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Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Für die innere Sicherheit gibt es die Polizei. Die Bundeswehr darf helfen, wenn es nötig ist, beispielsweise bei der Flutkatastrophe an der Elbe oder ähnlichen Gelegenheiten. Ansonsten hat sie ganz andere, von der Polizeiarbeit in einem Rechtsstaat strikt zu trennende Funktionen. Dennoch schickt sich die SPD-Spitze an, die bisherige Position zu räumen und dem Drängen der CDU/CSU nach Einsätzen der Bundeswehr im Inneren nachzugeben. Schon haben Innenminister Otto Schily und Verteidigungsminister Peter Struck erklärt, sie könnten eine dementsprechende Grundgesetzänderung durchaus akzeptieren. Die Diskussion der letzten Wochen verlief einigermaßen verwirrend. Es besteht die Gefahr, daß hinter einem Bündel von Motiven der Hauptzweck und das Hauptrisiko verborgen bleiben: Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung soll eine Kriegssituation heraufbeschworen werden, damit die Staatsgewalt ungestört von Recht und Gesetz nach US-amerikanischem Vorbild gegen den angeblichen Feind vorgehen kann. Im Kriegsfall können die verantwortlichen Politiker bekanntlich nicht ständig mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen, um einen berühmt-berüchtigten Satz des Bundesinnenministers Hermann Höcherl (CSU) aus der Adenauer-Ära zu zitieren. Oder wie Kanzler Konrad Adenauer selber sagte: Man darf nicht pingelig sein im Umgang mit der Macht. Irgendwelche sachlichen Argumente für eine Grundgesetzänderung sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Die Praktiker von Polizei und Bundeswehr lehnen unisono die Pläne der Politiker ab. Sowohl der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, als auch der Chef der Polizeigewerkschaft (DPolG), Wolfgang Speck, wenden ständig ein, Soldaten seien für Inlandseinsätze gar nicht ausgebildet. Da müsse man das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht beherrschen, sagte Gertz. Speck argumentierte, man könne hier nicht »Lehrlinge« einsetzen, die nur neun Monate Wehrdienst leisteten. Ebenso wie Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die dem DGB angeschlossen ist, vermutet Speck hinter dem Drängen von CDU/CSU-Seite auch finanzielle Erwägungen. In vielen unionsgeführten Ländern seien Stellen bei der Polizei abgebaut worden. Jetzt bekomme die Union offenbar Angst vor ihrer »negativen Courage« und rufe nach »billigeren Kräften«. Wehrdienstleistende erhalten bekanntlich weniger Geld als Polizeibeamte. Das ist eine Teilerklärung für das Verhalten der CDU/CSU, aber keine ausreichende. Das Umfallen der SPD wird dadurch nicht verständlich. Die Vermutung liegt nahe, Schily arbeite auf eine große Koalition hin, in der er weiterhin das Amt des Innenministers bekleiden könnte. Deshalb sei er daran interessiert, einen Konfliktpunkt mit der CDU/CSU vorweg schon auszuräumen. Tatsächlich wird Schily nicht müde, darauf hinzuweisen – wie zuletzt in einem Spiegel -Interview vom 18. Juli 2005 –, daß die Unterschiede zwischen den potentiellen Koalitionspartnern CDU/CSU und FDP in Fragen der Bürgerrechte nahezu un-überbrückbar seien und daher eine schwarz-gelbe Koalition ein Risiko für die innere Sicherheit wäre. Zudem hält sich Schily mit der ihm eigenen Selbstüberschätzung für den einzig echten Innenminister. Als die Bild -Zeitung ironisierend schrieb, Schily könne auch nach einem Regierungswechsel auf Lebenszeit Innenminister bleiben, gefiel ihm das so gut, daß er es seitdem dauernd selbst kolportiert, so auch in dem erwähnten Spiegel -Interview. Also käme ihm – ebenso wie vermutlich Peter Struck – eine große Koalition gut zupaß. Den neuen, militärisch angehauchten Begriff des »Kollateralnutzens« führte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, am 30. Juli via Süddeutsche Zeitung in die Debatte ein. Wiefelspütz hatte drei Tage zuvor als erster SPD-Politiker in Springers Tageszeitung Die Welt die Bereitschaft der Sozialdemokraten zu Bundeswehreinsätzen im Inneren bekannt gegeben und sich, um beim Sujet zu bleiben, als »Minenhund« betätigt. Den Lesern der SZ gab er zunächst Rätsel auf, indem er behauptete, es sei der völlig falsche Eindruck entstanden, als ob die SPD eine Grundgesetzänderung befürworte. Das Gegenteil sei der Fall. Doch zugleich drehte Wiefelspütz die Pirouette weiter und erklärte, dass