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Um sie nicht über Gebühr zu schocken, zeigt man ihnen in Gaststuben und Andenkenläden statt des offiziellen österreichischen Staatswappens – der dort abgebildete Greifvogel trägt immerhin unübersehbar Hammer und Sichel – doch lieber den gemütlichen alten Kaiseradler. Auf Speisekarten wurden Erdäpfel allmählich zu Kartoffeln, Fisolen zu grünen Bohnen und Paradeiser zu Tomaten. (Nur als Tiroler Köche vor geraumer Zeit begannen, den deutschen Gästen zuliebe Schweinsbraten unter Vermeidung von Knoblauch anzurichten, grummelte die Volksseele österreichweit, bis der natürliche gottgegebene Urzustand wiederhergestellt war.) Getreu der alpenländischen Wirtsdevise »A Neger, der a Göld hoat, is koa Neger« übersah man großzügig gewisse als unangenehm empfundene nationale Eigenheiten der Teutonen und moserte im Beisl über die »Piefkes« nur dann, wenn garantiert kein Angehöriger dieser Spezies anwesend war. Selbst als das deutsche Fernsehen den österreichischen Nationalmythos Mozart, das Wolferl, wie auch Haydn (der bekanntermaßen außer einer Englandreise Österreich nie verlassen hat) als »große deutsche Komponisten« vorstellte, schüttelte man in der laut Nationalhymne »Heimat großer Söhne« ob solchen ignoranten Alleinvertretungsanspruchs nur nachsichtig lächelnd den Kopf. Die Deutschen durften sich am Wörthersee oder in Tirol richtig zu Hause fühlen, just so wie weiland Helmut Kohl im Salzkammergut. Einmal lernte ich in einem steirischen Gasthaus zwei meiner deutschen Landsleute kennen. Alsbald begannen sie, die »Überfremdung« Deutschlands zu bejammern, nicht ohne lautstark festzustellen, daß »Ausländer immer klauen«. Ich konnte mir nicht verkneifen zu fragen, ob jetzt alle anderen anwesenden Gäste sicherheitshalber die Taschen zuknöpfen sollten. Schließlich sei man hier als Deutscher doch Ausländer. Da reagierten die Herren erst ungläubig, dann so muffig, daß ich mich unter den Schutz des aus ihrer Sicht ausländischen Wirts flüchten mußte. Inzwischen gibt es einen noch viel weiter gehenden Service für Touristen. So werden beispielsweise Dresdner Österreich-Urlauber auf der Alm und im Wirtshaus häufig vom Dirndl oder Lederhosen tragenden Personal feinfühlig im heimischen sächsischen Idiom nach ihren Wünschen gefragt. Ossis als Ösis. Im Klartext: Nach Türken und Bürgern des ehemaligen Jugoslawien stellen in Österreich Deutsche längst die drittstärkste Gruppe von – um es einmal frech wie Oskar zu sagen – Fremdarbeitern. (Wollte man, wie seit einiger Zeit gäbe, die Nationen der Serben, Kroaten, Bosnier, Slowenen und Montenegriner streng separat aufführen, stände Deutschland sogar die Silbermedaille zu.) Wie kommt das? Alle bisher interviewten deutschen »Gastarbeiter« geben soziale Hoffnungslosigkeit als Auswanderungsgrund an. Sie hätten daheim in Gera, Gelsenkirchen, Pirna oder Emden angesichts von Arbeitslosigkeit und Hartz-IV-Politik der im Bundestag agierenden Blockparteien keine Perspektive mehr für sich gesehen. Deutsche Medizinstudenten drängen an österreichische Universitäten, weil sie daheim keinen Studienplatz bekommen, während die Bundesärztekammer allen Ernstes vorschlägt, wegen katastrophaler medizinischer Unterversorgung im Protektorat Ost exakt wie in afrikanischen Entwicklungsländern mobile Arztpraxen einzusetzen. Einmal im Monat kommt der Buschdoktor. Der österreichische Bundeskanzler Schüssel hat sich schon öffentlich beklagt, die Deutschen kämen nur der besseren Sozialleistungen wegen ins Land. Aha. »Asylbewerber« hat aber noch keiner über die Hartz-IV-Flüchtlinge gesagt; nur aus Vorarlberg ist bereits der Spruch pressenotorisch: »Ich sehe die Deutschen lieber vor als hinter der Theke.