbeitgeberin als »Hoffnung, Lösung und Zukunft Deutschlands«. Auch sonst fielen bei den Huldigungen manch eigenwillige Verbalkonstruktionen auf. Etwa wenn Edmund Stoiber seiner Rivalin attestierte: »Die Menschen schenken ihr nicht nur das Vertrauen, sie vertrauen ihr auch.« Merkels Ost-Experte, Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus, unterschied einmal »in den neuen Ländern und in Deutschland«, und die Junge Union jubelte auf einer ihrer Spruchtafeln: »Wir werden Bundeskanzlerin!« Dazu paßte, wie die Gefeierte eines ihrer Regierungsziele rühmte: »50 Euro Rentenbonus für jedes Kind: das ist eine Revolution!« Überhaupt kontrastierten die langweilenden Worthülsen aus der Dortmunder Westfalenhalle mit den konkreten, jenseits gewohnter Politikerphrasen auch mal menschlich anrührenden Reden auf dem Berliner Parteitag der Linken. Wenn Lafontaine dabei eine Brücke zu Hans Modrow schlug, spürte man, daß dies mehr war als ein geschickter taktischer Schachzug, um auch altes SED-Personal für sich zu gewinnen. Die Stärke der beiden linken Spitzenkandidaten liegt in ihrer Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit, die sie gerade auch mit dem bewiesen, was Gegner ihnen immer wieder vorwerfen: daß sie nicht an ihren Sesseln klebten. Lafontaine und Gysi verbreiteten eine Aufbruchsstimmung, wie ich sie seit 68 nicht mehr empfunden habe. Die Reaktion der Medien ließ nicht auf sich warten. Zwei Tage nach dem Parteitag verbreitete Report Mainz nach einem Beitrag über das hohe Wählerpotential der Linken im Osten Verschwörungstheorien über die Vereinnahmung der WASG durch die PDS und gab die Parole aus: »Wer Oskar Lafontaine wählt, wählt auch alte Stasi-Seilschaften.« Lothar Bisky begründete die gegnerischen Diffamierungen richtig mit dem »Futterneid, daß wir gleich zwei charismatische und populäre Redner aufzubieten haben, denen nicht alle konkurrierenden Schlafpillen gewachsen zu sein scheinen«. Bestätigt wurde das in Dortmund, wo einige CDU-Ministerpräsidenten dem nichts als müde Witzeleien entgegenzusetzen hatten. Des Saarländers Peter Müller Einfall, es sei »nicht auszuschließen, daß Lafontaine ein Sohn von Erich Honecker sei«, rief selbst bei Wolfgang Schäuble nur ein gequältes Lächeln hervor. Und natürlich sorgte auch Edmund Stoiber für den sonst so gern der Linken bescheinigten Populismus, wenn er von einer angeblichen grünen Forderung sprach, den Tag der deutschen Einheit abzuschaffen, aber Mohammeds Geburtstag zu feiern, und postulierte: »Wir brauchen ein nationales Wir-Gefühl!« Dem trug zuletzt das gemeinsam gesungene Deutschlandlied Rechnung, gefolgt von der neuen CDU-Hymne »Angie«, deren Titel auf zahllosen orangenen Plakattafeln die Dortmunder Halle beherrschte. Den Rolling Stones sollte man daraus allerdings keinen Vorwurf machen. Heinz Kersten
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Was macht der Herr Papa?Der sogenannte Hl. Vater wird in einem eigens konstruierten Papamobil befördert, aus dem er auf die ihm huldigenden Menschen herabsehen kann. Einen speziellen Papaeroplan gibt es noch nicht, obwohl die katholische Obrigkeit wohlhabend genug ist, um so ein Fluggerät bezahlen zu können. Mein Papa erholte sich in einer selbstgebastelten Wochenendlaube mit umliegendem Gemüsegarten zu Berlin-Buchholz. Die Hl. Väter erholen sich in ihrer bescheidenen Sommerresidenz in Castel Gandolfo; dort steht auch, damit sie mit dem Himmel kommunizieren können und stets über die Wetterlage in den Gefilden der Engel informiert sind, das Vatikanische Observatorium. Der Papst ist kein Nichtstuer. Die Hl. Väter sind rund um die Uhr mit der Darbietung komplizierter Zeremonien und Zeremonielle beschäftigt. Das dicke amtliche Buch der katholischen Kirche, welches sämtliche Anweisungen für feierliche Gottesdienste umfaßt, heißt »Caeremoniale«. Katholische Geistliche, die Liturgien einstudieren und leiten, werden »Zeremoniare« genannt. Man erinnere sich an die schrecklich genaue szenische Beschreibung päpstlichen An-, Um- und Auskleidens, die Brecht im »Leben des Galilei« gegeben hat. Auch Hl. Väter haben es nicht immer leicht und verdienen ein bißchen Respekt! Freund Bennie, der manchmal das Gras wachsen und sogar den Sender Klassik-Radio hört, vernahm auf dieser Welle in den Mittagsnachrichten des 18.8.05: »In wenigen Minuten trifft Papst Benedikt XVI. auf dem Flughafen Köln-Wahn ein. Bundespräsident Köhler und Bundeskanzler Schröder stehen bereits Spalier.