Strucks ganze Welt

Otto Köhler

Er wird Vizekanzler der Großen Koalition, falls es Stoiber und Schönbohm nicht doch noch gelingt, Schröder im Amt zu halten. Und das ist todsicher: Verteidigungsminister bleibt Peter Struck dann auch, denn keiner hat besser definiert, wie weltweit das Verteidigen sein kann.

Doch eines braucht er: ein neues Wahlvolk. Das alte hat es immer noch nicht kapiert. »Ich glaube, daß die Bevölkerung noch nicht realisiert hat, was es heißt: Das Einsatzgebiet der Bundeswehr ist in Zukunft die ganze Welt.« Dies erläuterte Struck soeben in der ZDF -Reihe »Wo steht Deutschland?«

Ganz auf den Kopf gefallen ist die Bevölkerung allerdings nicht, soweit sie einen klugen besitzt. Die Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland stritten sich kürzlich leidenschaftlich darum, ob der Refrain zu dem schönen alten Nazilied »Es zittern die morschen Knochen« korrekt lautet: »Heute hört…« oder doch besser: »Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt«.

Der »rechte Mann am rechten Fleck« – so die FAZ über Struck – stellte schon im Februar 2003 fest: »Eine Gefährdung des deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht.«

Er brauchte einen neuen Zweck fürs deutsche Militär, denn: »Die ausschließlich für die Landesverteidigung vorgehaltenen Fähigkeiten werden in aktiven Strukturen nicht länger benötigt.«

Jetzt vor der Wahl wird Struck – und das ist verblüffend – von Tag zu Tag ehrlicher. Im ZDF , wo verantwortliche Militärs zwei Tage zuvor nur von bevorstehenden »größeren Ausfällen« sprachen, gab Struck am 11. August die programmatische und glaubhafte Erklärung ab: »Wir haben unsere Soldaten in einen Einsatz geschickt, in dem sie ihr Leben verlieren. Und ich lasse das nicht in Frage stellen von irgendeinem Idioten, der keine Ahnung hat von Außenpolitik.«

Strucks entschlossener Wille zum Heldentod seiner Leute materialisierte sich sofort: Er erhöhte soeben das Budget für in Einsätzen getötete Soldaten.

Dahinter steckt der unerschütterliche Glaube, durch eine Militarisierung der bundesdeutschen Außenpolitik doch noch einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat zu erringen, damit Deutschland wieder Weltmacht werde. Dafür ist kein Preis zu gering. Struck: »Es ist unabdingbar, daß wir in Afghanistan bleiben, selbst um den Preis, daß dort Soldatinnen und Soldaten ihr Leben verlieren.«

Doch die Verteidigung der Bundesrepublik am Hindukusch könnte, wenn das Bundverfassungsgericht eingriffe, ein Problem bereiten.

Bei den nachträglichen Murksereien am Grundgesetz, das ursprünglich keinen Krieg, sondern nur eine Kriegsdienstverweigerung vorsah, wurde in unsere Verfassung auch ein Artikel 115 a bis h für einen sogenannten »Verteidigungsfall« hineingeschoben. Am Ende aber – Artikel 115 h, Absatz 3 – steht: »Für die Dauer des Verteidigungsfalles ist die Auflösung des Bundestages ausgeschlossen.«

Bundestag auflösen, wie es der Bundespräsident getan hat, und die Bundesrepublik am Hindukusch verteidigen, das geht also nicht – nach dem Grundgesetz.

Doch auch dieses Problem wird der tüchtige Struck bewältigen. Er muß ja nur die Wahrheit sagen. Er muß nur erläutern, daß es sich bei der Verteidigung am Hindukusch eigentlich doch nicht um einen Verteidigungsfall im Sinne des Artikels 115 a handelt, nicht um die »Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht.«

Der Angreifer vielmehr sind wir – besonders die bewährten Einsatzgruppen des Kommandos Spezialkräfte (KSK), die sehr entschlossen keine Gefangenen machen. Angriffskrieg verbietet der Artikel 26 des Grundgesetzes zwar auch. Aber das bißchen Verfassungsbruch haben wir – Bomben auf Belgrad – schon immer hingekriegt.

Erschienen in Ossietzky 17/2005