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Stoiber, so Schönbohm, solle sich um die alten Bundesländer kümmern: »Wir kümmern uns um die neuen Länder. Dabei sollte er uns nicht in die Quere kommen.« Der Ex-Bundeswehrgeneral selber war kurz zuvor seiner Parteichefin, Deutschlands mittlerweile bekanntester Sprechblasenabsonderin, gar mächtig in die Quere gekommen. Nach den acht Leichenspürhunden, die in Brieskow-Finkenheerd, nahe dem östlichen Frankfurt, nach den Knochenresten ermordeter Babys gesucht hatten, war auch er fündig geworden – auf der Suche nach den Ursachen der Ermordung von neun Neugeborenen durch die eigene Mutter. Seine Erklärung, »daß die von der SED erzwungene Proletarisierung eine der wesentlichen Ursachen ist für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft«, hatte einen bisher selten erlebten Proteststurm aus allen politischen Richtungen hervorgerufen. Selbst seine schwarzen Parteifreunde setzten sich von ihm ab – hurtig, hurtig, schließlich ist Wahlkampf –, wobei manche ein Kunststück vollbrachten, das den Verwandlungskünsten Schönbohms ebenbürtig ist: Es gelang ihnen, den Ex-General hörbar zu verdammen und sich gleichzeitig an seiner Verunglimpfung der DDR und ihrer Bürger, die seit 15 Jahren in den Rang von Bundesbürgern, freilich nur ostdeutschen, erhoben worden sind, zu beteiligen. Allerdings vorsichtig, denn möglicherweise wird die Wahl wieder einmal im Osten, der in offiziellen Dokumenten immer noch »Beitrittsgebiet« genannt wird, entschieden. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel rief Schönbohm zur Ordnung und befahl ihm, sich zu entschuldigen. Der Ex-General gehorchte, ohne seine Aussage zu revidieren. Auch Merkels Vize in der Fraktion, Wolfgang Bosbach, Mitglied des von Joachim Gauck geleiteten Vorstandes des Nazi- und SED-Regime gleichsetzenden Vereins »Gegen Vergessen – Für Demokratie«, ging auf Distanz. Die DDR sei zwar ein »totalitärer Unrechtsstaat« gewesen, aber: »Ob die Vermittlung falscher Werte beim aktuellen Fall von Kindestötung eine Rolle gespielt hat, kann allerdings mit Sicherheit niemand sagen.« Mit Sicherheit nicht, aber möglicherweise doch? CDU-Politiker der zweiten Reihe wurden da schon deutlicher. Brandenburgs christdemokratische Justizministerin Beate Blechinger und die CDU-Spitzenkandidatin des Landes, Katherina Reiche, stimmten, wenn auch lustlos, in die Kritik an ihrem Landesparteichef ein. Beide betonten jedoch, daß eine Debatte über die Langzeitfolgen der DDR-Zeit und den Versuch des SED-Regimes, Werte durch Ideologie zu ersetzen, geführt werden müsse. Blechinger, zu DDR-Zeiten Lehrerin, meinte mit Blick auf die Untat in Brieskow-Finkenheerd, die Eigenverantwortung auch für die Erziehung der Kinder sei im Osten beeinträchtigt: »Es ist schwieriger, die geistigen Folgen der DDR zu überwinden als die materiellen.« In dieser geistigen Notsituation konnte der gelernte Pfarrer und brandenburgische SPD-Spitzenkandidat, Steffen Reiche, seine beiden Politikerkolleginnen, mit denen er sich auch durch die SPD-CDU-Koalition im Land verbunden fühlt, nicht allein lassen. Wie sie distanzierte er sich von Schönbohm, um ihm im gleichen Atemzug in einem wesentlichen Punkt zuzustimmen: »Die Eliteabwanderung ist in Brandenburg stärker ausgeprägt als in anderen ostdeutschen Ländern... Gerade Werte bildende Menschen sind in großer Zahl weggezogen, und das schon seit gut 50 Jahren.« Geblieben ist offenbar die DDR, »Der Dumme Rest«, der werteentblößte, moralisch verkommene, gewaltbereite. Gemäßigte verbale Distanzierung, aber klare inhaltliche Zustimmung erfuhr der Fachmann für Wertevermittlung Schönbohm von seinen Blutsbrüdern im Geiste. Daß zu ihnen der ehemalige niedersächsische Justizminister und heutige Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, Christian Pfeiffer, gehörte, kann nicht überraschen. War dieser doch bereits mit der Entdeckung der »Topfzeiten in den Kinderkrippen« als Beginn der Unterdrückung der Individualität in der DDR und mit der Gleichsetzung der seelischen Verkrüppelung, denen Kleinkinder in der DDR ausgeliefert gewesen seien, mit der Beschneidung junger Frauen in der Dritten Welt zu populärwissenschaftlicher Berühmtheit gelangt. Ebensowenig überraschte die ungemein differenzierte Kritik, die der Direktor der sogenannten Stasigedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, der in Ostdeutschland überaus beliebte Hubertus Knabe, an seinem brandenburgischen Gesinnungsgenossen übte, indem er meinte, man könne nicht sagen, »alle Ostdeutschen töten ihre Kinder«. Wahrhaftig, nicht alle! Überraschen muß allerdings die schonungslose Offenheit, mit der Jürgen Dittberner, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam, seinen Innenminister rügte und ihm zur Seite sprang. Er sah die Gefahr für die CDU darin, daß Schönbohms Thesen als Anti-Ost-Position verstanden würden. Schönbohm habe »zu offen und ehrlich gehandelt... Daß alle jetzt über ihn herfallen, ist das politische Geschäft. Das hätte er wissen müssen.« Wie wahr, aber Schönbohm hat das Herz am rechten Fleck und daraus keine Mördergrube gemacht, als er die Ursache für den neunfachen Kindsmord suchte und fand. Im Kreis der kritischen Schönbohm-Unterstützer fehlt erstaunlicherweise Rainer Eppelmann, der als letzter DDR-Verteidigungsminister in der Übergaberegierung des Lothar de Maizière der unmittelbare Vorgänger des Volksarmee-Abwicklers Schönbohm war. Nur wenige wären so berufen, zur »Proletarisierung des Ostens« und ihren Folgen ein gewichtiges Wort zu sprechen, wie der Ex-Pfarrer und heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Eppelmann. Immerhin war er Vorsitzender der seinerzeitigen nach ihm benannten parlamentarischen Enquete-Kommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit« und steht heute an der Spitze der famosen Stiftung »Aufarbeitung der SED-Diktatur«. Schon 1994 bekannte er im Vorwort zum Bericht der Enquete-Kommission, daß diese »das Bewußtsein dafür schärfen (wollte), in welchem Umfang die SED-Diktatur... das Leben jedes einzelnen Menschen und das der ganzen Gesellschaft in der DDR deformierte«. Ergo, ganz so originell und neu sind die Auffassungen Schönbohms nicht. Kein Wunder, daß er wahlkampfbedingt Prügel, für seine krude Denkweise aber nicht wenig Beistand erhielt. Diesen hat der brandenburgische Innenminister dem bayrischen Ministerpräsidenten schmählich verweigert. Möglicherweise ist er doch schon ein halber Ossi: nicht nur frustriert und gewaltbereit, sondern eben auch undankbar.
Erschienen in Ossietzky 18/2005 |
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