« Vielleicht haben die beiden Spalierständer in Erwartung Seiner Heiligkeit das alte Studentenlied »Was macht der Herr Papa?« angestimmt. Felix Mantel
Rolf Becker liest das ManifestViele Menschen waren sich nach der Wende 1989 sehr sicher, daß das Gespenst des Kommunismus endlich auf dem Schrotthaufen der Geschichte zu ewiger Ruhe gekommen sei. Jetzt können sie eines Besseren belehrt werden. Dank der sonoren Stimme des Schauspielers Rolf Becker ist es ganz sinnlich wiederauferstanden. Nicht etwa aus Ruinen wurde es wieder zum Leben erweckt, sondern aus einem Text von Marx und Engels. Mit diesem Hörbuch gelingt es innerhalb von achtzig Minuten, jedem an der Gesellschaft interessierten Menschen die Entstehung des Kapitalismus ebenso wissenschaftlich wie verständlich zu erklären. »Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt.« Das hört sich ganz aktuell an. »Globalisierungskritiker« erhalten hier Einblick in die ökonomischen Zusammenhänge und erkennen die inneren Widersprüche des Industriekapitalismus, aus denen die modernen Klassenkämpfe resultieren – bis hin zu den Streiks bei Opel in Bochum 2004. Auf einer zweiten CD dieses Hörbuchs liest Rolf Becker eine Einführung, die Eric Hobsbawm 1998 anläßlich des 150. Geburtstags des »Manifest« geschrieben hat. Hier räumt der britische Historiker mit der Vorstellung auf, der Kapitalismus sei quasi wie ein Naturgesetz zum Untergang verurteilt. Für die Autoren des »Manifest« sei der Mensch selbst Schöpfer seiner gesellschaftlichen Geschichte, erklärt er. Und das Vergangene müsse, um verstanden werden zu können, »von Menschen freigeschaufelt werden«. So ist das natürlich auch mit dem Hörbuch. Man muß es sich beschaffen und muß die Disketten ins Abspielgerät einlegen, damit die Ohren zwei Stunden unterhaltsame und lehrreiche Signale ans hungrige Gehirn senden können. Jürgen Meier Karl Marx/Friedrich Engels: »Das Kommunistische Manifest« jnd Eric J. Hobsbawm: »150 Jahre Kommunistisches Manifest«, geleden von Rolf Becker, Argument-Verlag, 19,90 €
Vom ScheiternEin junger Lehrer sagt: »Ich will nur nicht lügen müssen.« Der Minister antwortet streng: »Sie wollen nicht nur die Welt verbessern, sondern auch dieses Land, das das Beste ist, was wir je hatten,« und bekräftigt mit diesem Vorwurf die Entscheidung: Berufsverbot. Der Lehrer, der nicht nur seinen Beruf verliert, sondern auch seine Lebensgefährtin, entflieht nach Griechenland. Ein Freund, Betriebsratsvorsitzender in einer Stahlfirma, fährt ihm nach, um ihn zurückzuholen. Damit scheitert der Freund, der zudem am Ende der Reise erfährt, daß er selber inzwischen entlassen worden ist; seine Betriebsratskollegen haben mehrheitlich der Kündigung zugestimmt. Zuvor hatte er sich als »Rädelsführer« eines »wilden Streiks« beim geschäftsführenden Vorstand der IG Metall eine strenge Rüge abholen müssen; nicht einmal einen Sitzplatz hatten ihm die Spitzenfunktionäre seiner Gewerkschaft angeboten. Beklemmende Szenen von immer neuen Niederlagen der Linken in der Bundesrepublik schildert Erasmus Schöfer in seinem 1986 erschienenen Roman »Tod in Athen«, der jetzt, eingefügt in die Tetralogie »Die Kinder des Sisyfos«, nur leicht geändert unter dem Titel »Sonnenflucht« wieder erscheint. Und keine dieser Szenen wirkt veraltet, nichts ist historisch erledigt, im Gegenteil: Das Scheitern ist noch mehr als damals zum Thema und Trauma vieler Linker geworden. Schöfer läßt seinen Protagonisten, den Lehrer Bliss, Fragen notieren wie: »Ist es so, daß die arme Macht der Befreiung von unten, wenn sie zur Tat drängt, die überlegene materielle Macht der Herrschenden anspornt, steigert, zu immer größeren und schnelleren Leistungen der Unterdrückung und Vernichtung herausfordert, in einer von uns nicht erwarteten Dialektik der Zerstörung unserer humanen Vorhaben und Hoffnungen? Eine Zerstörung, die uns auch in den schon befreiten Gebieten wieder einholt? Hat sich der Gang der Geschichte umgedreht?