eine »Klarstellung« über Bundeswehreinsätze im Grundgesetz doch gar nicht so schlecht wäre und deswegen zu bejahen sei. Dann nämlich könne auch das Luftsicherheitsgesetz in Karlsruhe Bestand haben. In diesem Gesetz haben SPD, Grüne, CDU und CSU dem Verteidigungsminister bekanntlich die Lizenz zum Abschuß entführter Passagierflugzeuge erteilt. Dagegen klagen der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) und andere beim Bundesverfassungsgericht. Die gestrengen Karlsruher Richter haben binnen kurzer Zeit den großen Lauschangriff, den Europäischen Haftbefehl und die präventive Telefonüberwachung für verfassungswidrig erklärt. Eine weitere Prozeßniederlage wäre für die Bundestagsmehrheit, namentlich die Kanzlerpartei, einigermaßen peinlich. Daher möchte man im Rechtsstreit um das Luftsicherheitsgesetz mit einer nachgeschobenen Verfassungsänderung wenigstens dem Argument entgegentreten können, das Gesetz kranke schon an der mangelnden Kompetenz der Bundeswehr. Tatsächlich geht es Hirsch und den anderen Klägern aber vor allem um die Verletzung der Menschenwürde und des Rechts auf Leben (Artikel 1 und 2 GG). Somit dringen die erwähnten Erklärungen für den Sinneswandel bei Schily und Struck nicht zum Kern der Sache vor. Der enthüllt sich, wenn man es sich antut, Äußerungen von CSU-Politikern zur Kenntnis zu nehmen. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Schmidt (CSU), sagte beispielsweise, eine »betonierte Trennung von äußerer und innerer Sicherheit« sei nicht mehr aufrechtzuerhalten. Darum geht es in Wahrheit. Man propagiert ein umfassendes »Bedrohungsbild« und will damit bisherige Kompetenzgrenzen, die auch die Einhaltung von Grundrechten bezwecken, aufweichen. Aus dieser Absicht erklärt sich der Ruf nach zusätzlichem Einsatz des Bundesgrenzschutzes (jetzt: Bundespolizei) als Hilfstruppe bei den Kriegseinsätzen der Bundeswehr. Schily selbst hat dies vor einigen Wochen vorgeschlagen und läßt schon dafür trainieren. Die SPD-Verteidigungsexperten Ulrike Merten und Rainer Arnold plädierten dieser Tage sogar ausdrücklich dafür, Beamte der Bundespolizei zu Auslandseinsätzen zu verpflichten. Die zuerst versprochene »Freiwilligkeit« soll also entfallen. Das zeigt die Denkrichtung. Im Inland soll durch die ständige Präsenz von Soldaten im alltäglichen Straßenbild suggeriert werden, daß die BRD sich in einem Ausnahmezustand, also im Krieg befinde. Auf Kleinigkeiten wie Schutz der Privatsphäre, auf die das Bundesverfassungsgericht zum Ärger der Innenminister immer wieder so großen Wert legt, braucht man dann nicht mehr zu achten, ja man darf es nicht – das soll ins Bewußtsein gebracht werden. Die Briten dienen als Vorbild: Videoüberwachung allerorten (wenn auch nutzlos), Vorbeugehaft ohne Schuldspruch. Und wenn man sich im Krieg befindet, passen eben die normalen rechtsstaatlichen Regeln nicht. Dann geht es um höhere Werte, altbackene Prinzipien wie das Folterverbot stören da nur. Die USA mit Guantanamo, Rechtsbrüchen ohne Zahl, jahrelangen Inhaftierungen ohne Anklagen und ohne richterliche Beschlüsse zeigen, was alles noch folgen kann. Die Theorie vom »Feindstrafrecht« (s. Ossietzky 12/05: »Wachsende Willkür im Strafverfahren«), wonach bei der »Bekämpfung von Terroristen« die Grundrechte nicht beachtet werden müßten, da diese nur für »normale« Menschen gälten, würde dann in die Praxis umgesetzt. Die Pläne für den Bundeswehreinsatz im Inneren bedrohen die Grundrechte. Wie weit ist es mit der Sozialdemokratie gekommen, daß sie dabei mitmacht! Aber erinnern wir uns: Auch die Notstandgesetze, seinerzeit von der außerparlamentarischen Opposition heftig bekämpft, wurden am 30. Mai 1968 von einer großen Koalition beschlossen; CDU/CSU und SPD brauchten einander, um im Bundestag eine verfassungsändernde Mehrheit zu haben. Übrigens: Damals ging es ebenfalls um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren und darum, daß im Falle eines Notstandes Grundrechte außer Kraft gesetzt werden dürfen, beispielsweise das Streikrecht der Gewerkschaften. Es ist nicht anzunehmen, die Erinnerung an diesen Sündenfall werde die Sozialdemokraten hindern, abermals leichter Hand – im Bundestag genügt jetzt ein Fingerdruck auf den Ja-Knopf – für eine Militarisierung der Innenpolitik zu stimmen.
Erschienen in Ossietzky 17/2005 |
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