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In Berlin-Buch, im Ostteil der Stadt, wurde 1977 eine Straße nach ihm benannt. Seit 1995 erinnert auch im Krankenhaus Moabit, seiner langjährigen Wirkungsstätte, wieder eine Gedenktafel an den mutigen Arzt. Das wieder ist von Bedeutung. Im Kasino des Hauses war schon einmal eine Ehrentafel angebracht. Im Herbst 1951, die antikommunistische Hysterie bestimmte in der Frontstadt Westberlin das gesellschaftliche Leben mehr noch als in der BRD, wurde sie, ob durch die Leitung des Hauses oder auf Weisung des zuständigen Senators ist unklar, entfernt. »Späte Ehrung für die selbstlosen Retter« titelte der Berliner Tagespiegel seinen Bericht über die erfreuliche Meldung aus Israel. »Schade, daß meine Mutter die Ehrung nicht mehr erlebt«, zitierte das Blatt den Sohn des Hingerichteten, Jan Gros, und fügte an: »Die Witwe des Widerstandskämpfers ist 1995 gestorben.« Den Namen der Witwe, Anneliese Groscurth, nannte der Tagespiegel wohlweislich nicht, hatte er doch an deren Nachkriegsschicksal einen unrühmlichen Anteil. Es hätte dem Blatt gut angestanden, die Worte des Groscurth-Sohnes Jan und die lakonische Schlußbemerkung über den Tod der Witwe des Widerstandskämpfers mit einer Anmerkung zu ergänzen. Etwa so: »Wir bitten um Entschuldigung dafür, daß wir in den Jahren des Kalten Krieges dazu beigetragen haben, daß das Ansehen des Widerstandskämpfers Groscurth geschändet und seine Frau das Opfer einer von uns ausgelösten Hexenjagd geworden ist.« Aber das ist wohl zu viel verlangt – besonderes in Zeiten, da deutsche Geschichte nur an ihrer Ostfront auf- und abgearbeitet wird. Die eigene Weste war damals sauber. Man zählte 1951 zu den Gerechten und wird sich heute doch nicht die blütenweiße Weste dadurch beflecken, daß man den Schreibdreck der Frontstadtjahre hervorkramt. Mag Georg Groscurth heute getrost in den Rang eines »Gerechten unter den Völkern« erhoben werden. Das muß aber doch nicht zur Folge haben, daß auch der Ärztin Anneliese Groscurth, aktive Teilnehmerin am Kampf ihres Mannes, in diesem Blatt nachträglich Gerechtigkeit widerfährt, das damals den folgenschweren Vorwurf gegen sie erhob, als »rote Propagandistin« eine »Kommunistenfiliale in Westberlin« eröffnet zu haben. Eine Meldung unter dieser Überschrift erschien am 1. Mai 1951 auf Seite 2 des Tagesspiegel . Sie wurde zum Auslöser einer gnadenlosen, über 20 Jahre währenden Hexenjagd. Anneliese Groscurth war zu dieser Zeit leitende Amts-ärztin in Charlottenburg. Am 28. April 1951 beteiligte sie sich an der Gründung eines Berliner Ausschusses für eine Volksbefragung in ganz Deutschland gegen die Remilitarisierung und für den Abschluß eines Friedensvertrages. Die Gründer luden für den 2. Mai zu einer Pressekonferenz – Geld zur Anmietung anderer Räume war nicht vorhanden – in Anneliese Groscurths Arztpraxis ein. Am 30. April verbot der Senat die »sogenannte Volksbefragung«, die am 1. Mai auf der Seite 1 des Tagesspiegels bereits als »kommunistische Volksbefragung« denunziert und auf der Seite zwei durch die Meldung über die Pressekonferenz in der eröffneten »Kommunistenfiliale in Westberlin« ergänzt worden war. An den Pranger gestellt, benannt mit vollem Namen, Adresse und Hausnummer, wurde in diesem Bericht nur Frau Groscurth. Am 4. Mai bereits kam die Aufforderung zur ersten Einvernahme in das Bezirksamt Charlottenburg. Auf dem Tisch lag die Denunziation des Tagesspiegels . Der Leiter einer »Kommunistenfiliale«, so wurde sie belehrt, sei nicht würdig sei, im öffentlichen Dienst zu wirken. Zum 9. Mai 1951, sieben Jahre nach der Hinrichtung ihres Mannes, wurde die fristlose Entlassung ausgesprochen. Der Tagespiegel vermeldete: »Rote Propagandistin entlassen« und gab damit die Auflassung zum Psychoterror. Finstere Drohungen und Beschimpfungen am Telefon folgten. Patienten wurden auf der Straße angesprochen, warum sie noch zu der »roten Propagandistin« gingen. Die Folge: Die Praxis konnte sie und ihre Kinder nicht mehr ernähren. In der Poliklinik des DDR-Rundfunks fand sie Arbeit. Die Behörden der Frontstadt lehnten Einsprüche gegen die Entlassung immer wieder unter Hinweis auf den Artikel des Tagesspiegels ab. Als sie dann auch noch den Vorsitz eines Ausschusses zur Untersuchung des brutalen Einsatzes der Westberliner Polizei gegen die vom Senat zuvor zum Besuch in den Westteil eingeladene Teilnehmer der Weltjugendfestspiele übernahm, eskalierte die Hetze. Die Anerkennung als politisch Verfolgte des NS-Regimes wurde zurückgezogen, die Verfolgtenrente entzogen, und wieder wurden alle Einsprüche abgelehnt. Den Widerstand gegen die Nazis machte das Entschädigungsamt in einem Schriftsatz zum »angeblichen Widerstand«. Die Gestapo-Haft wurde als Bagatelle abgetan. Der Verband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitswesens schloß sie von der Mitgliedschaft aus. Der Polizeipräsident verweigerte ihr am 23. November 1955 die Ausstellung eines Reisepasses. Friedrich Christian Delius hat die erst 1972 mit einem Vergleich beendete Verfolgung der Anneliese Groscurth in seinem Buch »Mein Jahr als Mörder« (Rowohlt Berlin 2004) detailliert nachgezeichnet. Zu lesen ist dort auch auf Seite 289 eine Bemerkung des Sohnes Axel über den Tagespiegel : »Die Zeitung dürfe der Mutter nicht unter die Augen kommen..., wenn sie die nur sehe, koche die Verbitterung über 1951 wieder hoch.«
Erschienen in Ossietzky 16/2005 |
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