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Daß sich Kirchhof so nachdrücklich für die INSM – zu erreichen über die Werbeagentur Scholz & Friends – engagiert, überrascht ein wenig: Auf seiner umfangreichen Homepage unter dem Dach der Universität Heidelberg, an welcher er das Institut für Finanz- und Steuerrecht leitet, finden sich pedantische Aufzählungen seiner Herausgeberschaften, Ehrungen und der Artikel, die er für FAZ , Cicero , Financial Times und Handelblatt geschrieben hat. Seine Berufung zum Botschafter der INSM ist ihm jedoch kein Wort wert. Das dürfte Berechnung sein, denn die Äußerungen eines vorgeblich objektiven Wissenschaftlers gelten wenig, wenn sie erkennbar im Dienst einer Ideologie getan werden. Folglich kann Kirchhof die schlichten Halb- und Viertel-Wahrheiten der Initiative immer wieder vor den bereitgestellten Mikrofonen aufsagen und dabei auf viele ZuhörerInnen dennoch glaubwürdig und halbwegs originell wirken. »Die Welt wird immer komplizierter, deshalb muß das Recht immer einfacher werden«, lautet einer seiner Lieblingssätze. Mehrfach riß er schon das fade Witzchen über die »Gesetzgebung, die nur so viele Gesetze zuläßt, als der fachzuständige Ministerialrat aktuell im Gedächtnis behalten kann.« Wer wie Kirchhof für seine Schönredekunst gar den mit 35 000 Euro prämierten Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache erhält, für den interessiert sich irgendwann auch die Politik. Und so stellte, als der Rechtsgelehrte 2004 seinen sechzigsten Geburtstag feierte, Altkanzler Kohl ihm eine große politische Karriere in Aussicht. Gern hätte Kirchhof alsbald das Amt des Bundespräsidenten übernommen, für das ihn im vergangenen Jahr die Union Leitender Angestellter (ULA) vorgeschlagen hatte: Er bringe »alle Eigenschaften mit, die unser Land in einer Phase schmerzhafter Reformen braucht«, pries ULA-Hauptgeschäftsführer Ramme seinen Kandidaten. Professor, Richter, katholischer Vater von vier Kindern, mit einer Vorliebe für deutschsprachige Nachkriegsliteratur und als 197-Zentimer-Hüne begeisterter Basketball-Spieler – so einer hätte den Deutschen schon ein strammes Vorbild geliefert. Oder, um es mit Springers Welt zu sagen: Kirchhof besitzt »die Autorität eines Mannes, der es versteht, mit der gestochenen Sprache und der erbarmungslosen Logik des Juristen die Menschen für sich einzunehmen.« Dann fiel die Wahl aber doch auf jenen anderen Wirtschaftsbegeisterten, der inzwischen den Bundestag auflöste und als Gruselkulisse für die Neuwahl fast einen Staatsnotstand herbeischwätzte. Bis zur Bundestagswahl wird Kirchhof nun für die Union die Rolle des unabhängigen Experten für ein radikalisiertes Steuerrecht spielen, die er seit Jahren so überzeugend für die INSM eingeübt hat. Nach der Wahl wird er dann wieder von der parteipolitischen Bühne abtreten, denn zum Finanzminister taugt Kirchhof nicht, wie er im Oktober 2003 dem stern gestand: »Jeder muß seine Begabungen kennen. Ich komme aus der Wissenschaft. Ein Minister bin ich nicht.« In der Tat hat der Steuerexperte offenbar wenig Ahnung von Politik oder Demokratie – sein »demokratischer Ursprungsgedanke« lautet tatsächlich: »Die parlamentarische Demokratie ist in Deutschland erkämpft worden, damit der Steuerzahler selbst – repräsentiert durch seine Abgeordneten – über die Steuerlast entscheide.« Das war vielleicht im 19. Jahrhundert so, aber mußte nicht im 20. die Demokratie neu erkämpft und von außen auferlegt werden, um deutsche Soldaten am Weiterbau des Hitler-Weltreiches zu hindern? Vielleicht sieht man die Welt einfach anders, wenn man wie Kirchhof in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank aufsteigt: »Ich bin näher an das Geschehen herangerückt, ich sehe manches von innen klarer und plastischer.« Vor allem erkennt man als Angehöriger einer so machtvollen Elite, daß es noch viel mehr Elite geben muß. Beispielsweise in der Politik: »Die besten Köpfe müssen in die Parlamente. Ein Weg, das zu erreichen, wäre aus meiner Sicht, die Zahl der Abgeordneten zu halbieren und dafür die Diäten zu verdoppeln.« Zu einer solchen Machtanballung gehört aus Kirchhofs Sicht auch ein Spitzensteuersatz von 25 Prozent. Im Gegenzug sollen Subventionen abgeschafft und steuerliche Schlupflöcher gestopft – und wohl auch die letzten Reste des Sozialstaates geschleift werden. Die Berechnungen der Finanzverwaltung von Bund und Ländern ergaben jedenfalls, daß Kirchhofs Steuermodell im ersten Jahr zu einem Steuerausfall von fast 43 Milliarden Euro und unausweichlich zu weiterer massiver Umverteilung von unten nach oben führen würde. Alles Rechenfehler, behauptete Kirchhof. Der Mann, der als Verfassungsrichter schon die Vermögenssteuer auf null Prozent zwang, lädt uns alle ein, ihm »in den Garten der Freiheit zu folgen«, in dem wir »den Neubeginn des auch steuerlich freien Menschen wagen« sollen. Denn die Freiheit, die er meint, ist ihm das höchste Gut von allen. Er definierte es vor der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung so: »Freiheit heißt, daß der eine sich vom anderen unterscheiden und daß er, wenn es Unterschiede gibt, diese Unterschiede mehren darf.« Ja, genau: Während einige wenige mit Hochgenuß Zehn-Gänge-Menüs verspeisen, darf sich der stetig wachsende Rest der Bevölkerung um die abgenagten Knochen im Mülleimer prügeln. Der Kirchhof decke die Sünden der Ärzte zu, erkannte einst der Volksmund. Dieser Kirchhof begräbt die Opfer des Neoliberalismus unter einem preisgekrönten Wortschwall. »Es geht nur mit dem Hammerschlag«, betont der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband, der als seine Helden der Wirklichkeit die Trümmerfrauen angibt. Daß es sie wieder geben wird, in einem der reichsten Länder der Welt, auch ohne Krieg oder schwere Naturkatastrophen, dafür wird er schon noch sorgen.
Erschienen in Ossietzky 18/2005 |
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