« Auch die griechische Geschichte und Gegenwart, in die sich Bliss vertieft, bieten keinen Trost, sondern schreckliche Beispiele eines Terrors von außen und innen, der tiefe Verstörung bei den Linken hinterläßt. Und so gibt es auf keine der von Bliss gestellten schmerzlichen Fragen tröstende Antwort. Aber Teilnahme am Schicksal der Opfer. Und Erbitterung über die Täter. Dieser Realismus findet sich in der Gegenwartsliteratur äußerst selten. Gerade darum ist es gut, daß Schöfers auch formal und sprachlich gelungener Roman wieder vorliegt. Eckart Spoo Erasmus Schöfer: »Sonnenflucht«, Ditt-rich Verlag, 345 Seiten, 19,80 €
Auf Wiedersehen im HimmelDie am meisten wußten, schwiegen am längsten: die Zugehörigen des Personals der St. Josephspflege in Mulfingen, katholische Schwestern, der Pfarrer, die Lehrerin und wer sonst zu der Kleingruppe gehörte, die im Mai 1944 Zeugen oder Mitwisser des Abtransports der 39 Kinder gewesen waren. Auf Verlangen hatten sie ihre Schützlinge der Gestapo ausgeliefert. Den Kindern haftete ein Fehler an. Ihre Eltern, von denen man sie getrennt hatte, waren Sinti, befanden sich in Konzentrationslagern; manche waren bereits umgebracht worden. Bevor die Kinder – ältere von ihnen, die Unheil ahnten, zwangsweise – in den Bus gesetzt wurden, war allen unabhängig von ihrem Alter die Heilige Kommunion verabfolgt worden. Gesorgt wurde, daß sie ordentlich gekleidet und gekämmt auf die Fahrt gingen; die Schwestern täuschten ihnen vor, es handle sich um einen Ausflug. Die geringen Mark- und Pfennigbeträge, ihre Ersparnisse, ihnen vorher gegen Quittungen noch ausgehändigt, würden sie brauchen, damit sie sich unterwegs Erfrischungen kaufen könnten. Ordnung mußte herrschen – in den Akten der St. Josephspflege. Das Ziel des »Ausflugs« war Auschwitz. Vier der Kinder überlebten. Sie waren als arbeitsfähig eingestuft worden. Vor 18 Jahren hat Johannes Meister an entlegenem Ort, in der heute nicht mehr existierenden Zeitschrift 1999 , die Geschichte der Sintikinder aus Mulfingen erzählt. Dann fand Michael Krausnick Angela Reinhardt, die Tochter eines Sinti und einer »arischen« Mutter, die in jener Kindergruppe gelebt hatte, dem Transport in das Vernichtungslager aber durch einen Zufall entging. Der in Heidelberg lebende Autor traf die damals 66jährige in Süddeutschland, wo sie am »Rande des Existenzminimums« lebte. 2001 publizierte er ihre Geschichte. Der Band ist jetzt als Taschenbuch erschienen. Mag auch von manchem Detail schwer zu glauben sein, daß es bereits zum Wissen der Kinder gehört haben kann, an der Authentizität dieses Berichts ist nicht zu zweifeln. Er gehört in die Hand von Lehrern und in jede Schulbibliothek. Sein Titel ist einer Postkarte entnommen, die ein anderes Opfer, ein vierzehnjähriger Junge, zuvor in einem Kinderheim in Pirmasens aufgewachsen, noch auf dem Transport nach Auschwitz schrieb. Ihr Text schließt mit den Worten: »Grüße an alle Kameraden. Auf Wiedersehen im Himmel.« Kurt Pätzold Michael Krausnick: »Auf Wiedersehen im Himmel. Die Geschichte der Angela Reinhardt«, Arena Taschenbuch Verlag, 175 Seiten, 6.50 €