« Sachsen-Anhalt gleich Sizilien? Meck-Pomm gleich Anatolien? Wir haben längst mehr Aus- als Einwanderer. Die Bundesrepublik Deutschland also ein Entwicklungsland? Schlimmer, der Lift fährt abwärts: ein sozial- und bildungspolitisches Rück-Entwicklungsland. Schimpfe nie mehr ein deutscher Politiker über »Wirtschaftsaylanten«. Er könnte seine Landsleute treffen. Natürlich nicht die mit Konten in Steueroasen. * Ein illustriertes Wochenblatt für die besseren Stände hat es mal wieder geschafft. Heft 33 des stern zeigt auf der Titelseite unter der Schlagzeile »Die Russen kommen. Wie sie die Lieblingsstrände der Deutschen erobern« vier Fotos: a) Zwei füllige vollbusige Damen im Bikini-Top, die sich mit slawisch gierigem Blick am Büffet rücksichtslos Tomatensalat (!), Schafskäse (!!) und Zwiebeln (!!!) auf ihre Teller schaufeln und so unschuldige deutsche Urlauber mitleidlos dem Hungertode preisgeben; b) eine ältere offensichtlich sonnenbrandgeschädigte Matrone – Körpergewicht schätzungsweise dreieinhalb Zentner –, der Hüft- und Schulterspeck aus dem Badeanzug schwabbeln, wie sie sich am Strand von einem unsympathischen Kerl den mächtigen Busen einkremen läßt; c) einen riesigen, ganzkörperbehaarten, glatzköpfigen Kerl, Typ Bösewicht im Catcher-Zelt, der finsteren Blicks mit schlenkernden Armen, bedrohlich gorillahaft nach vorn gebeugt, aus dem Wasser der blauen Ägäis stapft; d) zwei knackige »Nataschas« (Zitat stern ), die nur mit Bikini und Hüfttuch aufreizend knapp bekleidet (und das im sittsamen stern !) über ein Bootsdeck tanzen. Natürlich kennt man ähnlich abstoßende Bilder von deutschen Urlaubern etwa an mallorqinischen Stränden. Hier aber handelt es sich um weitaus Schlimmeres: Der Iwan ist auf dem Vormarsch! Beispielsweise an den bekanntermaßen zum deutschen Staatsgebiet zählenden Gestaden von Kemer und Antalya (ehem. Türkei). Wie die Bilder beweisen, stampfen die Russen dort jetzt alles Gute, Edle, Schöne und darum Deutsche unter die Stiefel – pardon, unter die Badeschuhe. Das Ganze geht laut stern so: Die Iwans schnappen den Deutschen die Strandliegen weg, weil sie nicht begreifen können (wollen?), daß ein deutsches Handtuch, vor dem Frühstück draufgelegt, noch am Nachmittag bedeutet: Für Ausländer verboten! Russinnen kommen erschreckenderweise regelmäßig »bauch- und visafrei«. Nach Augenzeugenberichten laufen sie »abends auf Stöckelschuhen herum und ziehen sich an wie zur Oper«. Wo im Urlaub doch Jogginghose und Unterhemd genügen! Russen saufen – fast wie deutsche Mal-lorca-Urlauber – die Schnapsfläschchen der Minibar im Zimmer leer und füllen dann mit Wasser auf. Sie schleppen jährlich 600 bis 700 Millionen Dollar Devisen ins Land und verdrängen damit sogar Neckermänner. Das Übelste: Die Iwans geben Trinkgeld! Deswegen zieht das Hotel-Personal unverständlicherweise »freigebige Arschlöcher vom Kaukasus« höflichen Schwaben vor. Ein deutscher Überlebender berichtet: »Wenn einer Geburtstag hat, schieben sie im Speisesaal Tische und Stühle zusammen, bis für unsereinen kein Platz mehr ist.