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Auf eine liberalere Kriminalpolitik hoffte man ebenso vergeblich wie auf eine demokratische Polizeireform und auf ein humanes Asyl- und Ausländerrecht – kurz: auf einen zumindest moderaten Ausstieg aus dem autoritären Sicherheitsstaat. Skeptiker hatten sich gleich gefragt: Was werden die Grünen mit der SPD wohl durchsetzen können – oder besser: gegen eine SPD, die schon in den sozialliberalen 70er Jahren rigoros die Substanz der Bürgerrechte beschnitten hatte – erinnert sei an den »Deutschen Herbst«, an Berufsverbote und Anti-Terror-Gesetze. In den 90er Jahren hatte sich die SPD aus der Opposition heraus in eine faktische Große Koalition der »Inneren Sicherheit« begeben; ohne ihre Mitwirkung wäre beispielsweise die verfassungsrechtliche Demontage des Asylgrundrechts nicht möglich gewesen. In jener Zeit mutierte in der SPD der ehemalige Grüne Otto Schily zum Hardliner, der die rot-grüne Koalition von vorn herein mit schweren Hypotheken belastete – etwa mit dem später vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Großen Lauschangriff, an dem er als Oppositionspolitiker maßgeblich mitgewirkt hatte. Verfassungswidrige Betätigung – strenggenommen ein Fall für den »Verfassungsschutz«, im Fall Schily offenbar eine Empfehlung für den Posten des Innenministers. Schon nach der ersten Halbzeit von Rot-Grün war klar: In Sachen Bürgerrechte wird es, trotz Grünen, keinen Durchbruch geben – abgesehen von re-spektablen Ausnahmen wie der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts oder dem überfälligen Zuwanderungsgesetz, um nur zwei herausragende Projekte zu nennen. Doch selbst da wurden die Erwartungen kaum erfüllt. Das neue Zuwanderungsgesetz beispielsweise verdient seinen Namen nicht – es müßte eher, wie die Praxis zeigt, Zuwanderungsbegrenzungsgesetz heißen. Zwei andere rot-grüne Großprojekte gehören eindeutig zur Negativbilanz: Das eine ist das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren, in dessen Verlauf sich die größte V-Mann-Affäre der bundesdeutschen Geschichte offenbarte. Bis heute hat Rot-Grün daraus keine wirksamen Konsequenzen gezogen. Noch immer ist die NPD von V-Leuten durchsetzt, und der Verfassungsschutz will keinesfalls davon ablassen, so daß ein neuer Verbotsanlauf wieder zum Scheitern verurteilt wäre. Das zweite Großprojekt: die sogenannten Antiterror-Gesetzespakete. Anstatt der Bevölkerung nach den Terroranschlägen des 11. 9. 2001 in den USA die Wahrheit über Unsicherheitsfaktoren in einer Risikogesellschaft zuzumuten, machten Schily und andere verantwortliche SPD-Politiker ihr unhaltbare Sicherheitsversprechen. Sie bedienten das ohnehin starke Sicherheitsbedürfnis der Bürger und nutzten es zur Legitimierung längst geplanter Nachrüstungsmaßnahmen, die zu einer erheblichen Ausweitung der Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten führten. Bei den rot-grünen Antiterror-Gesetzen (»Otto-Paketen«) handelt es sich um die umfangreichsten »Sicherheitsgesetze«, die in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte jemals auf einen Streich verabschiedet worden sind. Die meisten neuen Antiterrormaßnahmen folgen einer schon seit Jahrzehnten vorangetriebenen Präventionsstrategie, die mit immer neuen Kontroll- und Überwachungsinstrumenten allmählich jedes Maß übersteigt. Die Unschuldsvermutung, eine der wichtigsten rechtsstaatlichen Errungenschaft, verliert in dieser Sicherheitskonzeption ihre machtbegrenzende Funktion. Der Mensch wird zum potentiellen Sicherheitsrisiko, der seine Harmlosigkeit und Unschuld nachweisen muß. Und die »Sicherheit« wird zum Supergrundrecht, das die Grundrechte der Bürger – Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates – in den Schatten zu stellen droht. Obwohl niemand Notwendigkeit und Effizienz der neuen Sicherheitsregelungen wirklich abschätzen kann, erleben wir nach jedem größeren Anschlag das ewig gleiche Ritual: gespenstische Sicherheitsdebatten über abermalige Gesetzesverschärfungen und vermeintliche Antiterror-Maßnahmen. Längst hat Schily ein neues »Sicherheitspaket« geschnürt, und auch die CDU/CSU rüstet auf. Was jetzt beschlossen werden soll, sind nicht mehr nur Einzelmaßnahmen wie die abermalige Verschärfung des Ausländerrechts, noch mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum, die geheimdienstliche Beobachtung und Infiltration von Moscheen, die langfristige Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten oder die präventive Sicherungshaft für »gefährliche Personen« – eine Maßnahme aus dem Arsenal von Diktaturen. Inzwischen stehen auf der Agenda die Umkrempelung der gesamten sogenannten Sicherheitsarchitektur und die Entkernung des demokratischen Rechtsstaats. Angestrebt wird eine Militarisierung der Inneren Sicherheit (s. auch den Beitrag von Ulla Jelpke in diesem Heft; Red. ). Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, auf den schon die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 hingearbeitet haben, soll erleichtert werden. In diesen Zusammenhang gehört auch die bereits in Kraft getretene gesetzliche Ermächtigung zum präventiven Abschuß gekaperter Passagierflugzeuge durch das Militär, um mögliche Anschläge aus der Luft zu verhindern – eine staatliche Lizenz zum gezielten Töten, würden doch im Falle eines solchen Abschusses auf Befehl des Verteidigungsministers wahrscheinlich Hunderte unschuldiger Passagiere sterben. Der zweite Tabubruch besteht in der Zentralisierung der Sicherheitsbehörden, allen voran der Polizei und des Verfassungsschutzes, obwohl diese nach dem Föderalprinzip grundsätzlich Ländersache sind. Der dritte in einer Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten mit dem Ziel eines intensivierten Datenaustauschs (gemeinsame Lagezentren zur Terrorabwehr, zentrale »Islamistendatei«, europaweite Datenvernetzung ohne eine verläßliche demokratische Kontrolle) – entgegen dem geschichtlich begründeten verfassungspolitischen Gebot, beide Sicherheitsbehörden getrennt zu halten. Etliche der jetzt schon gültigen rot-grünen Antiterror-Maßnahmen dürften gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Sie zeigen Merkmale eines autoritären Präventionsstaates, der letztlich in den Überwachungsstaat führt, in dem Rechtssicherheit und Vertrauen verloren gehen. Die meisten Erweiterungen staatlicher Befugnisse taugen wenig zur Bekämpfung eines religiös-aufgeladenen, selbstmörderischen Terrors; sie schaffen kaum mehr Sicherheit, gefährden aber um so mehr unser aller Freiheit. An dieser Entwicklung konnte auch die vom grünen Koalitionspartner durchgesetzte Evaluation und Befristung einzelner Antiterror-Gesetze nichts ändern – zumal das Bundesinnenministerium selbst evaluiert. In seinem Bericht vom Mai 2005 kam es erwartungsgemäß zu dem Ergebnis: Die Sicherheitsbehörden nutzten die neuen Befugnisse »erfolgreich, zurückhaltend und verantwortungsvoll«. Die Gesetze hätten sich bewährt und müßten in Kraft bleiben – ja, es müsse unbedingt noch ein drittes Sicherheitspaket geschnürt werden. Bei Gericht würde man wohl von einem Gefälligkeitsgutachten sprechen. Inzwischen haben wir zwar als einzelne Positivposten die eingetragene Lebenspartnerschaft, einen verbesserten Opferschutz, das reformierte Staatsbürgerschaftsrecht und das Informationsfreiheitsgesetz zu verzeichnen. Doch als struktureller Negativposten stellt sich ein Sicherheits- und Kontrollstaat dar, der in dem Maße aufgerüstet worden ist, wie der Sozialstaat abgetakelt wurde. Den Grünen kam auf diesem Politikfeld die undankbare Korrektivfunktion zu: Um das Schlimmste zu verhüten, verhalfen sie dem Schlimmen zum Durchbruch. Sie hatten mit ihrer Regierungsbeteiligung einen Ruf zu verlieren: den, eine Bürgerrechtspartei zu sein. Jetzt sind sie ihn erst mal los, ohne es selbst wahrhaben zu wollen. Wenn es denn noch eines Beweises bedurfte: Kurz vor dem rot-grünen Scheitern haben die Grünen noch der (wenn auch restriktiven) Neuauflage des Großen Lauschangriffs, einer Ausweitung des genetischen Fingerabdrucks und einer schärferen Bestrafung von Graffiti-Sprayern zugestimmt (auch Terroristen haben mal klein angefangen). Ausführlicher behandelt Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, dieses Thema in einem soeben erschienenen Sammelband des VSA-Verlags: Bischoff/Burkhardt/Cremer/Gerntke/ Gössner/Rock/Steffen/Wa-ter: »Schwarzbuch Rot-Grün – Von der sozial-ökologischen Erneuerung zur Agenda 2010«, 144 Seiten, 11,80 €
Erschienen in Ossietzky 17/2005 |
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