Exilgeschichte in BriefenStefan Zweig war eine europäische Instanz. Von seinem Haus in Salzburg aus korrespondierte er mit den geistigen Größen seiner Zeit. Sein Leben war Lesen und Schreiben, Denken und Entwerfen, Geschichte durchforschen, geistige Verwandte finden. Er brauchte Bibliotheken und Archive, anregende Gespräche mit Freunden. Autographen waren seine »Aktien«, ein Konzert mit einem großen Dirigenten sein »event«. – Aber Zweig war sensibel und weitsichtig genug, um gleich 1933 die Gefährdung zu erkennen und das Ende zu ahnen. Er reiste, war oft in London, suchte Verbündete – aber manche, die mit seiner Mitarbeit rechneten, wies er ab, zum Beispiel Klaus Mann. Weil es doch letztlich um Politik ging, mied der »freie Geist« Bindungen, ließ sich nicht vereinnahmen, verlor Freunde, die erste Ehe zerbrach. Er wollte seinem Credo treu bleiben, blieb auf lange eine Instanz für Rat- und Hilfe-Suchende, nur gegen die eigene Verlorenheit wußte er kein Mittel als das erlösende Gift. Der letzte Band seiner Korrespondenz ist ein spannendes und erschütterndes Zeugnis, ein wichtiger Teil Exilgeschichte. Zweig ging von England 1941 noch nach Brasilien, blieb trotzdem der erfolgreiche Schriftsteller, dessen Biographien, Miniaturen und Novellen guten Absatz fanden. Aber er schrieb, um die Depressionen zu bekämpfen, um die bohrenden Fragen der Zeit für Stunden aus seinem Kopf zu verdrängen. Neben der Arbeit an meist mehreren Projekten gleichzeitig schrieb er in jenen Jahren täglich um die 15 Briefe, selten in eigener Sache. Sein Freitod erschütterte viele Emigranten, denen es oft materiell schlechter ging. Doch der große Europäer sah in seinem Wirken keinen Sinn mehr. Europa war ein Schlachtfeld, auf dem Barbarei herrschte, und Bibliotheken, wie er sie brauchte, waren in Brasilien rar. Seine Welt war untergegangen. Christel Berger Stefan Zweig: »Briefe 1932–1942«, her-ausgegeben von Knut Beck und Jeffrey B. Berlin, S. Fischer, 815 Seiten, 46.90 €
Press-KohlTom Mustrophs Bericht über eine Ausstellung der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin, der einen ebenso zugluftigen und feuchten Eindruck macht wie das Akademie-Gebäude selbst, erzählt auch etwas über »bezaubernde Rekonstruktionen der Vergangenheit«. Der Artikel in der Zeitung Neues Deutschland heißt »Mit den Pfunden wuchern«. »Die bezauberndste Rekonstruktion der Vergangenheit gelang allerdings dem Aktionskünstler Hans Winkler. In den Archiven stieß er auf den verschollenen Vater von George Grosz und Wieland Herzfelde. Der Industriellensohn Franz Herzfeld, Künstlername Franz Held, schloß sich Künstler- und Anarchistenkreisen in Europa an. Seine Bücher wurden 1895 in Deutschland wegen angeblich gotteslästerlicher Inhalte verboten. Held, seine Frau und die vier Kinder zogen sich auf eine Berghütte in den Alpen zurück. Die Eltern verschwanden...« Der Vater verschwand offenbar in einem Keller am Pariser Platz, damit der Aktionskünstler Winkler dort 100 Jahre später auf ihn stoßen konnte und der Journalist Mustroph uns ausplaudern durfte, daß Helds fünftes Kind sich George Grosz nannte. Wieland Herzfelde (gestorben 28.11.1988) war ein kontaktfreudiger Mensch, der sehr gut erzählen konnte, auch über seine Herkunft und sein Le-ben. Wir kannten ihn gut. Er hat niemals davon gesprochen, daß Grosz, den er schätzte und liebte, sein Bruder war. Er hat das gar nicht gewußt. Und Mustroph hat er natürlich nicht mehr kennen gelernt. (Glücksfall.) * »Helmut Böttiger schreibt einmal im Monat über alles, was Leben und Literatur verbindet.« Kürzlich schrieb er im Tagesspiegel : »Franz Fühmann... war einer der großen, unbestechlichen Schriftsteller aus der DDR... Berühmt wurde sein Roman-Essay über den von der Gesellschaft geschnittenen expressionistischen Dichter Ernst Trakl...« Berühmt war Franz Fühmann auch vorher schon – durch Werke, die Böttiger nicht nennt, weil er sie nicht kennt. Fühmann hat nie einen Roman-Essay über den Dichter Ernst Trakl geschrieben, weil es nie einen Dichter Ernst Trakl gab. Eine wichtige Fühmann-Arbeit heißt »Der Wahrheit nachsinnen – viel Schmerz«. Es ist eine sehr schöne Auswahl aus Trakls Gedichten, Dramenfragmenten und Briefen. Der zweite Band enthält Fühmanns großen Aufsatz »Gedanken zu Georg Trakls Gedicht« (Leipzig 1981, Verlag Philipp Reclam jun.). Was aber ein Roman-Essay sein könnte, bleibt vorerst ein Tagesspiegel -Geheimnis. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 18/2005 |
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