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Die üblichen Attacken gegen die angeblich allgegenwärtige Generation der 68er durften ebenso wenig fehlen wie die Forderung nach Verlängerung der Arbeitszeiten und Zerschlagung der Gewerkschaften. Die Rede, die Friedrich Schiller als Kronzeugen für den deutschen Aufbruch aufrief, gipfelte in einer leidenschaftlichen Lobpreisung der Nation und ihrer Mütter. Mit den Worten »Wir Deutschen sind ein aussterbendes Volk. Unser Schicksal liegt in ihren Händen« ließ Mattusek seinen jungen Konservativen die gebärfreudigen deutschen Frauen anhimmeln. Die deutsche Kultur und das lieb´ Vaterland wurden zur Vision erhoben: »Es geht auch um einen Kulturkrieg«, sprach Matusseks alter ego in seiner Wahlkampfrede, die nicht gehalten, aber im Spiegel veröffentlicht werden konnte. Artikel wie dieser zeigen die Gedankenwelt des »neuen« Konservatismus in Politik und Kultur. Das Feuilleton widmet dieser Tendenz verstärkte Aufmerksamkeit. »Sind Sie konservativ?« fragt die Frankfurter Rundschau deutsche Schriftsteller und widmet dem »Neokonservatismus« einen Themenschwerpunkt, der jedoch nur längst bekannte Figuren wie Meinhard Miegel präsentiert. Die Welt -Redakteurin Mariam Lau, die früher bei der tageszeitung arbeitete, wird im Magazin der Süddeutschen Zeitung fündig. In einem Bericht über die konservative Jugend von heute präsentiert sie der Leserschaft Protagonisten und Themen des neuen deutschen Konservatismus, welcher die von 68er-Libertinage und sozialdemokratischer Gleichmacherei verunstaltete Kulturlandschaft unserer »DDR light« (Arnulf Baring) umpflügen will. Verbindende Klammer zwischen CDU-Politikern wie Eckart von Klaeden, der Anti-68er-Schriftstellerin Sophie Dannenberg (»Das bleiche Herz der Revolution«) und dem Bachmann-Preisträger Uwe Tellkamp (»Der Eisvogel«) ist vor allem ein flammender Zorn gegen die deutsche Protestgeneration. Ähnlich dem US-amerikanischen Vorbild der Neocons, welche die Welt mit Freiheit & Democracy beglücken wollen, seien viele der neuen deutschen Konservativen »früher links oder grün« gewesen und könnten sich nun mit dem »Etikett ›Neocon‹ durchaus anfreunden«, findet Mariam Lau heraus. Internet-Seiten wie »Statler-and-Waldorf« oder kleine Kaffeehaus-Zirkel wie die »Freunde der offenen Gesellschaft«, die sie als »deutsche Neocons« vorstellt, sind Repräsentanten dieser Strömung. Doch ob Sophie Dannenberg die feministischen Rabenmütter von 1968 geißelt, die sich – statt Windeln zu waschen – lieber in der Orgasmusforschung selbst verwirklichten, oder Uwe Tellkamps Romanfiguren Jüngersche Stahlgewitter gegen die kleinmütige Republik der Kassenpatienten herbeisehnen – »neo«, also neu, ist daran herzlich wenig. Wer immer auch in Kreuzberger In-Lokalen über den »islamischen Faschismus« lamentiert, zaubert seinen neuesten Paradigmenwechsel aus den ältesten Hüten des Sir Raimund Popper, an dem sich schon Helmut Schmidt orientierte. Verglichen mit den unter Ronald Reagan erstmals in die Zentren der Macht gelangten US-amerikanischen Originalen sind ihre deutschen fellow travellers bestenfalls begabte Kopisten. Während Norman Podhoretz, einer der frühen US-Neocons, seinen Wechsel von der radikalen Linken zu den Konservativen mit dem Sechs-Tage-Krieg begründete, führt die ehemalige taz -Redakteurin Lau für ihren Umzug zum notorisch defizitären Springer-Blatt Die Welt den angeblichen Antiamerikanismus und Antisemitismus der deutschen Linken an. (Solche Abarten der politischen Ideengeschichte sind im Hause Springer bekanntlich verboten – in dem der ehemalige Stürmer -Karikaturist Wolfgang Hicks noch jahrzehntelang zur Feder greifen durfte.) Durch den sich abzeichnenden Belegschaftswechsel an der Regierungsspitze werden jetzt viele Karrieristen auf den Plan gerufen. Und wer sich da alles in Sorge um Deutschland gegen die 68er aufbäumt und deren Verdrängung aus den Führungspositionen in Politik und Kultur fordert, ähnelt fatal dem jungen Gerhard Schröder, der weiland am Zaun des Kanzleramts rütteltete und den legendären Ruf ausstieß: »Ich will da rein!« Die Themen der »deutschen Neokons« (Lau) klingen allesamt vertraut: 68 ist vorbei, das Single-Dasein out, Ehe und Familie wieder in. »Vatis Argumente«, die Franz-Josef Degenhardt einst besang, gelten wieder: »Ärmel aufkrempeln – zupacken – aufbauen.« Verändert werden soll in der derzeitigen Debatte vor allem der Blick auf die Protestgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. »1968« steht in dieser Erzählweise nicht mehr für die Modernisierung der von Talaren-Uninversität und Kuppeleiparagrafen geprägten Nach-Adenauer-Republik. Es steht für den Beginn eines Kulturverfalls, der die Zerrüttung der Familien sowie eine skrupellose Sexindustrie zur Folge hatte und zudem über keinerlei politische Legitimation verfügte. Alles was die damaligen Proteste herausforderte – die Zustimmung von Christdemokraten zu Napalmbomben auf Vietnam als Verteidigung der »Freiheit des Westens«, die Einführung der »Notstandsgesetze«, die Hetzpropaganda der Springer-Presse, die NPD in den Länderparlamenten – soll vergessen gemacht werden. Daß sich der Affekt gegen 1968 an führenden Regierungsmitgliedern festmacht, zeigt zudem die Ungenauigkeit der Debatte. Kein Mitglied der rot-grünen Regierung spielte 1968 eine nennenswerte Rolle. Trotzdem bestehen für die jungen Konservativen die Spitzen der heutigen Gesellschaft zumeist aus karrieregeilen Ex-68ern, die als konsumfreudige Singles Volk und Vaterland in den Ruin treiben. Nicht die Notwendigkeit der doppelten Lohnarbeit von Mann und Frau oder die von den Unionsparteien vehement betriebene Förderung des Privatfernsehens werden analysiert, wenn es um die Veränderungen in Familie und Erziehung oder die Sexindustrie geht. Die moralische Empörung der »Neokons« hat das Niveau eines Springer-Kolumnisten, der im selben Blatt den Sittenverfall beklagt, in dem Zuhälter ihre Sex-Anzeigen schalten. Die Angriffe der »deutschen Neokons« auf die 68er sind das Schattenboxen einer aufstiegswilligen neuen Riege in Politik und Kulturbetrieb, die ihren längst angezählten Gegner dämonisiert.
Erschienen in Ossietzky 18/2005 |
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