« Und: »Viele haben Frauen, die aussehen wie ihre Töchter«. Diese ihrerseits singen »traurige Lieder nach kyrillischen (sic! – D.K. ) Songtexten«. In Restaurants und Läden spricht das Personal bereits russisch. Nur ein einziger Klomann sagt noch »Danke« auf deutsch. Wie ein Foto beweist, steht am Strand auf mehrsprachigen Verbotsschildern der russische Text sogar schon an zweiter Stelle, noch vor dem deutschen. Rund 1,5 Millionen Russen fuhren 2003 in die Türkei, eine halbe Million nach Ägypten. Schämen die sich überhaupt nicht mehr? Auch in Thailand nix anderes. Das liegt auch daran, daß die deutschen Touris zu feige sind. Russen dagegen schrecken vor nichts zurück: »Die letzte Tsunami-Welle in Südostasien war kaum abgeflossen...«, da war »Urlaub in den vielen intakt gebliebenen Hotels... monatelang allein an Russen zu verramschen«. So geht es über zehn Seiten des stern . Weil mir kaum ein Ossietzky -Leser diese Zitate abnehmen wird, sehe ich mich gezwungen, noch eine längere Passage ungekürzt im Zusammenhang wiederzugeben: In der Standardausführung ist der vormalige Sowjetmensch niedrig und robust wie ein T-34-Panzer gebaut. Arme wie ein Preisringer, Waden wie das Abzugsrohr des Kanonenofens einer Taigahütte. Um die bärenhafte Nackenpartie schmiegt sich eine schwere Goldkette, an der ein massives Goldkreuz baumelt. Er trinkt schon am Vormittag und nickt nachmittags auf seiner Pool-Liege ein. Er qualmt wie eine sibirische Sauna, immer und überall, auch und gerade im Speisesaal. Dort rempelt und drängelt er schon mal. Er entschuldigt sich nie. Höflichkeit ist eine Errungenschaft des Adels und der Bourgeoisie, beide unter den Sowjets ausgerottet. Macht Iwan aber nicht sympathischer. Wie die Bauchfalte einer Robbe lappt seine Wampe über die Dreiecksbadehose, wenn er auf die unter ihm erzitternde Seebrücke tappt. Seine Frau, die kapitale Olga, schaut aus wie eine Rotarmistin aus einem Kalten-Krieg-Film. Dem Nachwuchs ruft sie Kommandos zu, die immer wie »Dawai, dawai!« klingen. Was diese dicken Kinder von Moskau nicht daran hindert, die Fünf-Minuten-Frühstückseier zu mopsen, welche andere Gäste für sich in den Kochtopf am Büfett gelegt haben. Auf Vorhalte brummelt der ganzkörperbehaarte Papa nur »Da, da« und tut, als verstünde er kein Wort. Was irgendwie auch zutrifft. Um es noch einmal zu betonen: Diese rassistische Hetztirade entstammt keineswegs einer Schilderung des »slawischen Untermenschen« in Goebbels' Wochenzeitung Das Reich oder dem Stürmer des in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichteten Julius Streicher, auch nicht einer Bild -Ausgabe aus den Jahren des Kalten Krieges, sondern dem Heft 33/05 des liberalen stern . Es handelt sich hier auch nicht, wie man fälschlich annehmen könnte, um Satire, sondern um redaktionell gebilligten, ernstgemeinten Lesestoff für das deutsche Bürgertum. Hatten wir nicht einmal einen Paragraphen, der Volksverhetzung unter Strafe stellt? Mein Moskauer Freund Sergej Guk hat mir am 9. Mai eine Karte mit herzlichen Glückwünschen zum Jahrestag der Befreiung vom Faschismus geschickt. Solche Gratulationen zu einem hohen Feiertag sind in Rußland offensichtlich üblich. Bei uns gibt es Glückwunschkarten aus diesem Anlaß leider nicht. Sie wären, wie obiges Beispiel zeigt, wohl auch etwas verfrüht.
Erschienen in Ossietzky 18/2005 |
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