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Sind doch das Mittelschiff, die Seitenflügel, die Empore und sogar die Krypta des ausgedienten Gotteshauses bis zum letzten Stellplatz vollgestopft mit… nichts als Schließgerät aus reichlich drei Jahrtausenden! Die Besichtigungstour beginnt in der Antike. Zwischen Opferstock und Mittelschiff der miniaturisierte Nachbau einiger Labyrinthe, deren kreuz und quer durch das Innere von Pyramiden führende Gänge und Sackgassen Grabschänder in die Irre führen sollten. Vergebens! Zu üppig die Wegzehrung, die dem verblichenen Herrscher auf die ungewisse Reise in das Reich der guten und der bösen Geister beigegeben wurde. Zu verführerisch das viele mit den Toten eingeschlossene Gold. Zu groß die Klugheit und die Gier der Räuber… Neben diesen vermutlich frühesten Tresoranlagen der Menschheitsgeschichte die ersten europäische Sperreinrichtungen, archaisch aus rohen Eichenbohlen gezimmert, vielleicht gerade gut genug, frühmittelalterlichen Bauernhausrat vor ziemlich dummen Dieben zu bewahren. Zwei Säulen und zweihundert Jahre weiter das erste Schloß aus Eisen. Handgeschmiedete, handgefeilte Schließmechanik, kiloschwere Eisenschlüssel, mit denen sich notfalls auch ein Hund erschlagen ließe, alles noch etwas ungeschlacht, doch zweifellos schon sehr robust. Den eigentlichen Durchbruch dieser Art von Sicherheitstechnik brachte freilich erst die Renaissance, die 20 Schritte weiter, nahe am Altar, beginnt. Ab dort gilt: Small is beautyful. Und auch sicherer. Subtile stählerne Federspiele, Zünglein, Fingerchen und Häkchen, oftmals kunstvoll ziseliert und vor allem: immer schwieriger zu durchschauen, wie sie ineinandergreifen. Zunehmend pfiffiger ihr Zusammenspiel, dazu verborgene Alarmsysteme – Versuche, sie zu überlisten, wären höchst riskant. Erweckt doch schon der kleinste falsche Handgriff Schnarrmaschinen, Klingeln oder Ratschen zu infernalisch lautem Eigenleben. Selbst gegen Nachschlüssel sind inzwischen manche dieser Spitzenprodukte frühbürgerlicher Paranoia und Verlustangst schon immun. Besonders sichere Schlösser erschließen sich fortan nur noch solchen Schlüsseln, deren zackenreiche Bärte erst mit einem Schlüsselöffner-Schlüssel aufgeschlossen werden müssen... Kaum erfunden, sind indes auch diese Ausgeburten stürmisch wachsender Notwendigkeit, möglichst vieles möglichst gründlich wegzuschließen, überholt. An ihre Stelle rücken elegante Sekretäre, Truhen und Kommoden, deren sekrete Fächer sich fortan nur noch dem erschließen, der bestimmte Zierbeschläge am richtigen Ort und in der richtigen Reihenfolge drückt. Und – wenn sie glücklich aufgesprungen – in ihnen das geheime Hebelchen ertastet, das ihm den Zugang auch zum topsekreten innersten Geheimfach freigibt. Darin sollen nicht nur Gold und Silber, sondern auch Papiere, bedruckte wie von Hand beschriebene, politisch explosiven als auch rein privaten Inhalts, vor unerwünschtem Zugriff sicher sein. Hohen Herren, die viel unterwegs sind, stehen von nun an außerdem gewichtige Panzerkisten zur Verfügung. Das höchste Qualitätsmerkmal dieser Urväter aller Diplomatenköfferchen mit Nummernschloß: fingierte Schlüssellöcher! Die geschickt kaschierten richtigen liegen hinter falschen Griffen und verschiebbaren Holmen. Es geht gegen Mittag. Noch immer bin ich der einzige Besucher der absonderlichen Sammlung. Ihr Wärter schnarcht unweit des Opferstocks auf einem Betstuhl. Neben ihm die ausgelesene Zeitung. Vor einer dieser Kisten stehend, die sich nur per Knopfdruck öffnen lassen, kann ich der Versuchung, mich ein bißchen diebisch zu betätigen, nicht länger widerstehen. Nach einem kurzen Blick zum Schläfer drücke ich aufs Geratewohl bald die eine, bald die andere der blank polierten Messingnieten des Behälters. Als nichts geschieht, versuche ich es mit je zweien zugleich, dann mit dreien über Kreuz und schließlich noch mit jeder vierten, doch noch immer tut der Kistendeckel keinen Wank. Wie viele Kombinationen gibt es bei abgezählten 118 Nieten? Ich beginne zu rechnen, komme auf eine achtstellige Zahl, glaube, mich verkalkuliert zu haben, rechne noch einmal, komme auf ein noch verrückteres Ergebnis und gebe auf. Heilfroh, mein Brot nicht als Kisten- oder Tresorknacker verdienen zu müssen. Dennoch: So perfekt all diese frühen Meisterwerke der Schloß- und Riegelbranche zu ihrer Zeit auch immer gewesen sein mögen, selbst sie vermochten ihre Auftraggeber nicht verläßlich vor überraschenden Enteignungsaktionen zu bewahren. Was so manchen Hüter von geheimen Schätzen und Papieren dazu trieb, diese noch zusätzlich mittels raffiniert angelegter Falltüren, tückisch hinter der Tür zum Tresor lauernden Schädeleinschlag-Hämmern und perfiden Selbstschuß-Installationen zu sichern. Aber nicht einmal diese Spitzenleistungen menschlichen Erfindungsgeistes und ihre inzwischen erfolgten Perfektionierungen vermochten den Wettlauf zwischen der Findigkeit der Diebe und der ewigen Verlustangst der Besitzenden zu beenden. Er wird so lange weitergehen, als es auf dieser Erde Arme und Reiche gibt und die Reichen glauben, die Geheimnisse ihres Reichtums und diesen selber vor den Armen verbergen und schützen zu müssen.
Erschienen in Ossietzky 18/2005 |
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